2 || Beste Freunde

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JISUNG beobachtet, wie sich sein Atem in eine weiße Spur verwandelt und im Wind verschwindet. Seine Ohren sind das Einzige, was nicht gefriert, dank der Kopfhörer, die ihn mit Kanye West beschallen. Jisung reibt seine Hände aneinander und flucht leise vor sich hin.

Der letzte Shuttlebus würde noch fünf Minuten brauchen, und Jisung starb langsam vor sich hin. Wenn es nicht um ihre Freundschaft seit der Highschool ginge, könnte er jetzt schlafen. Aber Minho klang wirklich ernst. Und damit der Lee Minho jemals aus seinen Gedanken gerissen werden konnte, musste es wichtig sein. Aber warum muss es denn so arschkalt sein?

Der Bus kommt an. Jisung stieg ein und suchte einen Sitzplatz. Das grünliche Licht flackert, als sie sich in Bewegung setzten. Der Busfahrer fuhr als würde er GTA spielen und mehr Punkte für jedes getroffene Schlagloch oder Bordsteinkante geben. Jisung hatte keine Wahl und ließ sich wehrlos durchschütteln.

Der Bus fährt durch die schrille Szene New Yorks. Wenn man wirklich beobachtet, woran man vorbeifährt, wäre man überrascht, wie nahe die obersten und untersten 5 % der Bevölkerung beieinander lagen. Ein Typ rennt die Straße hinunter, mit seinem maßgeschneiderten Anzug und seinen Privilegien in der Hand. Dieselbe Straße und derselbe schmutzige Beton, auf dem viele Obdachlose schlafen.

Jisung hat schon vor langer Zeit aufgehört zuzuschauen. Er ist zu sehr damit beschäftigt, mit dem Kopf zu wippen und seine Gedanken zu verdrängen. Es hatte keinen Sinn, über seine eigene Armut nachzudenken.

Wer weiß, was Minho von ihm will? Das letzte Mal  war er beim Klettern durch die Lüftungsschächte stecken geblieben. Es hat Stunden gedauert, bis Jisung ihn  da rausbekommen hatte. Er kichert bei diesem Gedanken.

Der Bus spuckt Jisung vor dem Tor aus. Dort, wo die letzte Straßenlaterne steht. Jisung beugt sich vor und geht zum Eingang. Er holt sein Handy raus und schaltet den Blitz ein. Das Kopfsteinpflaster und das Moos sind feucht vom Nieselregen, der begonnen hat.

Die kleinen Regentropfen häufen sich und ziehen Jisungs Schultern nach unten. Er muss sich darauf konzentrieren, nicht auszurutschen. Er lässt seinen Blick nicht vom Boden ab. Die Schatten wurden immer größer und überragten ihn von beiden Seiten. Je näher er dem Gebäude kommt, desto schärfer wird der chemische Gestank. Jisung wirbelt seinen Kopf herum. Nichts. Er hatte das Gefühl, als würde ihn jemand verfolgen, denn die Dunkelheit hatte er noch nie gemocht.

"Mach auf", klopft er an die milchige Glastür. "Bruder, ich werd' zum Fischstäbchen. Beeil dich." Seine Stimme hallt über die geräumige Einfahrt bis in die hintersten Winkel. In der Ferne hört er einen Hund bellen. Der Wind bläst ihm noch mehr Nässe in den Nacken und lässt ihn frösteln.

Endlich sieht er eine Gestalt bewegen. Jisung verlagert sein Gewicht von einem zittrigen Bein auf das andere, die Hände tief in den Taschen vergraben. Minho kommt näher, ein großer schwarzer Fleck in Jisungs Sicht. Es wird nie einfacher, hierher zu kommen. Die Geizigkeit der Firma macht den Ort unheimlicher, als er sein müsste.

Die Tür öffnet sich mit einem Ruck. Zum Vorschein kommen sein bester Freund und sein übermütiges Grinsen. Jisung drängt sich an ihm vorbei, in die Wärme. "Also, was ist der Notfall?"

Minho lässt die Tür wieder in ihre Schlösser fallen. Jisung folgt ihm zum Empfangstresen. Nach einem großen Seufzer öffnet Minho endlich seinen Mund. "Ich habe zu viele Donuts bestellt, und ich kann sie nicht alle alleine essen", gestand er. Wie aufs Stichwort fängt er an, sich mit einer rosa Zuckerbombe vollzustopfen.

"Nicht dein Ernst oder?" Jisung stöhnt und lässt sich auf den zweiten Stuhl hinter dem Tresen fallen. Aber erst da begriff er die Dimensionen von "zu viel". Drei Kisten waren unangetastet und eine angefangen, gefüllt mit allen erdenklichen Arten von Donuts, die sich die Menschheit vorstellen kann.

"Wie zum Teufel bestellt man..." Jisung zählte: "48 verdammte Donuts... aus Versehen?"

Minho zuckt mit einem breiten Lächeln die Schultern. "Ich habe die Beschreibung auf Doordash nicht gelesen..." Er pustet sich eine seiner schmutzigen blonden Strähnen aus den Augen und schluckt, bevor er wieder spricht. "Willst du einen Eiskaffee?"

"Doordash?? Das muss doch mindestens ein Monats Gehalt in Dunkin' verballert sein!" Jisung nahm den Kaffee. "Du dummer Hund...", murmelte er und nahm einen Schluck.

Die Theke war der Ort, an dem Minho die meiste Zeit verbrachte. Jetzt hat er die Beine auf einen winzigen Schreibtisch mit Rädern gestützt und beobachtet das Flackern der Überwachungskameras. Der Bruder hatte Glück mit diesem Job.

Aber ehrlich gesagt verstand Jisung nicht, wie er hier arbeiten konnte. PeasoPaint. Sie stellen Farbe und Dosen her. Minhos Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, nachts die veralteten Maschinen zu überwachen. Das Unternehmen hat vor kurzem sein Geschäft erweitert und dieses alte Fabrikgebäude gekauft. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch nur einen Cent ausgegeben haben, um die Sicherheits- und Sauberkeitsanforderungen zu erfüllen. Also spielt Minho den großen Wachhund für sie, umzu vertuschen was wirklich abging.

"Wie läuft die Arbeit so weit?" Fragte Jisung mit vollem Mund.

"Solide 4 von 10", antwortet Minho. "Ich wollte mir den Kampf heute Abend wirklich ansehen, aber das Wlan ist schon wieder tot."

"Hast du eine Nachricht für die Techniker hinterlassen?"

"Natürlich", rührt Minho in seinem Kaffee und lässt die Eiswürfel nach seinem Willen tanzen. "Aber heute kriegt man nicht mal ein Signal", murmelt er. "Ich schwöre bei Gott, dieser Ort ist wie verhext."

Jisung fand sich mit der Tatsache ab, dass sein Donut einen leicht salzigen Geschmack hatte. Es brannte in seiner Kehle.

"Aber deshalb bist du ja hier, um mich zu unterhalten." Minho lachte über den sauren Blick, der ihn traf.

Jisung versucht, das Gefühl in seinem Hals mit Kaffee herunter zu spülen. Aber er verschluckt sich und ein heftiger Husten schüttelt seinen Körper.

"Herrgott, beruhige dich!" Minho klopft ihm auf den Rücken, kann sich aber ein Lachen nicht verkneifen. "Kein Grund, sich so aufzuregen."

"Leck mich", keucht Jisung. Er ist nur knapp dem Tod entkommen. Jisung konnte sein Getränk allerdings nicht retten, stattdessen muss er es wohl umgestoßen haben.

"Das merken die schon nicht", sagte Minho mit einem kurzen Blick auf die Sauerei auf den einst weißen Fliesen. Nun, sie waren sowieso grün verschimmelt. Aber vielleicht ist das auch nur das Licht. Ein bisschen Kaffee wird keinen großen Unterschied machen.

"Ich hole Papierhandtücher." Minho stand auf. Ein tiefer Seufzer verlässt Jisung's Lippen. Ich schätze, ich schlafe heute Nacht bei ihm. Er wippt in seinem Stuhl, die Turnschuhe so weit wie möglich von dem Problem entfernt.

"Moment mal..." Er bemerkt etwas. Das verpixelte Bild der Überwachungskamera begann sich zu verzerren. Jisung nimmt die Maus und klickt in den Einstellungen herum. Aber nichts. Was ist denn jetzt los? Plötzlich wird das Bild wieder normal. Jisung zögert. "Alles klar?"

Ob er mit dem Bildschirm oder sich selbst redete, wusste er nicht genau.

Das Schweigen reicht als Antwort und Jisung lässt endlich seinen angehaltenen Atem los.











Fortsetzung folgt...

bro ich hab das gefühl der lese-flow is richtig abgehackt...
vielleicht bilde ich mir das auch ein.

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