XVI

1.1K 47 0
                                    

"Und manche glauben, du hättest etwas damit zutun."
Was Hagrid gesagt hatte, klang noch immer in ihrem Kopf nach, auch wenn sie schon seit eine halben Stunde im Büro von Professor Dumbledore saß. Sie war allein, denn Hagrid hatte sie nur hier abgesetzt und war dann gegangen. Er hatte ihr versichert, dass er natürlich nicht glaubte, dass sie etwas damit zutun hatte, doch hatte sie seine Worte kaum verstanden. 
Sie konnte nicht glauben, dass er tot war. Gestern noch, hatten sie zusammen in seinem Unterrichtsraum gesessen und gelernt. Und jetzt war er fort. Für immer.
"Callisto?", wurde sie auf einmal angesprochen, und unter normalen Umständen, wäre sie herumgefahren, um zu sehen, wer dort war. Doch sie bewegte sich kein Bisschen. Sie starrte einfach geradeaus, auf den leeren Stuhl, welchem sie gegenüber saß.
"Du wusstest nichts von seinem Tod, richtig?", fragte Dumbledore und setzte sich ihr gegenüber.
Sie schüttelte langsam den Kopf, unfähig, zu antworten. 
"Das hatte ich mir schon gedacht...", sagte er. "Aber man empfahl mir, deine Reaktion zu testen. Du warst die letzte, die ihn gestern gesehen hat."
Sie nickte langsam. "Er hat mir bei einer Aufgabe für Zaubertränke geholfen.", sagte sie leise. 
"Um wie viel Uhr bist du in den Schlafsaal gegangen?"
"Es war fast null Uhr. Wir haben sehr lange gebraucht, weil Professor Snape mir aufgetragen hat, Vertiaserum zu brauen...", erzählte sie und kämpfte erneut mit den Tränen. "Professor, ich- Professor Jackalope hat mir in meinen Jahren an dieser Schule immer geholfen. Er... ich hatte niemanden, aber er war immer da. Er hat mir beigebracht, mich in meinen Animagus zu verwandeln."
Sanft sah er sie an. "Ja, Eric war nicht nur ein guter Lehrer, er war ein guter Mensch."
Sie nickte. "Ich hätte ihn niemals umbringen können."
"Ich weiß, Kindchen, ich weiß... aber wir mussten dich befragen, sonst hätte es übel ausgesehen, und wer weiß, was die Kinder ihren Eltern erzählen."
"Heißt das, dass ich die Schule verlas-"
"Nein, nein. Du hast nichts falsch gemacht, Callisto. Du kannst nichts dafür, was dein Bruder getan hat. Und nur weil du mit ihm verwandt bist, bist du nicht er."
Sie lächelte zwar, doch taten die Worte mindestens genauso weh, wie wenn er ihr erklärt hätte, dass er glaubte, sie hätte Jackalope umgebracht.
"Ich gebe dir heute und morgen frei von jeglichen Aufgaben, damit du trauern kannst. Ich glaube, von allen Menschen, die Eric jemals näher an sich rangelassen hat, bist du die einzige, die hier in Hogwarts ist. Er war ein sehr... eigener Mensch, das wirst du wissen. Aber dir hat er gerne geholfen."
Sie nickte, erneut gegen die Tränen ankämpfend. 
"Dann darfst du jetzt gehen. Geh vielleicht direkt in den Gryffindor Gemeinschaftsraum."
Sie erhob sich, bedankte sich mit einem Nicken und verließ sein Büro. Im Gemeinschaftsraum wurde sie bereits von den Zwillingen erwartet, die unruhig umhergingen.
"Callisto!", rief Fred (oder war es George?).
"Wir haben es gerade von Percy gehört. Geht es dir gut?", fragte George.
Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Geht schon, Jungs. Danke. Ich habe von Dumbledore morgen frei bekommen."
"Du hattest nichts mit seinem Tod zutun, oder?", fragte Fred, völlig schmerzbefreit, und erntete von seinem Bruder einen Ellenbogen in die Rippen.
Doch Callisto lächelte nur schwach. "Nein, hatte ich nicht.", sagte sie leise und machte sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer. Dort fiel sie in ihr Bett und weinte erst einmal ein wenig, ehe sie sich wieder zusammenriss, und einen Brief an Remus schrieb, in welchem sie ihm die traurigen Neuigkeiten überbrachte. Nicht, dass er Professor Jackalope kennen würde, aber sie hatte ihm natürlich schon von ihm erzählt.
Sie hatte zwar keine Ahnung, ob er den Brief in näherer Zukunft erhalten würde, noch ob er überhaupt bei ihm ankäme. Sie wusste, dass er gerade wieder umzog, daher war sie nicht ganz sicher, ob Jaro ihn finden würde. Aber darauf wollte sie es ankommen lassen. Zur Not würde die Eule unverrichteter Dinge wieder zu ihr zurückkehren.

