Türchen 20

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DAMIAN

Mr. Geller hatte definitiv Geschmack. Ich nippte an dem Kristallglas, in dem der Bourbon schwenkte, den ich in seiner Schublade gefunden hatte und sah durch die bodentiefen Fenster auf das zu dieser späten Stunde verschneite New York. Allerdings war es ein schwacher Trost, da mich der Streit mit Harper innerlich folterte. Gerade hatte ich ihr verzweifelt einen Stapel Papiere in die Hand gedrückt und sie zum Abtippen einer Liste verdonnert, die ich überhaupt nicht brauchte und dessen Datei bereits existierte. Damit wollte ich verhindern, dass sie nach Hause ging. Ich wollte sie noch eine Weile bei mir haben, denn wie Connor an ihrem Fenster zu lauern, war nicht mein Stil. Aber sie zu quälen war stilvoll? Wie verzweifelt konnte man sein.
   Andererseits wollte ich mir damit vor allem Zeit verschaffen. Zeit mit ihr. Auch wenn wir nur verstritten im selben Gebäude saßen. 
   Mein Blick fiel auf die digitale Uhr an meinem Rechner. Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr. Der Tag war an mir vorbeigerauscht.
   Nach einigen Telefonaten und einem Online Meeting mit der Finanzabteilung, hatte ich heute eine Gewinn- und Umsatzerwartung sowie eine Kostenrechnung für das kommende Jahr aufgestellt. Da die Vorlagen von Mr. Geller bereits alles beinhalteten und mir die bisherigen Aufgaben zu liegen schienen, hatte ich mich schnell eingefunden.
   Dennoch war es ungewohnt den ganzen Tag auf diesem Stuhl zu sitzen und mich in die Daten dieses Unternehmens hineinzufressen. Ironisch, da ich genau solche Persönlichkeiten, wie ich jetzt eine war, noch vor einer Woche gegen Bezahlung getötet hatte. Und noch viel ironischer war, dass ich mit der Finanzabteilung im Meeting gewesen war und daran dachte, das Harper einmal davon ausging ich sei Buchhalter. Dennoch ließ meine Konzentration und die Fähigkeit einfach an diesem Tisch zu sitzen mit jeder Minute nach. Denn mir gingen langsam die Ideen aus.
   Ich wusste, es würde nicht einfach werden. Nur konnte ich nicht weiter davon entfernt sein, Harper näher zu kommen. Zum ersten Mal tendierte ich dazu, in einer Sache aufzugeben. Sollte ich akzeptieren, dass Harper mich hasste? Konnte sie sich denn nicht vorstellen, dass es schwer gewesen war, ehrlich zu ihr zu sein? Ich hatte die Fotos löschen müssen, ansonsten wäre ich im schlimmsten Fall ins Gefängnis gewandert. Darüber hinaus hatte sie mir vorgeworfen, ich würde mir einfach nehmen, was ich wollte. Ihrer Reaktion nach hatte mein Konter ins Schwarze getroffen. Denn es entsprach tatsächlich ihrer Art, sich alles hart erarbeiten zu wollen. Sie glaubte fest daran, sie verdiene es nicht, etwas einfach ohne Weiteres zu bekommen. Das war wohl auch der Grund, warum sie mich so sehr dafür verurteilte und mir einfach nicht verzeihen wollte. Harper war überhaupt nicht in der Lage zu sehen, was ich zu tun versuchte. Sie bekam offenbar nicht gerne etwas geschenkt und das war ehrenhaft, aber es war genauso ein Fluch. 
Sollte ich sie mit einem Weihnachtsgeschenk beeindrucken wollen, machte das die Auswahl nahezu unmöglich. Denn die Vermutung lag nahe, dass sie mit dem Annehmen von Geschenken im Generellen ihre Probleme haben könnte. Nicht nur, weil sie mich sowieso schon abgeschrieben hatte.
   Dieser Gedanke brachte mich dazu darüber nachzudenken, was sich Harper in diesem Moment am meisten wünschte. Sie wollte vermutlich einfach nur nach Hause, anstatt hier von mir festgehalten zu werden. Und sie wollte mich nie wieder sehen. 
   Fuck! Ohne Harper war ein normales Leben für mich sinnlos. Es musste doch etwas geben, das ich tun konnte. Mein Blick glitt erneut zur Uhr. 22:37 Uhr. Die Zeit rannte. Ich nahm das Glas in die Hand, leerte den restlichen Bourbon und kämpfte mit dem Drang, es gegen die Wand zu werfen. Es war verdammt nochmal zwecklos.

Merry dark Christmas, my Love!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt