KAPITEL 13

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dortmund, deutschland
november 2020

point of view
mats

"Hab eine Unterhose im Badezimmer gefunden!"
Ich sah bei Marcels Worten auf und entdeckte ihn wenig später im Türrahmen zu meiner Küche, mit einem Rüschen-Höschen, welches ihm von der Spitze seines Zeigefingers hing.
"Bisschen klein für dich, oder nicht?", schnaubte Lukasz lachend und schob sich dabei eine kleine Tomate in den Mund, während Marcel mit dem Höschen an meine Seite trat und es mir vor die Nase hielt.
"Boar alter Schmelle, ich koche!", beschwerte ich mich und duckte meinen Kopf weg. Marcel folgte mit seiner Hand meinen ausweichenden Kopfbewegungen und ignorierte meine Beschwerden, bis schließlich das unvermeidliche geschah: Das Höschen fiel von seinem Finger direkt in die Tomatensauce hinein.
Unsere drei Augenpaare fielen sofort auf den violett-schwarzen Stoff, der sich nun mit der Sauce aufsaugte und immer roter wurde.
"Pizza it is then!", befand Lukasz schließlich und nahm sein Handy aus seiner Hosentasche.
"Ich auch, Salami bitte!", meldete sich Marcel zu Wort. Ich warf einen beleidigten Blick auf meinen Landsmann, aber schloss mich den beiden dann bei der Pizzabestellung an, weil mir auch nicht wirklich nach Höschen-Tomatensauce war. Stattdessen musste ich alles wegwerfen, was ich vor Marcel dann auch als riesige Essensverschwendung kennzeichnete, aber Marcel fragte lediglich: "Weißt du wenigstens von wem das Höschen ist?"
Ich verdrehte meine Augen, aber gab dazu kein Statement ab. Es musste das Höschen von der Dame sein, die ich Sonntagabend in einer Bar getroffen hatte, denn die Bekanntschaft vor ihr lag schon einige Wochen zurück und ich war mir sicher, dass ich das Höschen bemerkt hätte. Sie hieß Vanessa. So viel wusste ich von ihr, aber das war es dann auch. One Night Stands kennzeichneten sich schließlich nicht dadurch, dass man die zweite Partie besser kennenlernte. Sie waren zur reinen Vergnügung und somit auch genau das, was ich suchte. Ich war kein Beziehungsmensch. Niemals gewesen und voraussichtlich würde ich es auch niemals sein.

"Ehrlich, ich würde nicht nach Polen zurückkehren. Ich würde einfach bleiben, vor allen Dingen, weil sie jetzt deine alte Schule abgerissen haben. Das geht gar nicht, ich würde einfach hierbleiben!", befand Marcel und biss dabei in sein Pizzastück. Zwar quoll aus seiner Stimme die Ironie, aber wir wussten alle, dass da genauso sehr viele Funken Wahrheit mitschwangen. Wir wollten nicht, dass Lukasz nach Polen zurückkehrte und je näher sein Abschied aus Dortmund kam, desto unsinniger wurden die Begründungen.
Wenn man über zehn Jahre zusammenspielte, entstand zwangsläufig eine Beziehung zueinander, die mit einer Familie zu vergleichen war. Keiner von uns hatte Angehörige in der näheren Umgebung und somit mussten wir gegenseitig als Angehörige hinhalten. Und Familie ließ man ungerne weiterziehen. Wir hatten den selben Prozess schon mit Mario, Neven, Kuba oder Nuri durchgestanden, bloß war jedes Jahr mehr zusammen, ein Jahr, was uns näher zusammenschweißte und einen Abschied unerträglicher machte. Ich hatte keine Ahnung, wie das sein würde, wenn Lukasz Dortmund verlassen würde. Andere weiterziehen zu lassen, war schon schwer gewesen, aber mit keinem davon hatte ich über zehn Jahre in einem Team gespielt. Die Jahre in München spielten dabei absolut keine Rolle. Oftmals vergaß ich überhaupt, dass ich nicht durchgängig in Dortmund gespielt hatte. Meine Wurzeln lagen vielleicht in Bayern, aber fußballerisch war ich sicherlich im Ruhrgebiet verankert. Und Lukasz gehörte zum Ruhrgebiet, wie Schnee zum Winter gehörte. Mir wurde jetzt schon schlecht, wenn ich daran dachte, dass er zur selben Zeit nächstes Jahr schon lange nicht mehr da sein würde. Er war nicht aus der Welt, aber es fühlte sich ein bisschen so an.
"Weil ich so oft auch in meiner alten Schule bin, oder was?", lachte Lukasz und zog seine Beine an sich heran.
"Du könntest dein Abi nachholen!", meinte Marcel: "Würde dir sicherlich nicht schaden!"
Lukasz streckte ihm beleidigt die Zunge raus und, weil wir alle wieder so frech zueinander waren, hielt ich mich mit meinem Kommentar auch nicht zurück: "Wie willst du überhaupt nach Polen kommen, wenn ich deinen Porsche habe?"
Lukasz sah mit zusammengezogenen Augenbrauen zu mir.
"Ziemlich optimistisch dafür, dass du heute erst deine Nachfahrt machst, huh?", murmelte er. Ich fasste mir gespielt verletzt an die Brust und antwortete: "Immerhin kann mein Kandidat parken!"
"Gio kann auch parken!"
"Mhm, wenn der ganze Parkplatz frei ist!"
Kurz wurde es still, dann fingen wir alle an zu Lachen.
"Wie läuft es eigentlich mit deiner Freundin?", fragte Marcel dann und wackelte verführerisch mit seinen Augenbrauen. Lukasz stöhnte sofort und schüttelte seinen Kopf.
"Sie ist nicht meine Freundin!"
"Jezus, immer noch nicht? Auf wie vielen Dates wart ihr denn schon?", murmelte Marcel.
"Vier!", antwortete Lukasz: "Also gar nicht so vielen, Freundchen!"
"Wie heißt sie denn überhaupt?", wunderte ich mich. Lukasz seufzte.
"Was? Ihren Namen werden wir wohl noch erfahren dürfen!", meinte ich. Lukasz verdrehte seine Augen und antwortete dann: "Phoebe!"
"Und wie ist Phoebe so?", fragte Marcel weiter. Lukasz schien von der plötzlichen Fragerunde nicht wirklich begeistert, aber das musste er aushalten. Von sich aus erzählte Lukasz herzlich wenig. Man musste immer konkret fragen. Ich war mir ziemlich sicher, dass da mehr dahinter steckte, aber wenn mich jemand fragen würde, was genau, könnte ich es nicht beantworteten.
Je älter man wurde, desto besser lernte man bestimmte Kapitel seiner Lebensgeschichte zu verbergen — ich war selbst das beste Beispiel dafür. Jede Familie hatte Geheimnisse. Wir waren nicht anders.
"Sie ist nett", antwortete der Pole knapp.
"Nett ist der kleine Bruder von Scheiße!", warnte ich den Polen, der seine Augen verdrehte.
"Sie ist aber nicht scheiße. Sie ist wirklich nett, lustig auch noch."
"Wann seht ihr euch das nächste Mal?", fragte Marcel.
"Nächste Woche. Ich hab Fahrstunde mit Gio, wo er seine Mutter zum Flughafen bringt und anschließend bin ich mit ihr verabredet!"
"Was ist geplant?", wollte ich wissen.
"Dinner!"
"Der Herr geht fürs Klassische!", grinste ich: "Und dann noch Pläne sie mit nach Hause zu nehmen?"
Lukasz sah mich vielsagend an.
"Wir haben uns noch nicht einmal geküsst, Mats. Falls du also wissen willst, ob ich nächste Woche mit ihr schlafen werde: Definitiv nein!"
"Ihr habt euch noch nicht einmal geküsst?", fragte ich etwas lauter vor Überraschung: "Jesus Christ, wie langsam lässt du es denn bitte angehen?"
In Lukaszs Blick mischte sich eine verletzte Facette und er sagte nichts weiter. Meine Worte taten mir sogleich leid. Ich wusste es besser, als Lukasz so einen Vorwurf zu machen. Er kam nicht gut damit klar, dass er so verschlossen war. Anders als ich hatte er sich sein Single Dasein nicht selbst ausgesucht. Er war eher verdammt dazu, aufgrund seiner Bindungsprobleme, die auf dieses Fragezeichen-Kapitel in seinem Leben zurückzuführen waren.
"Ich hab gehört, dass langsam das neue sexy ist", versuchte ich meine Worte zu retten. Lukasz lächelte schmal, sagte aber trotzdem nichts mehr.

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