Eine Antwort bekam sie tatsächlich erst nach ihrem Geburtstag. Allerdings wurde ihr Geburtstag natürlich von den Ereignissen überschattet, denn ihre neu gewonnenen Akzeptanz war wieder vernichtet worden. Keiner sprach mehr mit mir (die Zwillinge und Hagrid außen vor - die behandelten sie noch genauso wie vorher, wofür sie auch sehr dankbar war), und auch die Lehrer gingen ihr aus dem Weg, wenn es möglich war.
Dumbledore hatte angekündigt, dass das Fach Verteidigung gegen die Dunklen Künste bis zum nächsten Schuljahr unbesetzt bleiben würde, der Unterricht also nicht stattfinden. Das war allerdings nicht so dramatisch, da das Schuljahr sich ohnehin bereits dem Ende zuneigte. Allerdings hatte es ebenso zur Folge, dass Snape noch schlechtere Laune hatte, als zuvor. Es war allseits bekannt, dass der Lehrer für Zaubertränke auch gerne Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichten würde.
In seinem Antwortbrief bekundete Remus natürlich sein Beileid und stellte sich aber natürlich auch auf ihre Seite - er sagte, dass er nicht glauben würde, sie hätte etwas mit dem Mord an ihrem Professor zutun. Er erkundigte sich, ob sie wusste, ob irgendeine Form der Ermittlungen eingeleitet worden waren, und versprach, sich ein wenig umzuhören, wie viel von dem Zwischenfall an die Außenwelt gedrungen war. Außerdem gratullierte er ihr natürlich zum Geburtstag und schickte auch eine Packung Hocus Pocus Pops mit ("Ich weiß, es ist nicht viel, aber du hattest mal erwähnt, dass es deine Lieblingssüßigkeiten sind.", schrieb er dazu).
Aber sonst ereignete sich nichts nennenswertes mehr.
Und ehe sie sich versah, saß sie schon wieder im Hogwartsexpress auf dem Weg zurück nach London, da das Schuljahr schon wieder vorbei war. Sie konnte kaum glauben, dass sie als nächstes ins fünfte Schuljahr gehen würde. Sie hatte das Gefühl, dass sie gerade gestern erst eingeschult worden war, aber nein. Sie war jetzt fünfzehn - nur noch drei Jahre, und dann war sie volljährig! Sie konnte es kaum fassen. Sie hatte ihren Bruder seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen. Zehn lange Jahre...
Als ihr diese schockierende Zahl im Zug auffiel, beschloss sie, dass sie, sobald sie erstmal erwachsen war, eine Möglichkeit finden musste, dass sie Sirius in Askaban besuchen konnte. Und wenn sie sich zum Gefängniswerter ausbilden lassen musste - aber sie konnte nicht akzeptieren, dass sie ihr Leben fortführen sollte, während sie sich noch nicht einmal von ihm hatte verabschieden können.
Außerdem schwor sie, dass sie Remus finden würde, und sich von ihm erklären lassen, was sein Problem war. Und wenn sie es dann erst einmal wusste, dann wollte sie ihm dabei helfen. Und wo sie schon einmal dabei war, unrealistische Schwüre zu machen, dachte sie, da schwor sie auch gleich noch, dass sie Harry finden würde - ihr Quasi-Cousin. Immerhin war ihr Bruder sein Pate.
Ja, das schwor sie alles. Und hätte sie ahnen können, dass diese Schwüre schneller realistisch wurden, als sie erdenken konnte?
Nein, das hätte sie nicht ahnen können.

Painful Truth // Remus Lupin FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt