Still A Friend
Kapitel 15
England
11. Juni 2023
Carlos
„Lando... Was ist nur los bei dir?", murmelte er vor sich hin.
Nicht zum ersten Mal, seit er aufgebrochen war. Eine halbe Stunde hatte er noch im Wagen gesessen, falls Lando einfiel, dass das eine dumme Kurzschlussreaktion war, die er rückgängig machen wollte. Obwohl es ihm wirklich schwerfiel, alles runterzuschlucken, was Lando ihm an den Kopf geworfen hatte.
So kannte er ihn nicht. Er wusste, dass Lando unausstehlich sein konnte, dass er manchmal Dinge sagte, die er schnell auch wieder bereute, dass er impulsiv war und seine Stimmung gefährlich schwanken konnte, wenn etwas nicht in Ordnung war. Er wusste, dass Lando unabsichtlich auch mal unfair sein konnte und trotzdem wusste er, wie man sich für falsches Verhalten entschuldigte und tat dann alles, damit ihre Welt wieder okay war.
So anstrengend Lando sein konnte, war er auch jemand, der treu war, seinen Freunden besingungslos beistand, für die Menschen kämpfen konnte, die er liebte. Er hatte so viele tolle Seiten, von denen er nicht einmal zu bemerken schien, dass er sie hatte. Er wusste schon, warum es zwischen ihnen immer so gut funktioniert hatte und nach allem, was er hier erfahren hatte, könnte er sich selbst eine reinhauen, dass er auf ihre Freundschaft nicht besser achtgegeben hatte.
Alles, was Lando zu ihm gesagt hatte, stimmte ihn nachdenklich.
Dass Lando sich von ihm hintergangen fühlte, weil er aus der Zeitung erfahren musste, dass er das Team wechselte. Dass er enttäuscht war, weil er sich nach dessen Liebesgeständnis von ihm distanziert hatte. Und ja, nachdem Lando ihn darauf gestoßen hatte, musste er tatsächlich einsehen, dass er seine Bemühungen, mal zu reden, abgeblockt hatte.
Erst jetzt fiel ihm auf, wie oft Lando nach einem Gespräch gefragt und er ihn vertröstet hatte, weil es aus seiner Sicht gerade nicht passte. Was hatte er ihm damit nur angetan? Und wie hatte er das aus den Augen verlieren können? Sicher, der Beziehungsstress mit Isa und der Wechsel zu Ferrari, hatten ihn sehr in Anspruch genommen. Aber Lando so im Regen stehen zu lassen...
Das hatte er einfach nicht verdient. Das alles tat ihm schrecklich leid und er wollte nichts mehr, als es wiedergutmachen, nur jetzt ließ Lando ihn nicht mehr. Und das war nicht das Schlimmste, was seine Gedanken beschäftigte. Schlimmer war, so klare Zeichen zu sehen, dass es Lando schlecht ging und irgendwas nicht stimmte und nun dazu verdammt zu sein, nichts zu unternehmen.
Was war er denn für ein Freund, wenn er Lando jetzt fallen ließ, wo er ihn wahrscheinlich mehr brauchte, als jemals zuvor?
Mitten in der Nacht ließ sich allerdings nicht mehr viel erreichen.
Aus diesem Grund suchte er sich irgendwann ein Motel, wo er wenigstens schlafen konnte. Nur, dass seine Gedanken ihn die ganze Nacht wachhielten und er am Ende nicht sehr viel ausgeruhter war, als zuvor.
Eigentlich wäre es klüger, seinen Tripp abzubrechen, wieder nach Spanien zu fliegen, damit er seinen ursprünglich gebuchten Flug nach Kanada nicht verpasste. Aber wie er gestern schon meinte, er konnte Lando doch nicht so zurücklassen. Er konnte nicht unverrichteter Dinge abhauen und die Sache so weiterlaufen lassen.
Wenn Lando wirklich ernste Probleme hatte – und daran hegte er nicht den geringsten Zweifel – dann war womöglich Gefahr in Verzug. Sollte Lando etwas zustoßen, nur weil er sich von ihm angegriffen und verletzt fühlte und deswegen nichts unternahm, würde er sich das sein ganzes Leben lang nicht verzeihen können.
Es gab nur zwei Möglichkeiten, wie er vorging. Zum einen könnte er wieder zu Lando fahren und ihn so lange unter Druck setzen, bis alles aus ihm herausbrach. Das wäre vielleicht am schnellsten und effektivsten, würde aber bei Lando sicher auch wieder eine Menge zerstören, ihn vielleicht sogar zu noch gefährlicheren Kurzschlusshandlungen treiben.
Die Holzhammervariante...
Er grübelte lange, ob er das tun sollte, aber er befürchtete, dass das übel nach hinten losgehen könnte. Im Moment war er sich nicht einmal sicher, ob Lando sich nicht irgendwas antun würde, wenn man ihn zu sehr bedrängte. Das wäre zu riskant.
Dann blieb nur, jemanden mit ins Vertrauen zu ziehen. Hinter Landos Rücken natürlich. Ein Gedanke, der sich mehr als falsch anfühlte, nur welche Wahl blieb ihm denn noch? Er kam sonst nicht weiter und auch, wenn er damit das zerbrochene Vertrauen noch mehr beschädigte, kam es doch am Ende darauf an, wofür er das tat. Wenn es der einzige Weg war, um zu verhindern, dass ihm etwas passierte, dann musste es ihm das wert sein.
Vielleicht gab er ihrer Freundschaft damit auch den Rest. Das war ihm bewusst. Untätigkeit würde er sich hingegen auch nicht verzeihen können und egal wie er es drehen und wenden wollte, am Ende sah er nur diesen einen Weg, während er sein Handy nachdenklich zwischen den Fingern drehte.
‚Er wird mich hassen', ging es ihm durch den Kopf.
Ein Gedanke, der kaum zu ertragen war und doch war er an einem Punkt angekommen, wo er das wohl in Kauf nehmen musste, wenn er ihm helfen wollte.
»Hast du heute Zeit? Können wir uns irgendwo treffen? Ich bin gerade in England.«
Er war sich nicht sicher, ob das die beste Eröffnung war, aber er wollte jetzt auch nicht noch länger nachdenken und Gefahr laufen, einen Rückzieher zu machen. Tatsächlich musste er nicht besonders lange warten, bis er eine Antwort erhielt.
»Wie kommt's? Nutz die Zeit doch, was mit Lando zu machen.«
Schon klar, dass sie ihm das vorschlagen würde. Sie wusste ja, wie eng ihr Verhältnis mal gewesen war und falls Lando nichts Näheres erzählt hatte, ging sie wohl davon aus, dass sich daran nichts geändert hatte.
»Ich wollte aber gerne mit dir reden.«
Er konnte sich denken, wie ungewöhnlich das für ihn war. Dass es für sie wohl wenig Sinn machte und da konnte auch für sie nur ein Verdacht naheliegen, den sie auch direkt in der nächsten Mitteilung äußerte.
»Okay... Ist was passiert?«
Er könnte das natürlich bestreiten oder wenigstens sowas antworten wie, dass sie sich keine Sorgen machen sollte, er würde alles erklären, aber das war bescheuert. Wenn er ohnehin beabsichtigte, mit ihr über das alles zu sprechen, sollte er auch direkt ehrlich sein.
»Ehrlich gesagt, ja. Können wir bitte persönlich reden?«
Das reichte zumindest, um sofort eine Zusage zu bekommen und einen Ort, an dem sie sich nachher treffen würden.
Wohl war ihm dabei nach wie vor nicht, aber er musste Lando irgendwie helfen, ob der wollte oder nicht.
Zwei Stunden später trafen sie sich endlich.
Es war ihm deutlich länger vorgekommen. Es gab wohl kaum etwas Schlimmeres, als auf etwas zu warten, erstrecht, wenn man obendrein noch Rennfahrer war. Zwei Stunden, in denen sein Kopf ihm immer wieder geraten hatte, einen Rückzieher zu machen, weil er genau wusste, wie Lando diese Aktion auffassen würde, sollte er jemals davon erfahren.
Und er würde davon erfahren. Eines Tages. Man konnte vor ihm nichts geheim halten. Ein Versuch war es allerdings immer noch wert. Denn wann immer er zweifelte, ging ihm auch wieder durch den Kopf, wieso er überhaupt zu so drastischen Mitteln greifen musste.
Unangenehm war es ihm dennoch, als Flo ihm endlich gegenübersaß und nicht weniger besorgt aussah, als er sich auch fühlte, seit er bei Lando aufgeschlagen war.
„Schön, dass du gekommen bist", ließ er sie also wissen.
„Ist doch klar, aber jetzt erzähl sofort. Was ist denn los?", kam sie direkt auf den Punkt. Ihre Anspannung war schwer zu übersehen. Sie wusste durch seine Offenheit ja schon, dass etwas nicht in Ordnung war und dementsprechend rechnete sie vielleicht schon mit dem Schlimmsten. Es tat ihm leid, dass er ihr das nicht ersparen konnte.
„Ich möchte dich nicht beunruhigen", meinte er dennoch, auch wenn das sicher nicht mehr viel ändern konnte. Das machte sie ihm auch direkt deutlich.
„Schon geschehen. Also?"
„Hast du in letzter Zeit mal was von Lando gehört?", entschied er, selbst direkt auf den Punkt zu kommen. Wenn er lange drumherum redete, machte er es für sie gewiss auch nur schlimmer. Das wollte er nicht.
„Wieso? Ist was mit ihm?", wollte sie sofort wissen.
„Das weiß ich nicht so genau. Das versuche ich rauszufinden." Ganz sicher konnte er es einfach nicht sagen. So gut er Lando auch kannte, aber es waren alles Dinge, die daraufhin deuteten, aber nicht viel verrieten, womit er arbeiten konnte.
„Naja...", setzte Flo an, unterbrach sich aber sofort und schüttelte den Kopf.
„Hm?", machte er.
Da musste also auch von ihrer Seite mehr Wissen sein. Damit hatte er nicht gerechnet. Vielleicht half ihm weiter, was Flo ihm zu erzählen hatte.
„Er war im Winter nur so kurz da. Er hat wohl ganz schön viele Termine. Vielleicht..." Ihr war anzumerken, dass sie sich selbst nicht ganz wohl dabei fühlte, über ihren Bruder zu reden, wenn er davon überhaupt nichts wusste.
„Ja?"
„Als er Weihnachten zu Hause war, haben Dad und er sich fürchterlich gestritten. Lando ist fast direkt danach wieder gefahren und ich frage mich, ob das der Grund ist, warum er so selten kommt. Dad will jedenfalls nicht nachgeben."
Ob das der Grund für Landos Verhalten war? Es fiel ihm zwar schwer, sich das vorzustellen, aber er wusste auch, wie harmoniebedürftig Lando war und wie sehr es ihn belastete, sich mit anderen zu streiten. Umso erstaunlicher, dass er im Moment dauernd Zoff anzettelte.
„Weißt du, worüber sie sich gestritten haben?"
„Nein. Nicht wirklich. Ich hab nur mitbekommen, wie Dad ihm sagte, man müsse sich im Leben auch mal zusammenreißen und er soll selbst klarkommen. Ich verstehe das nicht wirklich. Lando ist doch immer selbst zurechtgekommen."
Er überlegte, was das bedeuten könnte.
Im Grunde war das Verhältnis zwischen Lando und seinem Vater ganz gut. Aber er wusste, dass es privat auch immer wieder diese Streitpunkte zwischen ihnen gab. Dass Landos Outing damals ein Problem gewesen war und dass sie häufiger Meinungsverschiedenheiten hatten. Früher hatte er davon deutlich mehr mitbekommen, aber seit er zu Ferrari gewechselt war...
„Hast du seitdem was von ihm gehört?", fragte er Flo.
„Ja. Natürlich. Lando schreibt mir dauernd. Er kommt nur nicht mehr so oft zu Besuch. Aber er fragt immer, wie es mir geht, wie es beim Reiten läuft, ob alles in Ordnung ist", erklärte sie und das klang schon wieder sehr nach Lando. Auf seine jüngere Schwester hatte er noch nie etwas kommen lassen und wie es ihr ging, war ihm schon immer wichtig gewesen.
„Ist er wie immer?" Könnte ja sein, dass ihr eine Veränderung an ihm aufgefallen war.
„Eigentlich schon. Ich hab nur manchmal das Gefühl, als ob er noch mehr aufpassen will, als früher. Ich meine, wir sehen uns immer seltener. Vielleicht ist es ja deswegen", überlegte Flo.
„Ja, vielleicht", murmelte er mehr zu sich selbst, nur blieb das selbstverständlich nicht ungehört.
„Du glaubst nicht, dass es so ist, oder?", erkannte sie sofort.
„Nein. Ich glaube, dass da viel mehr hinter steckt."
Er wollte ihr damit bestimmt keine Angst machen, aber so war es nun einmal.
Wenn er noch mit hinzunahm, wie Lando sich verhielt und wie es bei ihm aussah, dann konnte er nur immer wieder den Schluss ziehen, dass ihn etwas in seinem Leben komplett aus der Bahn geworfen hatte. Etwas, was ihn komplett veränderte und ihm schwer zusetzte. Und er fühlte sich ein bisschen schuldig, weil ihm das alles erst jetzt auffiel.
„Wieso? Weißt du irgendwas?"
Nach wie vor wollte er Lando zwar nicht verraten, aber mit Halbwahrheiten kamen sie hier leider auch nicht weiter.
„Ja."
„Carlos, du musst es mir sagen!", verlangte sie sofort von ihm. Verständlich. Es war ja nicht so, dass nur Lando an seiner Schwester hing. Umgekehrt war es ganz genauso.
„Das will ich auch. Weil ich Lando gerne helfen will. Das Problem ist, dass er wütend wird, wenn ich mich einmische. Wenn er wüsste, dass ich hier sitze und mit dir reden, wäre er sehr enttäuscht von mir. Das alles zerstört sein Vertrauen in mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll", gab er seine eigene Ratlosigkeit also unumwunden zu.
Etwas, was Flo von ihm auch kannte.
Lando nahm Vertrauen und Zuverlässigkeit sehr ernst. Wenn man ihn belog oder nur leicht flunkerte, wenn er das Gefühl bekam, etwas passierte hinter seinem Rücken oder man verriet ihn, dann verzieh er sowas nicht.
„Warst du bei ihm?"
„Ja. Er ist zu mir sehr abweisend und nicht glücklich darüber, wie ich das Team damals verlassen hab. Er verhält sich komisch und obwohl wir über ein paar Dinge reden konnten, verheimlicht er mir etwas", erklärte er also.
„Wenn er es dir verheimlicht, dann uns allen. Ich weiß von nichts", seufzte Flo, die sich sichtliche Sorgen um Lando machte. Er wünschte, er könnte einfach alles in Ordnung bringen.
„Es ist sehr chaotisch bei ihm. Er geht wohl nicht so oft weg und ich hab das Gefühl, er zieht sich dort komplett zurück. Er trifft sich nicht mehr mit Freunden und-" Er biss sich auf die Lippe. Sollte er wirklich alles sagen?
„Und?"
Es half ja nichts...
„Als ich ihm an den Arm gefasst hab, hatte er irgendwie Schmerzen."
Er wurde schockiert angesehen, kaum, dass er das ausgesprochen hatte.
„Was? Aber..."
„Keine Ahnung, vielleicht ist er nur irgendwo gegen gelaufen. Er ist ja manchmal etwas unkoordiniert." Was noch nett ausgedrückt war. Selbst, ihn als ungeschickt zu bezeichnen, würde ihm in manchen Situationen noch schmeicheln.
„Nein, wenn du sagst, dass da noch andere Dinge sind, dann... Oh nein... Was ist denn nur mit ihm los? Wieso sagt er uns denn nichts?", geriet sie ein wenig in Panik. Er wollte sie ja nicht völlig beunruhigen, nur konnte er die Sache auch schwerlich schönreden.
„Das kann viele Gründe haben", meinte er dennoch. Bei Lando war tatsächlich so gut wie alles denkbar.
„Soll ich mit ihm reden? Ich kann sofort zu ihm fahren."
„Ich glaube nicht, dass das gut wäre. Dann weiß Lando, dass ich dir was erzählt hab und dann macht er erstrecht dicht."
Da verstand er schließlich keinen Spaß und wer einmal sein Vertrauen beschädigte, der hatte es bei ihm in der Tat sehr schwer. Das bekam er nun ja sehr deutlich zu spüren.
Flo fiel es sichtlich schwer, es so hinzunehmen.
„Aber... Wieso reden wir, wenn du nicht willst, dass ich etwas unternehme?", hakte sie nach.
„Weil ich selbst ratlos bin. Ich glaube aber, dass er uns alle braucht, auch wenn er das nicht wahrhaben will. Und vielleicht fällt uns zusammen etwas ein, wie wir ihm helfen können." Möglicherweise war das als Grund ziemlich schwach.
Das war wieder dieser Moment, wo er irgendwie Zweifel bekam, ob er jemanden hätte einweihen sollen. Nur, was sollte er sonst machen? Er hatte immer wieder darüber nachgedacht und nun konnte er ohnehin nicht mehr zurück. Er konnte nur hoffen, dass das funktionierte und sie Lando auf lange Sicht wirklich helfen konnten.
„Okay. Ich sage erstmal nichts. Aber wir brauchen schnell einen Plan. Lando merkt es, wenn man ihm was verheimlicht."
Auch das konnte er unmöglich bestreiten.
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Papaya Clashes
Fanfiction⊱ Er sparte sich lange Begrüßungen und Erklärungen lieber gleich, als er Lando abpasste. Das war der letzte Versuch, den er unternehmen würde, um im Sinne des Teams besser mit ihm auszukommen. Wenn er ihm jetzt wieder blöd kam, dann würde er sich um...