Kapitel 21

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Matthews Sicht:

Ich richte meine Krawatte, starre in den Spiegel. Es ist zwei Tage her, seitdem sie von uns gegangen ist. Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. Plötzlich spüre ich die Wärme von der Hand meines Vaters, die beruhigend auf meiner Schulter liegt. "Bist du bereit?" Ich lächle schwach, bejahe mit einer kratzigen Stimme.

Ich starre über den weiten Friedhof. All diese Menschen sind von jemanden gegangen. Jemanden, wie mir und Dad. Jemanden, dem sie viel bedeutet haben. Mein Blick heftet sich auf den braunen Sarg, der von mehreren Leuten getragen wird. Ich erkenne einige Krankenschwestern, die Arbeitskolleginnen meiner Mom. Manche Patienten sind sogar hier versammelt. Alle die sie lieben und verehren. Und auch ich stehe hier. Halte einen schwarzen Regenschirm über meinen Kopf, beiße mir auf die Lippen, um keinen Laut von mir zu geben. Meine Mutter liegt in diesem Grab vor mir. So nah und doch unerreichbar. Tränen fließen mir übers Gesicht. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Stunden geweint habe. Aber ich habe mich selten so alleine gefühlt, wie ich es jetzt tue. Meine Hand fährt über das nasse Holz. Ein kleines Bild, und Blumen sind um das Grab herumgestellt. In meinen Händen halte ich eine rote Rose, die Liebelingsblume meiner Mutter.

"Hab dich lieb, Mom.", flüstere ich sanft und schließe meine Augen. Als ich meine Handfläche öffne und die Rose ihren Platz auf dem Sarg findet, laufe ich davon. Renne über den ganzen Platz, bis ich mich ins Auto sperre. Mein ganzer Körper zittert vor Kälte und Schmerz. Ich weiß nicht, was ich tun, sagen oder machen soll. Alles was in mir bleibt, ist der hallende Kummer, der an meinem Herzen nagt, bis es langsam aber sicher bricht. Mir ist bewusst, dass ich eine Rede halten sollte. Das ich über die Kunst meiner Mom reden sollte, die Art und Weise, wie sie operiert. Das sie eine wahnsinnig tolle Frau und Chirurgin war. Aber auch, wenn ich meinen Mund geöffnet hätte, kein einziges Wort hätte seinen Weg herausgefunden. Ich konnte einfach nicht. Egal, wie sehr ich es wollte. Mein Kopf schmerzt vor Sorge, obwohl das schlimmste eigentlich schon eingetreten ist. Mit zittrigen Atem, starre ich aus dem Fenster, mustere die Menschenmasse, die sich auf dem Friedhof gebildet hat.

Und dann greife ich nach meinem Handy, schalte es zum ersten Mal seid Tagen wieder an. Mein Blick fällt auf die Zahl, die die Anrufe wiederspiegelt. 312. Seufzend lege ich mein Telefon wieder zurück, lasse es aufvibrieren, so oft es kann. Bilder meiner Mutter flackern in meinem Kopf auf, ihre Stimme und ihr glockenhelles Lachen. Gott, ich würde alles dafür geben, um sie noch einmal zu umarmen. Sie noch einmal fest zu halten, ihr zu sagen, wie viel sie mir bedeutet. Ich wünschte, dieser Sommer hätte niemals angefangen. Dann hätte unsere Zeit vielleicht nicht so früh enden müssen. Sie hätte nicht so enden müssen.

Im Hotelzimmer ist es tatsächlich ruhiger, als Zuhause. Morgen habe ich den nächsten Flieger zurück ins Camp. Ich weiß, dass ich Dad vermutlich nicht alleine lassen sollte. Das Mom es für keine gute Idee halten würde, aber ich kenne meinen Vater besser. Ich weiß, wie er tickt. Er wird sich jeden Tag in die Arbeit stürzen, um auch nicht nur eine Sekunde über das Geschehene nachzudenken. In dieser Hinsicht ist er wie ich. Wir reden nicht. Das haben wir noch nie.

Eigentlich, will ich jetzt nichts lieber als alleine zu sein und in meinen eigenen Gedanken zu ertrinken. Aber ich würde diese Stille einfach nicht ertragen. Ich könnte mich selber nicht tragen, meine eigene Last. Meinen Ballast.

Und auch, wenn das alleine sein meistens wie eine Lösung vorkommt, kann es einen genauso sehr verletzten, wie es andere können.

Dear Diary, I fell in loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt