Kapitel 22

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Haydens Sicht:

Wir sind alle zum Mittagessen versammelt, hängen unseren eigenen Gedanken nach. Keiner von den Jungs hat so wirklich Lust, über das vergangene Ereignis zu reden. Was ich völlig verstehe. Auch ich versuche meinen Kopf aufzuschalten und mich durch meine Freunde ablenken zu lassen. Aber das wird immer und immer schwerer, solange ich Matt auf meinem Gewissen habe. Er schleicht wie ein kleiner Geist in meinem Kopf herum, lässt mich ab- und an wissen, dass er immer noch da ist.

Seufzend stelle ich mich ans Buffet und häufe einige Sachen auf meinen Teller. Ein wenig Salat findet auch Platz darauf. Mein Kopf schwirrt, aber ich lasse es mir nicht anmerken. Susan, unsere Hausköchin, lächelt mich herzlich an. "Wie geht es dir, Hayden?" Ihre energische und aufgeweckte Art hatte mich früher schon immer fasziniert. Selbst ihr Lachen ist furchtbar ansteckend und alles was sie kocht, schmeckt einfach wahnsinnig lecker. "Ganz gut, schätze ich Mal." Ein Grinsen legt sich auf meine Mundwinkel. Susan grinst nur verschmitzt zurück und schüttelt ihren Kopf, so dass ihre lockige blonde Mähne etwas in der Luft weht. "Das freut mich zu hören. Wir sehen uns nächstes Jahr sicherlich auch. Ich habe von eurem Gewinn gehört. Die Schlachtführer also, hmm?" Ein Lachen entflieht meiner Kehle. "War eine Last-Minute Entscheidung.", sage ich händegehoben. "Das kann ich mir gut vorstellen." Susan mustert mich freundlich, ehe sie sich kurz entschuldigt und hinter in die Küche marschiert. Man konnte gut mit ihr plaudern und normalerweise hatte sie auch ein klitzekleines Mitbringsel dabei, welches sie ihren Lieblingscampern verteilte. Ich mit eingeschlossen.

Der Nachmittag verlief Recht ereignislos. Eigentlich ist rein gar nichts passiert. Wir sitzen still in der Hütte, vergraben unsere Nasen in Büchern und schweigen. Mein Krimi ist spannender, als die Gedanken in meinem Kopf. Und ich war selten dankbarer für etwas, als das. Gavin ist bei Hazel, ich will mir gar nicht erst ausmalen, was die beiden für unartige Dinge anstellen. Samuel sitzt mir gegenüber, fast genauso fokussiert auf sein Buch, wie ich es bin. Timothy hockt neben ihm, kuschelt sich an seine Schulter. Ich bin mir nicht sicher, was ich verpasst habe, aber die beiden haben gerade die guten Zeiten ihrer nicht offiziellen Ehe. Ein leises Klick lässt mich wissen, dass Gavin zurück ist. Ich bemühe mich erst gar nicht aufzusehen, lese weiter in meinem Buch. Eine Weile lang versinke ich so tief darinnen, dass ich alles andere gar nicht mehr mitbekomme.

"Hey." Stirnrunzelnd sehe ich auf. Sofort richten ich und Samuel uns auf, legen unsre Bücher beiseite. Tim scheint aus seinem Halbschlaf zu erschrecken, als sein Sitznachbar ihn sanft anstupst. "Matthew.", hauche ich kaum hörbar und starre in seine emotionslosen Augen. Gott, da war sie wieder. Diese unfassbare Leere. "Was ist passiert?", wirft Tim neugierig in den Raum herein. "Wieso hast du auf keinen unserer Anrufe reagiert? War dein Akku alle? Ist alles in Ordnung?", bombardiert er weiter. Ich hingegen sehe ihn still an, bringe kein Wort hervor.

"Alles bestens.", räuspert sich Matthew, schiebt seinen Rucksack zur Seite und räumt seine restlichen sauberen Klamotten zurück in seinen Teil des Schrankes. "Willst du mich gerade verarschen? Du warst fast zwei ganze Tage weg, läufst auf und davon. Nur um dann zurückzukommen und uns allen Ernstes vorzugaukeln, dass nichts los ist?", platzt es wütend aus Timothy heraus, der bereits aufgestanden ist. Doch Samuel zieht ihm am Pulloverärmel zurück. "Du willst wissen was los ist?" Matt reckt frustriert sein Kinn, stiert Tim wutentbrannt an.

"Meine Mom ist gestorben, das ist passiert. Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Tim. Aber wenn du gern vorm Grab stehn willst, um den Beweis zu haben. Gerne. Von mir aus buddele sie aus. Tu was du nicht sein lassen kannst, aber Gott, lass mich aus dem Scheißdreck raus." Timothy schweigt. Zum allerersten Mal verhöre ich nicht ein Geräusch. Es ist ein Rauschen von Ruhe. Nichts. Ich höre nichts. Gar nichts. Nicht auch nur einen Atem.

Matt fährt sich durchs verwüstete Haar. "Fuck.", höre ich ihn murmeln, bevor er uns erneut seinen Rücken zudreht und seine Sachen weiter einsortiert. "Matthew, ich..." Tim setzt gerade an zu reden, als Angesprochener ihn wieder ansieht und ihm zum Schweigen bringt. "Ich weiß du meinst es gut, aber bitte lass es einfach sein." Sein Blick fällt auf mich. "Du auch.", wispert er. "Ich will gerade einfach nicht reden. Besonders nicht mit euch. Es heißt nicht umsonst familiär. Okay? Können wir einfach weitermachen?" Ich nicke versteinert, werfe Samuel einen verwirrten Ausdruck zu, welcher mir sofort zurückgeworfen wird.

"Sicher?", hinterfrage ich leise. Matthew scheint es jedoch zu verstehen. "Ja, sehr sogar. Haltet euch da einfach raus." Sein Handy vibriert auf, scheint so als ob jemand ihn anruft. Seufzend nimmt er ab, entschuldigt sich mit einem verkorksten Lächeln und verlässt den Raum. Eine sanfte Stimme ist von drinnen wahrzunehmen, aber ich bin mir nicht sicher, worum es geht. "Geht es ihm gut, oder macht er bloß einen auf tough?" Ich sehe zu Tim, wessen Frage mehr als nur berechtigt ist. "Schätze schon.", erwidert Sam trocken. Aber ich schüttele ungläubig den Kopf. "Nein. Denkt ihr allen Ernstes, einem könnte es bei so etwas gut gehen?", entgegne ich. Tim nickt zustimmend, sieht nachdenklich zu Samuel herüber.

"Du weißt nicht, wie es bei ihm Zuhause aussieht. Manchmal sind Eltern furchtbar erschreckend. Sie können einen genauso lieben, wie sie einen hassen können. Und wenn deine Eltern dich hassen, deine Freunde dich aufmuntern. Dir Halt geben und sagen, dass sie dich lieben." Er legt eine klitzekleine Pause ein, als ob er nicht ganz bereit wäre, die nächsten Worten auszusprechen.

"Dann weißt du irgendwann nicht mehr, wem du glauben sollst."

Dear Diary, I fell in loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt