KAPITEL 1

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dortmund, deutschland
august 2020

🗒️ — Fahrstunde 1 [ GIO & LUKASZ ]

point of view
lukasz

"Keine Sorge. Ich hab mich gestern etwas mit Mr. Google weitergebildet. Die Stunde heute wird ein Kinderspiel!", versicherte mir Gio. Ich machte es mir gerade auf dem Beifahrersitz bequem und blickte zufrieden zum Amerikaner.
"Gut, umso schneller du den Lappen hast, umso schneller krieg ich Mats Wagen!", meinte ich und stützte meinen Unterarm dann auf der Ablage zwischen den beiden Vordersitzen ab.
"Dann stell mal die Beine richtig hin!", fuhr ich fort und sah in den Fußraum, in welchem sich Gios weiße AirForce hervorragend von der schwarzen Matte absetzten. Gios Füße schoben sich nach vorne und lagen dann auf de Bremse und dem Gaspedal.
"Mhm"
Ich ahnte, worin Gios Fehler gründete und wies ihn daraufhin, dass das ein Automatikgetriebe war.
"Warum fahr ich Automatik? Ist es nicht sinnvoller erst einmal Schaltwagen zu lernen?"
"Ja, aber dafür müsste ich mir einen Schaltwagen zulegen und ich sehe nicht ein 20.000 aus dem Fenster zu werfen für einen Wagen, den ich danach so oder so nie wieder benutze. Kein Schwein fährt freiwillig Schalt und du verdienst genug, um dir auch gleich einen Automatik zuzulegen!", erklärte ich ihm, woraufhin er meinte: "Mein Vater meint Automatik sei langweilig!"
Ich sah zu Gio hoch und entgegnete: "Lern erst einmal Automatik und, wenn du danach wirklich noch das Bedürfnis verspürst Schaltwagen zu lernen, dann verspreche ich dir, dass ich Marcel überrede, dass er mir seinen alten Wagen ausleiht und ich bringe dir schalten bei!"
"Ist dein Porsche nicht auch Schalt?"
"Du wirst meinen Porsche niemals fahren, Gio!", stellte ich klar. Gio schürzte beleidigt seine Lippen, aber ich blieb meiner Entscheidung treu. Auch, wenn ich kein Autofanatiker war, wusste ich, wie viel mich der Porsche gekostet hatte und ich würde sicherlich keinen Fahranfänger damit fahren lassen.
"Also, linker Fuß auf die Ablage. Du brauchst für den Automatik nur rechts!"
"Voll langweilig!", beschwerte sich Gio. Ich hatte dafür nur ein trockenes Lachen übrig, denn momentan standen wir lediglich auf dem BVB Parkplatz und hatten uns noch keinen Zentimeter bewegt. Ich war mir sicher, dass Gio es auf der Straße wertschätzen würde, dass er sich nicht noch mit der Kupplung auseinandersetzen musste.
"Also so?"
Gio legte den rechten Fuß brav auf das Gaspedal.
"Ja, aber wenn du den Wagen starten möchtest, muss der Fuß auf der Bremse liegen!"
Und dann schoß sein linker Fuß wieder auf die Bremse.
"Nein, was tust du mit dem linken Fuß? Pack den weg, ich hab gesagt, du brauchst nur rechts!"
"Aber du hast gesagt, dass ich die Bremse drücken muss!"
"MIT RECHTS!", wurde ich das erste Mal etwas lauter. Mittlerweile hing ich schon mit dem halben Oberkörper in Gios Autohälfte und schob sein linkes Bein jetzt eigenhändig auf die Ablage.
"Da bleibt er. Die GANZE Zeit!", stellte ich klar und sah Gio warnend an. In seinen Augen funkelte etwas, wovon ich wusste, dass es mir nicht gefallen würde. Als würde er etwas im Schilde führen.
"Ich schwöre dir Gio. Die Straße ist kein Spielplatz. Mach keinen Quatsch!", mahnte ich. Gio atmete enttäuscht aus und nickte dann, wie ein trotziger Teenager. Ich ließ mich wieder mit dem Hintern auf den Beifahrersitz fallen und nickte mir dann zu.
"Okay, dann starte mal den Wagen!"
Gio nickte und im nächsten Moment drückte er auf Gas.
"Warum zum Teufel drückst du auf Gas?"
"WEIL DU GESAGT HAST, DASS ICH DEN WAGEN STARTEN SOLL!", schrie mir Gio mit piepsender Stimme entgegen.
"JA STARTEN. Motor anmachen!", antwortete ich mit derselben Lautstärke. Gios Mimik fiel in sich zusammen.
"Ah, der ist noch nicht an? Ist das nicht einer von diesen fancy Wangen, die ohne Schlüssel angehen?!"
"Kein Wagen geht ohne Schlüssel an!"
"Doch, der von Erling braucht keinen!"
"Erling braucht den Schlüssel nirgendwo mehr einzustecken, aber einen Schlüssel braucht er trotzdem. Das Auto muss doch irgendwie gesichert sein, sonst könnte sich jeder reinsetzen und einfach losfahren", versuchte ich Gio zu erklären. Der Amerikaner blickte mich skeptisch an, als würde ich ihm gerade davon erzählen, dass die Erde eine Scheibe war.
"Und was soll ich dann machen?"
"Den Knopf drücken!", erklärte ich und drückte den Knopf neben dem Lenkrad dann selbst, weil mir alles ein bisschen zu langsam war.
"Das ist doch ein Mercedes. Jude meinte, du hättest einen SUV!", murmelte Gio und deutete auf das Mercedes Logo, welches auf dem Bildschirm aufleuchtete. Ich brauchte einige Sekunden, um seinen Gedankengang einigermaßen folgen zu können und fragte schließlich: "Gio, was denkst du ist SUV?"
"Automarke?"
Ich nickte mir selbst bestätigend zu und weinte innerlich schon meinem Auto hinterher, dass ich wohl bei dieser Wette verlieren würde.
"Okay", flüsterte ich gequält und sah aus dem Fenster.
Draußen hatte sich die ganze Mannschaft am Parkplatzrand aufgestellt, um die ersten Fahrversuche eines Gio Reynas zu beobachten und anschließend auch die eines Jude Bellinghams mit dem sich Mats nach uns rumschlagen dürfte. Es war in Gios Sinne, dass die Fenster dicht verschlossen waren, dass uns keiner hören konnte, denn die Gespräche, die wir hier gerade führten, sollten wirklich zensiert werden.
"Meintest du nicht, dass du gestern etwas gegoogelt hast?", wunderte ich mich und kratzte mich dabei möglichst unschuldig am Hinterkopf.
"Ja, wie schnell man auf der Autobahn in Deutschland fahren darf und so!"
Ich stockte. Autobahn?
"Denkst du, wir fahren heute Autobahn?"
"Ja, wenn es gut läuft!"
Ich verkniff mir einfach den Kommentar, dass es alles andere als gut lief, eher beschissen (fett geschrieben und unterstrichen) und ließ Gio im Glauben, dass er sich nicht ganz so dämlich anstellte, wie er es in Wahrheit tat.
Ein Klopfen auf meiner Seite ließ mich zusammenzucken. Ich sah nach rechts und entdeckte Mats Gesicht ein bisschen zu nah an der Fensterscheibe. Er machte eine Handbewegung, dass ich das Fenster öffnen solle, was ich auch tat.
"Was willst du?", fragte ich grob. Mats Mundwinkel zuckten kurz zu einem schadenfrohen Grinsen hoch. Er kannte mich nach all den Jahren gut zu genug, um zu wissen, dass dieser Ton bei mir bedeutete, dass mein Geduldsfaden bis auf einige wenige Zentimeter abgebrannt war. Aus seiner Perspektive war das natürlich perfekt.
"Fahrt ihr heute noch los? Jude und mir schlafen bald die Beine ein! Wir haben eigentlich erwartet, dass Gio heute noch ein paar Donuts dreht!"
"Niemand dreht hier heute irgendetwas, außer das Lenkrad!"
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Gio versuchte das Lenkrad zu drehen und meinte kühl: "Es ist verriegelt, lass das Ding los!"
Mats lachte, als ich ihm einen hilfesuchenden Blick zuwarf. Worauf hatte ich mich da eigentlich eingelassen?
"Mats, geh jetzt weg. Ich fahr gleich los!", rief Gio und umfasste mit beiden Händen das Lenkrad.
"Lass dir Zeit, dauert noch", murmelte ich aber und ließ die Fensterscheibe wieder hochfahren. Ich wandte mich Gio zu, der wieder seinen linken Fuß benutzte.
"Links auf Ablageeeee!", brummte ich und schubste seinen Oberschenkel wieder nach links.
"Dein Wagen fährt nicht los!"
"Ja, weil du noch in der P-Stellung bist. Da fährt der auch nirgendwohin!"
Gio stöhnte.
"Ey, die machen Autofahren auch so unnötig kompliziert. Ich sage es dir!"
Wir waren noch nicht einmal losgefahren
"Komm, wir müssen langsam los. Vom Rumstehen lernt man nichts. Stell den Hebel auf D!"
Ich zeigte auf den Hebel zwischen uns. Gio umfasste ihn mit seiner Hand und riss ihn dann mit aller Kraft nach hinten. Vor meinem inneren Auge sah ich ihn schon durch den Innenraum des Autos fliegen.
"Nicht so aggressiv, du reißt ihn noch aus!", rief ich: "Da ist ein kleiner Knopf. Drück den runter, dann kannst du den geschmeidig bewegen!"
"Ja, sag das doch gleich!", grummelte Gio. Er drückte den Knopf, ließ ihn direkt wieder los und wollte den Hebel wieder nach hinten reißen.
"Du musst den Knopf gedrückt halten!"
"Boar Junge, du musst dich echt anfangen klarer auszudrücken, sonst wird das nichts mit dem Fahren Lernen"
"Genau, ich bin das Problem", flüsterte ich ganz leise. Ich wusste nicht, ob Gio es hörte, aber falls er es hörte, reagierte er darauf nicht. Er drückte den Knopf erneut und konnte diesmal den Hebel auf D stellen.
"Ich fahr trotzdem nicht", beschwerte er sich.
"Du musst auch von der Bremse runter!"
"Und dann auf Gas?"
"NEIN!", schrie ich. So, wie sich die letzten Minuten gestaltet hatten, blieben wir heute beim Schritttempo.
"Einfach nur von der Bremse runter. Ganz langsam, damit du ein Gefühl dafür entwickelst!"
Gio nickte und ich beobachtete von meiner Position, wie er in einem Mal seinen Fuß von der Bremse nahm. Wir fuhren ein paar Meter im Schritttempo vor, ehe wir abrupt abgestoppt wurden, dass ich fast das Amaturenbrett mit meinem Gesicht geküsst hätte, hätte ich mich nicht noch mit meinen Händen aufgefangen.
"WTF was war das denn?", zischte ich und drückte mich vom Armaturenbrett weg.
"Junge, das war mir gerade zu schnell!", keuchte Gio und ließ seinen Hinterkopf gegen die Kopflehne fallen. Ich wollte im ersten Moment etwas freches entgegnen, aber Gio schien wirklich etwas eingeschüchtert, weswegen ich den Kommentar für mich behielt. Ich musste mich selbst daran erinnern, dass dies das erste Mal für ihn war hinter dem Steuer zu sitzen und wie einschüchternd das Prinzip des Autofahrens auf mich gewirkt hatte, als ich meine ersten Meter gefahren war.
"Du musst die Bremse ganz langsam loslassen. Dann wird der Wagen auch ganz langsam immer schneller. Aber schneller als Schritttempo wird das nicht, keine Sorge. Wenn du nicht aufs Gas drückst, bleibst du beim Schritttempo!"
"Sicher?"
"Sicher!"
"Okay", flüsterte Gio. Er startete den zweiten Versuch und lockerte seinen Fuß diesmal ganz langsam von der Bremse und wenn ich meinte ganz langsam, dann war es wirklich sehr, sehr, sehr, sehr, sehr langsam. Kurzzeitig schloss ich sogar meine Augen und sprach mir selbst zu, dass das okay war. Nach gefühlten Stunden fuhren wir dann im Schritttempo über den Parkplatz. Ich sah zu Gio, dessen Augen weit aufgerissen waren.
"Gio, ruhig, du fährst gerade das erste Mal Auto!", lobte ich ihn. Gio hechelte ein nervöses Lachen. Ich sah aus dem Fenster zur Mannschaft und bemerkte, wie vereinzelte ihre Hände im Applaus zusammenschlugen.
Gio fuhr drei Runden im Schritttempo um den Parkplatz. Immer wieder bremste er ruckartig ab und rüttelte mich dabei ordentlich wach, dass ich mir sicher war, dass ich heute keinen Kaffee mehr bräuchte.
"Warum bremst du die ganze Zeit?"
"Weil ich Angst habe, dass ich die Jungs überfahre!", erklärte Gio und zeigte dann vor uns zur Mannschaft, die gut 100 Meter von uns entfernt stand.
"Gio, in welcher Welt solltest du sie überfahren? Mit dem Tempo sind die Jahrzehnte von uns entfernt!"
"Ich achte einfach auf meine Mitmenschen, okay? Ich bin ein emphatischer Mensch!"
Ich zog meine Augenbrauen zusammen, aber befand, dass ich dieser Aussage nicht weiter auf den Grund gehen würde.
"Willst du vielleicht mal Gas..."
"NEIN!", rief Gio: "Ich find das gut so."
"Okaaaay", sang ich und lehnte mich zurück. Mein Handy leuchtete auf meinem Schoss auf. Mats Gesicht füllte den Display und ich nahm den Anruf an.
"Ja?"
"Junge, gebt mal Gas? Euch zuzuschauen, ist langweiliger als Titanic!"
"Wir machen es in unserem Tempo. Wenn es dir nicht gefällt, musst du nicht zuschauen!", verteidigte ich Gio. Mats brummte, aber legte dann wieder auf.
Gio fuhr noch sechs weitere Runden auf dem Parkplatz. Seit Runde vier war ich angeschnallt, aber mittlerweile trotzdem tief in den Sitz gerutscht und immer wieder dabei einzunicken, aber geschehen tat es nie, denn dann malträtierte Gio wieder die Bremse und ich war hellwach.
"Neun Runden. Passt zum BVB. Das reicht für heute", murmelte ich irgendwann.
"Soll ich zwischen Marcos und Schnelles Wagen parken?", schlug Gio vor und mir entfloh ein Lachen. Bei Gios abrupten und abgehackten Lenkbewegungen war ich mir nicht sicher, wie viel von den Autos übrigbleiben würde, wenn er zu parken versuchte.
"Das mit dem Parken heben wir uns für wann anders auf. Stell dich einfach da bei der Ausfahrt hin. Da ist es komplett leer!"
Ich zeigte auf die eine Parkspur, die völlig leer war, weil mittlerweile auch ein großer Teil unserer Teamkollegen nach Hause gefahren waren. Neun Runden im Schritttempo waren wohl ein bisschen zu viel Monotonie.

A/N
Die Fahrstunden werden abwechselnd beschrieben werden
dieses Kapitel Gio & Lukasz. Nächstes Jude & Mats.
ich hoffe euch gefällt das Kapitel
ich würde mich wirklich über Feedback freuen
🤍🍂🤍

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