Kapitel 13 🩸 Tiefe Wunden

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Absolute Dunkelheit umfing mich. So dunkel, dass meine Augen sich nicht daran gewöhnten. Der Druck auf meinem Brustkorb verformte sich zu einem dicken Knoten, der sich immer enger zog. Panisch tastete ich mich am Boden entlang, aber außer dem harten, eiskalten Stein fühlte ich nichts. Die Luft roch modrig und alt. ,,Stefan? Damon? Elijah?", flüsterte ich.

Keine Antwort.

,,Ist da jemand?"

Ich lehnte gegen hartes Mauerwerk und konzentrierte mich darauf, ruhig zu bleiben. Was war passiert? Ich zerbrach mir den Kopf, erinnerte mich aber nur noch daran, Esther das Messer in den Bauch zu stoßen. Danach... Dunkelheit.

Plötzlich flammte eine Fackel auf, die an der Wand hing. Ich erschrak und starrte die züngelnden Flammen an. Hexen. Es kam nur eine Hexe in Frage. Nur eine Hexe hetzte ich gegen mich auf, indem ich ihr ein Messer in den Bauch rammte. Anscheinend mangelte es an meiner Fähigkeit, zu zielen. Katherine Pierce hätte mich ausgelacht. Ich schaffte es nicht einmal, eine uralte wiederauferstandene Hexe zu töten.

,,Meine Mutter möchte dich sprechen." Finn schlich sich an mich heran. Ich hatte ihn nicht kommen hören.

Ich wandte mich ab. ,,Richte deiner Mutter aus, dass ich nicht mit ihr sprechen möchte. Sie soll mich einfach töten, wenn sie sauer ist." Das war mir allemal lieber, als ein weiteres Mal Teil ihres verrückten Plans zu werden.

,,Das wird sie, wenn der Zeitpunkt gekommen ist."

Warum klang das wie eine echte Katastrophe?

Finn legte mir eine Augenbinde um und führte mich durchs Haus. Dabei erwies er sich nicht gerade als guter Führer. Einmal stolperte ich einen kleinen Absatz hinunter, ein anderes Mal lief ich gegen eine Wand, weil er vergaß mir mitzuteilen, dass ich nach links gehen sollte. Nach einer gefühlen Ewigkeit nahm er mir die Augenbinde endlich ab.

Esther lag auf einem Sofa in einem kleinen, kerzenbeleuchteten Raum. Es stank nach Salbei und die Vorhänge waren zugezogen. Das geringe Licht deutete darauf hin, dass draußen Dunkelheit einkehrte.

,,Nimm Platz." Beim Aufsetzen presste sie ihre Hand auf ihren Bauch. Dort vermutete ich stark die Stichwunde und es erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung.

..Ich glaube nicht, dass wir uns viel zu sagen haben."

,,Ich behaupte das Gegenteil." Esther lächelte. ,,Ich sehe schon, dass es nicht genügt, dir zu versprechen, am Leben zu bleiben."

,,Sie meinen, dass Sie mich sonst in den Himmel zurückschicken? Verzeihung, aber mein Leben ist nicht mehr wert als das meiner Brüder. Ich werde niemandes Leben gefährden"

,,Elijah hat dir diesen Unsinn in den Kopf gesetzt."
,,Er hat mich zum Nachdenken angeregt", verbesserte ich. ,,Und er hat Recht. Warum sind Sie so erpicht darauf, ihre Kinder zu töten? Sie meinten, dass Sie ihren Fehler wiedergutmachen wollen. Der sogenannte Fehler, Ihre Kinder in Vampire zu verwandeln. Aber der Tod ihrer Kinder löst nicht das eigentliche Problem. Es wird immer Vampire geben, die sich nicht an die Regeln  halten. Es sei denn..."
Esther sah mich abwartend an, sodass ich nicht lange brauchte, um fortzufahren: ,,Es sei denn das Ende der Urvampire bedeutet das Ende der gesamten Vampirrasse."

Esther nahm einen Schluck Tee. ,,Elijah würde alles sagen, um sein Leben zu retten. Er mag ein edler Mann sein, aber im tiefsten Herzen ist er ein Monster geworden."
,,Und wessen Schuld ist das?"
Esther entschied, meinen schnippischen Kommentar beiseite zu schieben. ,,Dein Eingreifen hat eine erneute Durchführung um exakt einen Monat verzögert, bis zum nächsten Vollmond. Du wirst bestimmt verstehen, dass ich nicht so lange warten werde."
,,Das hatte ich zumindest befürchtet."

Esther tauschte einen vielsagenden Blick mit Finn, der mir nicht gefiel. ,,An Vollmond kann ich die Magie des Mondes nutzen, um meine Kraft zu verstärken. Ohne dieses Ereignis muss ich etwas anderes beziehen."

,,Ich bin nur ein Mensch."

,,Ein Mensch, der seit über einhundert Jahren tot sein sollte", warf Finn (berechtigterweise) ein.

Ich zuckte gleichgültig die Schultern. ,,Und dann? Ich bin nicht mehr tot."

,,Dich mittels Magie zurückzuschicken, reißt erneut ein Loch zwischen die unsrige und die Welt der Toten. So ähnlich wie bei deinem Erwachen. Diese freigesetzte Energie kann ich nutzen."

Ich verstand auf Anhieb. ,,Sie wollen mich opfern." Es hätte mich schockieren sollen, aber das tat es nicht. Neben Finn spielte ich also auch ein Opferlamm. Der Gedanke an meinen bevorstehenden Tod sollte mich mit Angst erfüllen, aber ich war müde und ausgelaugt. Außerdem gehörte ich offenbar nicht mehr in diese Welt. Ich war doch schon tot.

Das Problem war nicht ich selbst, es war die Vermutung, hunderttausende Vampire mit in den Tod zu reißen. Ob Elijah und die anderen uns rechtzeitig fanden? Ich hoffte es. Selbst wenn Klaus mir aus Rache den Kopf abriss, waren wenigstens Damon und Stefan sicher.

Esther wollte aufstehen, aber zu meiner Genugtuung musste sie sich an Finn abstützen. Nach tausend Jahren in einem Sarg war die alte Hexe wohl auch nicht immun gegen alles. ,,Bring unseren Gast wieder nach unten", bat sie ihren Sohn. ,,Sobald ich wieder auf den Beinen bin, führen wir das Ritual durch."

•••

,,Warum hilfst du deiner Mutter?", fragte ich Finn, als wir das Wohnzimmer verließen. Ich versuchte erst gar nicht zu fliehen. Der Mann neben mir war vielleicht nicht gerne ein Urvampir, aber eben immer noch ein solcher.

,,Meine Mutter befreit mich damit von einer uralten Schande", antwortete Finn zu meiner Überraschung. Ich hatte damit gerechnet, dass wir uns weiterhin anschwiegen.

,,Mamasöhnchen", murmelte ich. Finns blinde Loyalität zu seiner Mutter war merkwürdig. Er hatte genügend Geschwister. Wieso verbrachte er so viel Zeit, um Mamas Anerkennung zu erhalten? ,,Hast du dir schon einmal überlegt, dass deine Mutter Unrecht hat? Dass du dich selbst für eine Schande hältst, weil sie es dir eintrichtert? Hab etwas Selbstrespekt und sprich dich mit deiner Familie aus."

,,Mit Geschwistern, die mich 900 Jahre in einem Sarg verrotten lassen?", fragte Finn.

Ich biss mir auf die Zunge. Wie dumm von mir!

,,Meine Geschwister sind Monster. Kurz nach unserer Verwandlung haben sie jede Menschlichkeit verloren. All die Opfer im Namen der Familie. Niklaus hat mich neunhundert Jahre in dieser Kiste verroten lassen und glaubst du, dass auch nur ein einziger meiner Geschwister bereit war, mir zu helfen? Nicht Elijah, der sich als der noble Bruder aufspielt, obwohl er genauso schlimm wie Klaus ist. Rebekah, die unserem Bruder blind überallhin folgt, obwohl sie schon Jahrhundertelang unter ihm leidet. Und Kol interessiert sich für niemanden außer ihn selbst. Nein Alisa, diese Familie ist kaputt. Es wird Zeit, dass es zuende ist."

Wow. Aus diesem Blickwinkel hatte ich es noch nie betrachtet. Obwohl ich Finn hassen wollte, bemitleidete ich ihn eher. War er so falsch daran, seine Geschwister zu hassen? ,,Weißt du, als Rebekah erfahren hat, dass sie bald sterben wird, hat sie etwas gesagt. Etwas, dass ich nicht vergessen kann. Sie meinte: "aber ich habe nie gelebt". Das ist traurig, oder? Eintausend Jahre alt und nicht das Gefühl, ein erfülltes Leben zu haben." Ich sah Finn an. ,,Du hast neunhundert Jahre in einem Sarg gelegen. Anstatt schon wieder sterben zu wollen, könntest du leben. Geh fort, entdecke die Welt und finde deinen Platz. Verlieb dich, probiere Neues aus, ganz egal. Wenn du dich jetzt opferst, wirst du wirklich nie gelebt haben."

Finn antwortete nicht. Ich wusste nicht, ob meine Worte ihn beeinflussten oder sein Selbsthass zu tief saß.





Whisper of Deathᵗʰᵉ ᵛᵃᵐᵖⁱʳᵉ ᵈⁱᵃʳⁱᵉˢWo Geschichten leben. Entdecke jetzt