Kapitel 16 | Nightly Conversation

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Nightly Conversation
Kapitel 16


England
11. Juni 2023



Oscar



Er hatte sich gerade auf die Seite gedreht, in der Hoffnung, dass er heute besser schlafen konnte, als er doch noch eine Textnachricht erhielt.

»Was interessiert's dich? Such dir wen anders zum Nerven!«

Wow.
Lando war wohl wieder in Bestform. Er seufzte innerlich. Er hatte sich ja schon prophezeit, dass das sehr anstrengend werden würde. Wie gut, dass Gelassenheit nichts war, woran es ihm mangelte, sonst hätte er Lando wohl direkt etwas Unwirsches zurückgeschrieben.
Tat er aber nicht. Er atmete lieber einmal tief durch und antwortete:

»So mies?«

Wenn er auf die simple Frage, wie es ihm ging, so reagierte, dann war sein Tag sicherlich alles andere als toll gelaufen. Immerhin hatte er ihm diese Nachricht schon vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden geschrieben. Er hatte eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass Lando ihm darauf noch antworten wollte.
Es war schwer sich vorzustellen, was wohl bei Lando los war, was ihn dazu brachte, jedes Mal so die Fassung zu verlieren und das vollkommen aus dem Nichts.
Ihm ging so viel durch den Kopf und doch nichts, von dem er sich vorstellen könnte, dass es Landos Verhalten erklären könnte. Aber nach allem, was er bisher rausgefunden hatte, musste er ja mit irgendwem aneinandergeraten sein. Jemand, der ihm das Leben nun verdammt schwermachen könnte. Er würde ja gerne irgendwen fragen, was von dieser Situation zu halten war. Würde er allerdings nicht machen. Lando hatte ihm vieles davon im Vertrauen gesagt und das würde er keinem anderen jemals erzählen.

»Verarschst du mich?«

Reizend.
Ihm lag ja auf der Zunge, Lando mal zu fragen, wo er nur diesen Charme hernahm. Aber er würde sich gar nicht erst auf einen Streit einlassen. Das war durchaus etwas, was man lernte, wenn man gleich drei jüngere Schwestern hatte. Die versuchten immerhin auch gerne, einen zu provozieren und Streit anzuzetteln.
Mit einem Haushalt, indem die Frauen in der Überzahl waren, lernte man eben schnell geduldig zu sein und vor allem, nicht jede Aussage sofort zu werten.

»Nein. Ich hab dir doch gesagt, ich schreib dir mal

Das schien Lando ja bereits wieder vergessen zu haben.
Er würde sich immer an sein Wort halten. Und ganz uneigennützig war die Sache überhaupt nicht. Wenn es irgendwie möglich war, diese ganzen Sticheleien an der Rennstrecke abzustellen, wäre das sehr hilfreich und falls nicht, lernte er für die Zukunft direkt, wie man am besten mit sowas umging. Er war hier nicht derjenige, der etwas zu verlieren hatte.

»Und wozu?«

Sollte er es mal drauf ankommen lassen?
Wenn er Lando richtig einschätzte, dann würde er ihn gleich richtig anfahren und so lange er sich dabei weiterhin so offen und defensiv verhielt, würde er dabei sicher auch ein schlechtes Gewissen bekommen. Und wenn Lando ein schlechtes Gewissen bekam, dann wurde er meist wieder etwas ruhiger.

»Nur so. Brauchst du Hilfe oder lieber deine Ruhe?«

Damit ließ er ihm noch einmal die Wahl, seine ausgestreckte Hand anzunehmen oder sie weg zu schlagen. Er ahnte jedoch, wofür Lando sich entscheiden würde. Immerhin war er ja den Textnachrichten zu urteilen wieder voll in Fahrt.

»Meine Ruhe, verdammt!«

Nichts anderes hatte er erwartet.

»Okay. Dann lass was von dir hören, wenn es dir besser geht

Mehr konnte er schließlich nicht tun.
Es brachte überhaupt nichts, wenn er ihn nun drängte oder ihm Vorwürfe machte. Wenn er ihn anging, dann würde er nur dichtmachen und so lange raufhauen, bis er Ruhe gab. Besser, er zog sich dezent wieder zurück und wartete, was passieren würde.
Er musste aufpassen, dass er keine Angriffsflächen bot. So, wie Mark ihm erzählt hatte, war Lando schließlich gut darin, den Punkt zu finden, der einem Probleme machte und diesen sehr gezielt zu bearbeiten.
Es würde ihn ja wirklich brennend interessieren, wie das die letzten zwei Jahre mit Daniel gewesen war. Warum hatte es diese Spannungen gegeben, was war zwischen ihnen vorgefallen und wieso war Daniels Leistung so stark nach unten gegangen?

Viele Fragen, die er sich am besten nicht mehr heute Nacht zu beantworten versuchte.
Er hatte schon eine miese Nacht hinter sich, da sollte er nicht so weitermachen. In Kanada erwartete ihn ohnehin ein heftiger Jetlag und den zu verschlimmern, wäre keine besonders gute Idee.
Unerwartet erhielt er jedoch eine weitere Textnachricht von Lando.

»Ich verstehe dich nicht

Nicht?
Dabei fand er nicht, dass er sich sonderlich kompliziert ausgedrückt hatte.

»Warum?«

Offensichtlich hatte Lando sich nun ja tatsächlich ein wenig eingekriegt.
Die Strategie war also aufgegangen. Die Frage war, wie er weitermachen sollte. Aber er würde erstmal dabeibleiben, so ruhig wie möglich zu bleiben, Lando nicht das Gefühl geben, dass sein Verhalten ihn ärgerte und schauen, was passierte.

»Ich behandle dich scheiße und du wirst gar nicht sauer. Bist du normal?«

Ein bisschen schmunzeln musste er darüber schon.
Zum einen fiel es Lando ja offensichtlich noch auf, dass er sich manchmal eben nicht so toll verhielt und zum anderen war es schon witzig, wenn jemand alles daransetzte, sich anders zu verhalten als der Durchschnitt und dann fragte, ob man nicht normal war.
Vielleicht hatte Lando auch recht. Vielleicht war er in dieser Hinsicht wirklich nicht so ganz normal.

»Keine Ahnung. Ich denk mir nur, dass jeder mal einem miesen Tag hat

Er wollte da einfach keine große Sache von machen, aber Lando schien sehr bewusst zu sein, dass er der Grund war, warum eine ganze Menge nicht so gut lief.

»Die hab ich doch dauernd

Da konnte man nicht so wirklich widersprechen.
Selbst Tage, die ganz gut liefen, endeten oft damit, dass Lando eben doch noch eine Spitze austeilen musste.

»Ja, echt schade. Ich mag's eigentlich, wenn du die nicht hast

Er verzog das Gesicht.
Irgendwie nicht so ganz, was er hatte schreiben wollen, aber nun war es nun mal schon abgeschickt und hatte direkt zwei blaue Häkchen. Da ließ sich nichts mehr dran machen.
Er wollte ihn gar nicht wissen lassen, was er mochte und was nicht. Er hatte nämlich nicht das Gefühl, als würde das was bringen. So schuf man sich eben nur diese Zielscheiben, die Lando sich dann wunderbar vornehmen konnte.

»Das ist doch bescheuert

Da hatte Lando auch nicht wirklich Unrecht.

»Kann sein

Was sollte er dazu auch sagen?
Einmal mehr fragte er sich, ob es wohl richtig war, was er hier versuchte. Ob das vergeudete Zeit war, ob es jemals was bringen würde und was die Konsequenz wäre, wenn er sich einfach von dieser Verantwortung zurückziehen würde. Lando hatte Freunde und Familie, die ihm genauso gut helfen könnten. Es war nicht seine Aufgabe.
Trotzdem wollte es ein Teil von ihm zumindest versuchen. Das war wohl der bescheuerte Teil.

»Wie machst du das?«

Er wusste nicht, was Lando mit dieser Frage genau meinte.

»Was denn?«

Das konnte bei ihm schließlich wieder alles Mögliche heißen. Lando war schwer zu lesen. Fand er wenigstens. Er ließ sich nie in die Karten schauen und man musste ihn so genau beobachten, um auch nur erahnen zu können, was er als nächstes machte.

»Dass ich aufhöre, wütend zu sein?«

Damit hatte er weniger gerechnet, aber wie man aus seinen Textnachrichten herauslesen konnte, war er schon deutlich friedlicher geworden.

»Wenn ich das wüsste... Geht's dir jetzt also besser?«

Was würde er nicht dafür geben, wenn er ein gezieltes Mittel wüsste, um Lando von hundertachtzig wieder auf null zurückzufahren.

»Nicht wirklich... Nein. Mir geht's scheiße

Da schien die Mauer wieder zu bröckeln.
Er wünschte, Lando würde es ihnen nicht so schwermachen. Es wäre so viel besser, wenn sie sich einfach zusammensetzen und über alles reden könnten. Wenn er wüsste, was los war. Dann hätte er möglicherweise auch eine Idee, womit er ihm auch richtig helfen konnte.

»Willst du mir sagen, wieso?«

Vermutlich nicht, aber er hoffte, dass der Zeitpunkt gerade günstig war, Lando wieder zu signalisieren, dass er mit ihm reden konnte, wenn er denn wollte.
Er verstand aber total, dass das nicht so leicht war. Gerade hier jemand anderem als sich selbst zu vertrauen, war schwierig. In ihrem Business, konnte einem sowas schnell zum Verhängnis werden und darum überlegte man es sich gründlich, ob man etwas Privates mit seinen Fahrerkollegen teilen wollte.

»Am liebsten schon. Kann ich aber nicht

Und damit würden sie einmal mehr nicht weiterkommen.
Aber ihm Vorwürfe zu machen, brachte nichts. Doch er generierte kein Vertrauen, wenn er deswegen Stress machte.

»Du hast bestimmt deine Gründe. Ich würde schon gerne wissen, was los ist, aber manchmal braucht sowas Zeit

Ihm noch ein wenig entgegen zu kommen, konnte ja nicht schaden.
Irgendwann musste dieser harte Panzer auch ein wenig zu knacken sein. Hoffte er.

»Verstehst du das wirklich?«

Lando blieb skeptisch.
Verständlich. Er überlegte auch sehr gut, wem er traute und wem nicht, mit wem er reden konnte und wen er besser nur freundlich grüßte. Wenn überhaupt. Er wusste selbst, wie wichtig es war, nicht auf die falschen Leute zu setzen und dass es Dinge gab, die man besser komplett für sich behielt.

»Klar. Sag mir einfach, falls ich was tun kann

Damit lag der Ball wieder in Landos Hälfte und er konnte nur hoffen, dass er ihm den nicht mit voller Wucht ins Gesicht schoss.
Diesmal dauerte es wieder ein wenig, bis Lando ihm eine Antwort gab. Er wüsste zu gerne, was bei ihm los war, worüber er grübelte, was ihm alles durch den Kopf ging. Aber er konnte nur abwarten, was passierte.

»Darf ich dich was fragen?«

Wieder war er überrascht.

»Sicher

Da war er ja mal gespannt, was als nächstes kam.
So lange hatte Lando wohl noch nie getippt, seit sie mit einander in gewisser Weise kommunizierten.

»Was soll man tun, wenn man seinen besten Freund vor die Tür setzt, wenn man ihm die Freundschaft kündigt und es unmöglich ist, ihm zu sagen, warum das alles so ist, man ihn aber eigentlich braucht?«

Seine Augenbrauen hoben sich ganz automatisch.
Das klang gar nicht gut. Wenn Lando schon Freunde von sich stieß und sich nicht helfen ließ...
Aber er verstand nicht so recht, wie es dazu gekommen war. Was war es nur, was Lando nicht sagen konnte und wenn er seinen selbst genannten besten Freund einfach vor die Tür setzte, dann war da wohl was Schlimmeres vorgefallen.
Das beruhigte ihn nicht gerade. Allerdings war es schwierig, dazu etwas zu sagen. Er hatte kaum Informationen und überhaupt...
Jedoch war das auch wieder eine Chance, Lando zu zeigen, dass er ihm vertrauen konnte.
Er ging jetzt einfach mal davon aus, wie er die Sache angehen würde, auch wenn es möglicherweise nicht zu Landos Situation passte.

»Naja... Ohne alle Gründe zu kennen, ist das schwer zu beantworten. Aber, ich denke, wenn er dein Freund ist, dann wird es nicht zu spät sein. Ein Freund hält auch mal was aus und kann dir verzeihen. So lange du nicht überzeugt bist, ihn als Freund nicht mehr in deinem Leben haben zu wollen, kann man so eine Freundschaft auch nicht zerstören

So hielt man es jedenfalls in seinem Freundeskreis.
Wenn man jemanden nicht gänzlich aus seinem Leben haben wollte, dann konnte man einen Kontaktabbruch auch nie ganz durchziehen. So lange man zweifelte, würde man auch unbewusst immer nach einem Weg suchen, es wieder hinzubekommen.
Nur fehlte ihm hier das Wissen darum, was genau bei Lando los war.

»Denkst du das wirklich oder willst du nur, dass ich endlich mit jemandem reden?«

Scharfsinnig war Lando. Das musste man ihm ganz klar lassen.
An dieser Stelle musste er ihn allerdings auch mal auf etwas sehr Entscheidendes hinweisen.

»Ich glaube nicht, dass ich dir einen Anlass gegeben hab, an meiner Ehrlichkeit zu zweifeln. Und ja, wenn du es wissen möchtest: Du solltest dringend wem sagen, was los ist

Denn, was auch immer es war, es schien Landos Leben ja vollkommen im Griff zu haben.
Wenn er sich niemandem anvertraute, dann würde es nicht besser werden. Dann würde diese Spirale ihn immer weiter abwärtsführen und ohne Details zu kennen, konnte er natürlich auch nicht abschätzen, wo dann das Ende sein würde.

»Das geht aber nicht

Beharrlich war Lando ebenfalls.
Er war unsicher, ob er ihn mal mit einem Verdacht konfrontieren sollte, nur etwas Besseres wollte ihm nicht einfallen.

»Weil dich jemand erpresst?«

Keine Reaktion.
Auch nach fast fünf Minuten hatte seine Nachricht nur blaue Haken, aber keine Antwort. Online war Lando allerdings noch. Er hatte vermutlich genau ins Schwarze getroffen und nun wusste Lando nicht, wie er ihm ausweichen sollte.
Er wollte ihn ja nicht in Panik versetzen, also schrieb er lieber eine zweite Nachricht.

»Es ist deine Sache. Aber die Wahrheit lässt sich nicht für immer vergraben. Je länger man das versucht, desto schlimmer wird das

Und er ging auch eigentlich davon aus, dass Lando das selbst wusste.
Nur irgendwie musste man ihn mal darauf stoßen. Manchmal half es ja, wenn es einfach mal jemand aussprach. Ganz unverblümt. Bei Lando war es ohnehin ein kleines Pokerspiel.
Kurz bekam er den Verdacht, dass Lando nun gar nicht mehr antworten wollte, als er ihm doch wieder schrieb und in die Gegenoffensive ging.

»Du weißt wohl, wovon du sprichst

Tat er.
Aber auch er musste hier nicht mehr Preis geben, als er wollte. Und so lange Lando aus allem ein großes Geheimnis machte, würde er nicht anfangen, ihm direkt alles auf die Nase zu binden.

»Glaub es, oder nicht. Ich hab auch meine Probleme und Geheimnisse.«

Die waren hier wohl auch unvermeidbar.

»Danke, Oscar

Immerhin.

»Jederzeit

Papaya ClashesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt