KAPITEL 18

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dortmund, deutschland
december 2020

point of view
gio

"Fuck, fuck, fuck, geh ran, geh ran, geh ran!", flehte ich und wählte mit zitternden Fingern wieder die Ruftaste auf Lukaszs Kontakt, während ich zu ihm nach Hause rannte. Endlich nahm er an.
"Gio?", fragte er ins Telefon.
"Lukasz? Endlich, Lukasz, Lukasz, ich brauch dich. Es ist was Schreckliches passiert!", hechelte ich ihm entgegen und versuchte möglichst gefasst zu klingen, aber meine Stimme bebte unaufhörlich, seit Judes Mutter mich angerufen hatte.
"Gio, was ist los mit dir?", wollte Lukasz wissen: "Du klingst total aufgelöst!"
"Es ist Jude...", keuchte ich und musste stehenbleiben. Ich schnappte hektisch nach Luft und fasste mir an die Brust.
"Jude... er... er hat das Auto von seiner Mutter genommen und ist losgefahren, ohne Mats. Er ist alleine losgefahren. Ich glaube Mats und er haben sich gestritten, seine... uhm seine Mutter meinte, dass Jude bei Mats war... Fuck, Jude fährt alleine Auto. Jude hat keinen Führerschein. Jude darf nicht alleine fahren!"
Kurz weilte das Schweigen von Lukaszs Seite. Ich stemmte meine Hand auf mein Knie und atmete tief durch.
"Ich hab seinen Standort auf einer App!", gab ich zu. Jude und ich hatten uns einst mal eine App runtergeladen, wo wir uns unseren Standort teilten, falls wir einander auf einer Party verloren. Ich hätte niemals gedacht, dass sie mir außerhalb eines Clubs helfen könnte.
"Komm zu mir, wir fahren los!"
das war genau, was ich hören musste
"Ich bin schon auf dem Weg!", murmelte ich und lief dann wieder los.
Als ich bei Lukasz ankam, stand sein Eingangstor schon offen und er stand in der Einfahrt zwischen seinen beiden Autos. Ich lief ihm geradewegs in die Arme und presste mein Gesicht in seine Schulter.
"Ich hab ihn heute auch noch so angezickt!", hauchte ich gegen seine Schultern und schloss meine Augen, als ich spürte, wie er seine starken Arme um mich schob und mich fest an sich drückte.
"Du kannst nichts dafür.", hauchte er mir ins Ohr. Ich verdrückte eine Träne, aber dann kam mir wieder in den Sinn, dass Jude gerade alleine auf der Straße Auto fuhr und ich drückte mich schnell von Lukasz weg.
"Los jetzt!", flehte ich.
Wir verteilten uns auf die beiden Autoseiten, diesmal mit dem Unterschied, dass Lukasz fuhr und nicht ich. Das Rausfahren aus der Einfahrt gelang ihm beim ersten Anlauf und das Wenden auf der Straße funktionierte bei ihm auch reibungslos, dementsprechend war das eindeutig die richtige Entscheidung.
Ich lotste Lukasz, dirigierte ihn auf die Autobahn, auf welcher Jude fuhr. Irgendwann sah ich auf den Tacho und schluckte schwer, als mir auffiel, dass wir 200km/h fuhren. Mit dem Tempo schien es, als würden die anderen Autos auf der Autobahn in einem Schneckentempo fahren. Aber Lukasz schien ein sicherer Autofahrer. Sicher sein konnte ich mir aber nicht. Das war das zweite Mal, dass er mit mir fuhr.
"Er fährt runter. Gleich... in zwei Kilometer. Er ist nur noch zwei Kilometer entfernt!", murmelte ich und schob den Schnürsenkel meines Hoodies wieder zwischen meine Lippen, auf dem ich die ganze Zeit herumkaute.
Lukasz wählte ein ziemlich gefährliches Manöver, indem er von der linken Spur direkt auf den Ausfädelungsstreifen raste und der graue Wagen hinter uns hupte auch laut, aber wir bauten keinen Unfall und das war das einzige, was in diesem Moment zählte.
"Er wird langsamer, er ist irgendwo zwischen Häusern. Also, er ist jetzt rechts...", lotste ich Lukasz weiter. Mit einer abrupten Bremse blieben wir bei der nächsten roten Ampel stehen, dass es uns durchrüttelte.
"So bremst man aber nicht!", murmelte ich. An sich war mir nicht nach Lachen zumute, aber wenn ich nervös war, machte ich manchmal dumme Witze. Lukasz schnaubte ein kurzes Lachen hervor, wurde dann aber wieder ernst. Seine Finger tippelten nervös auf dem Lenkrad herum, während wir ungeduldig warteten, bis die Ampel wieder grün wurde.
"Jude war also bei Mats?", fragte Lukasz: "An Mats Geburtstag?"
"Mhm"
Lukasz nickte und gab dann wieder Gas, als es grün wurde. Leider nur blieben wir hinter einem unfassbar langsamen Wagen stehen. Da auch die Gegenspur überladen von Autos war, hatte Lukasz diesmal keine Möglichlichkeit zu überholen.
"Jezus jetzt fahr doch!", schrie er und hupte ein weiteres Mal, aber der grüne Audi wurde nicht schneller.
"Wieder rechts!"
Lukasz bog an der nächsten Kreuzung scharf nach rechts ab und wir fuhren in eine Wohnsiedlung hinein, die zu dieser späten Stunde aber wie leergefegt war.
"Er bewegt sich nicht mehr!"
"Vielleicht ist er stehengeblieben, vielleicht ist der Tank leer"
"Jetzt links!", murmelte ich und sah auf. Irgendwo hier musste Jude stehen. Wir befanden uns in seinem unmittelbaren Umfeld. Ich suchte auf dem Bürgersteig und schließlich fiel mir ein Auto auf, bei welchem die Scheinwerfer noch an waren.
"Da!", rief ich und zeigte vor uns. Lukasz fuhr weiter vor und hielt dann in zweiter Reihe direkt neben Jude.
"Ja, das ist er!", rief ich erleichtert. Ich sprang aus dem Auto raus und schlug wild auf die Fensterscheibe auf Judes Seite. Der Brite zuckte verschreckt zusammen. Seine Augen weiteten sich, als er mich entdeckte, aber zu meinem Glück öffnete er die Tür, als ich ihm das anzeigte.
"Scheiße Gio, was machst du hier?", schnaubte er. Seine Augen waren geschwollen und rot — er hatte geweint und ich schätzte mal, dass Mats seinen Teil dazu beigetragen hatte.
"Deine Mutter hat mich angerufen, dass du ihr Auto genommen hast. Du kannst doch nicht alleine fahren, Jude. Wir haben keinen Führerschein. Du hättest sterben können!", murmelte ich und fiel ihm dann um den Hals. Jude klammerte sich sofort an den Stoff meines Hoodies und presste sein Gesicht in meine Halsgrube. Ich verstärkte auch meinen Griff um ihn, hoffte, dass er sich auch nur ansatzweise so sicher fühlte, wie ich in Lukaszs Armen.
"Mats ist ein verdammtes Arschloch!", schluchzte er und bohrte seine Finger noch tiefer in den Stoff meines Hoodies. Ich sagte nichts, sondern erlaubte Jude einfach in meine Halsgrube zu weinen. Durch die zweite Fensterscheibe bemerkte ich Lukaszs Wagen, der sich in eine Parklücke auf der anderen Straßenseite quetschte.
Es tat gut zu wissen, dass er da war. Ich fühlte mich irgendwie sicherer, wenn ich wusste, dass er bloß auf der anderen Straßenseite wartete.
"Wie bist du hier überhaupt hin?", flüsterte Jude und wischte sich über die Augen.
"Lukasz", murmelte ich und sah zu ihm. Der Brite lachte leise: „Wer sonst?!"
Wir umarmten uns wieder, bis Jude sich irgendwann von mir löste.
"Du kannst mich morgen gerne dafür zur Sau machen, aber nicht heute. Ich hab heute schon einen beschissenen Tag genug!", meinte Jude dann. Ich verstand ihn im ersten Moment mal nicht, denn ich hatte ihn in meinem ganzen Leben noch nicht wirklich angeschrien, aber dann fiel mir der Schatten neben mir auf. Ich drehte mich um und entdeckte Lukasz, der hinter mir stand.
"Ich will dich nicht zur Sau machen, weder heute, noch morgen. Ich will dir nur sagen, dass du deine Mutter anrufen solltest, sie wird bestimmt verrückt vor Sorge!", erklärte er mit gewohnt ruhiger Stimme.
"Meine Mum", murmelte Jude etwas benommen: "Stimmt, meine Mum!"
Er fummelte im Innenraum des Autos herum und bekam schließlich sein Handy zu greifen. Ich ging gemeinsam mit Lukasz einige Schritte zurück, um Jude mehr Privatsphäre zu geben, während er seine Mutter anrief.
"Mats hat ihm wohl doch ein bisschen Autofahren beigebracht!", flüsterte Lukasz. Ich sah zu ihm. Ohne wirklich zu überlegen, ob es angemessen war oder nicht, ließ ich mich in seine Arme sinken und presste mein Gesicht an seine Brust. Er war im ersten Moment ein wenig überrascht, aber dann legte er seine Arme um mich. Seine Finger strichen durch meine Haare und hielten meinen Kopf dicht bei sich. Wir sagten nichts, aber ich wollte auch nicht sagen oder hören. Ich wollte gerade einfach, dass er mich hielt.

"Könnt ihr mich nach Hause bringen? Meine Mum und ich holen das Auto morgen, meinte sie!"
Als Jude aus dem Auto stieg, hob ich meinen Kopf von Lukaszs Brust.
"Klar", antwortete der Pole. Und so fuhren wir gemeinsam mit Jude zurück. Ich nahm mit ihm auf der Rückbank Platz, aber wirklich viel interagieren taten wir nicht. Wir setzten Jude bei sich Zuhause ab und blieben so lange vor seinem Haus stehen, bis ich sah, wie seine Mutter ihn in ihre Arme schloss. Dann erst fuhr Lukasz wieder los.
"Du musst mir ein bisschen den Weg weisen zu dir. Ich kenne mich bei Jude in der Gegend nicht aus!", murmelte Lukasz vom Beifahrersitz. Ich sah durch die beiden Vordersitze zu ihm.
"Kann ich heute vielleicht bei dir schlafen?", murmelte ich dann verschlafen: "Ich... ich möchte heute nicht wirklich alleine sein!"
"Okay", nickte Lukasz und gab dann seine eigene Adresse in das Autonavi ein. Ich nickte auf dem Weg zu ihm etwas weg und wurde erst wach, als das Rauschen des Motors verstummte. Lukasz öffnete mir die Tür und ich kletterte mit ihm heraus.

Als Profisportler gab es ein Gefühl, was man nur allzu gut kannte: Müde zu sein aber zu viel Adrenalin im Körper zu haben, um zu schlafen.
Lukasz und ich befanden uns gerade in solch einer Grauzone zwischen wach und müde, die ich eigentlich nur von Phasen nach Spielen kannte.
"Uhm möchtest du... was trinken? Ich kann Wasser aufstellen, wenn du möchtest!"
Lukasz und ich standen etwas verloren im Flur. Er drehte sich zu mir und in der Bewegung fiel ihm eine dicke Strähne aus der restlichen Frisur vor seine Augen. Ich strich sie ihm aus dem Gesicht hinter sein Ohr, als hätte ich es schon unzählige Male zuvor getan und auf seine Lippen floh ein kurzes Lächeln. Ich strich mit meinem Fingerspitzen über seine Wange. Seine Haut war noch zarter, als ich es erwartet hatte. Lukasz schob sein Gesicht in meine Handfläche und schloss seine Augen.
"Gio, ich..."
bitte sag mir jetzt nicht, dass ich dich loslassen soll
Lukasz öffnete seine Augen. Sein Blick traf auf meinen. Das blau schien heute ein bisschen klarer, als sonst. Er rieb sein Gesicht gegen meine Handflächen und lehnte sich etwas vor, bis ich seinen Atem schon in meinem Gesicht spüren konnte.
"Was machst du nur mit mir?", wisperte er. Seine Nasenspitze stieß mit meiner zusammen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich glaubte, dass Lukasz auch keine Antwort von mir erwartete.
"Du stellst alles bei mir Kopf", fügte er hinzu. Seine Augen waren durchtränkt von Wehmut, aber zeitgleich lehnte er sein Gesicht noch tiefer in meine Handfläche.
"Ich hab mich doch eigentlich so gut im Griff, aber wenn's um dich geht, dann hab ich nichts mehr im Griff!"
Mit dem Daumen fuhr er über mein Kinn und legte seinen Blick deutlich auf meinen Lippen ab.
"Fuck", hauchte er und schüttelte leicht seinen Kopf. Dann beugte er sich vor und ich schloss meine Augen gerade noch rechtzeitig, bevor seine Lippen sich auf meine legten.
Ich hatte mir manchmal vorgestellt, wie es wohl wäre Lukasz zu küssen, ob seine Lippen weich waren oder rau, ob er schüchtern war oder nicht. Jetzt wusste ich. Seine Lippen waren weich, aber dafür waren seine Bartstoppeln unter meinen Fingern rau. Sein Kuss war zart, aber trotzdem bestimmt genug, um mich gegen die Wand zu schieben. Er war einvernehmend, nicht, wie die zwei Typen, die ich in einer dunklen Ecke in einem Club geküsst hatte. Das war was anderes. Das war etwas, worauf ich Monate gewartet hatte und ein Gefühl von dem ich dachte, dass ich niemals erfahren würde, wie es war es zu fühlen.
Meine Gedanken waren so wirr. Ich wusste nicht, worauf ich mich konzentrieren sollte. Auf seine Finger in meinen Haaren, sein pochendes Herz unter meiner Hand oder seinen Arm um meine Hüften?
Als wir uns voneinander lösten, hatte ich das Gefühl, als würde mein Körper brennen. Lukasz war mir so nah, dass wir die gleiche Luft atmeten, alles, was ich roch, war er und alles, was ich sah, war er und alles was ich wollte, war er. Ich küsste ihn wieder. Meine Fingerspitzen wussten gar nicht, was sie von ihm berühren wollten, jeder Zentimeter seines Körpers klang aufregend.
"Gio... ich..."
Lukasz brach den Kuss ab.
"Ich werde nicht mehr mit dir machen, als dich zu küssen!", ließ er mich wissen. Ich schluckte schwer und inspizierte ihn.
"Zumindest nicht heute", fügte er hinzu. So hörte es sich schon besser an. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, was nur dadurch unterbrochen wurde, dass Lukasz seine Lippen wieder auf meine legte.

🚗
die Geschichte ist ab heute volljährig haha
eigentlich hatte ich ein oder zwei Weihnachtskapitel geplant gehabt, aber im Januar hab ich da keine Lust mehr drauf und mein Dezember war einfach zu voll gewesen, um zu schreiben
zudem muss die Storyline auch mal vorab kommen
was zwischen Jude & Mats vorgefallen ist, erfahrt ihr dann im weiteren Verlauf
fürs erste könnt ihr euch über Gio & Lu freuen haha

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