Kapitel 25

288 13 4
                                    

Ich war geschockt von ihrer Aussage. Sicher würde es eine Erklärung geben. Ihre Stimme war nach diesem Satz verstummt. Tränen bahnten sich ihren Weg an ihrer Wange herab und ich wusste, dass sie etwas los werden musste. Dafür würde ich da sein. Ich stand auf, hob sie auf meine Arme. Mich wunderte es wie leicht sie eigentlich war. Ich setzt sie vorsichtig auf die Rückbank des Autos.
"Was wird das Nesto?", krächzte sie unter einem leisen Schluchzer, der ihr entwich.
Doch ich schüttelte nur den Kopf, stieg ins Auto und fuhr los. Erst wusste ich gar nicht wohin, doch letzendlich kam mir eine gute Idee. Ich fuhr zu einem Strandabteil, wo ich meinen Wagen parkte. Die ganze Fahrt über war es still. Nur ihr leises Schluchzen war ab und zu zu hören. Von dem Strandabteil hier aus hatte man einen wunderschönen Blick aufs Meer. Es war etwas windig, die Wellen konnte man bis zum Auto prasseln hören obwohl wir locker 70 meter entfernt waren.
Eine zeitlang blieb es ruhig, durch den Rückspiegel warf ich einen Blick zu Adriana, die nur leicht beänstigend aus dem Fenster schaute und sich eine Träne wegwischte.

Ich stieg zu ihr nach hinten und legte vorsichtig meinen Arm um sie.
Vielleicht braucht sie ja etwas nähe? Oder einfach jemanden der sie in den Arm nimmt?
Darauf bekam ich keine Antwort. Doch als sie ihren Kopf wieder an meine Brust lehnte, wusste ich, dass ich nicht zu weit ging.

Ich liess das Fenster ein wenig runter fahren, sodass der Geruch von Salzwasser und Sand in meine Nase stieg. Adriana schien sich zu beruhigen, denn sie atmete wieder regelmäßig und schloss für eine Weile ihre Augen.
"Ich war 17", murmelte sie in die angenehme Stille. Ich merkte sofort, dass es ihr schwer fiel darüber zu reden, denn sie schloss wieder ihre Augen. So als würde sie den Gedanken daran wieder ganz schnell aus dem Kopf kriegen wollen.
"Du musst das nicht tun", sagte ich und strich ihr weiter durch ihr weiches Haar.
Sie nickte schnell und holte wieder tief Luft. "Ich muss das los werden. Ich weiss, dass du mich hassen wirst aber du verdienst die Wahrheit, Nes", ihre Stimme nahm an Kraft an und sie machte sich vorsichtig von mir los.
Ich sah sie an und wartete darauf, was sie mir zu sagen hatte.
Noch bevor sie ihr erstes Wort über die Lippen brachte, rollte eine Träne über ihre Wange.

"Ich war wie gesagt 17 Jahre alt. Verrückt nach Autos. Verrückt nach Rennen. Ich hatte es von meinem Vater geerbt. Diese Liebe zu den Autos, der Schnelligkeit...", etwas leise kamen diese Worte aus ihrem Mund, doch ich konnte sie verstehen.

"Mein Bruder, Ryan, war 2 Jahre älter als ich. Er war also 19 Jahre alt. Er war mein großer Bruder, mein Beschützer und mein bester Freund. Niemand aus meinem Freundeskreis hatte so einen guten Draht zu ihren Geschwistern wie ich es mit Ryan hatte.", ein schwaches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Mir wurde klar, dass sie ein Thema ansprach, das ihr heute noch tief im Herzen einen Stich gab. Ihre Augen waren voller Trauer.
"Wir waren immer für den jeweiligen da gewesen. Wir haben uns gegenseitig nie verpetzt, wie Kinder es normalerweise tun. Alles was wir getan haben, haben wir zusammen getan. Ich habe mit ihm mit seinen Autos gespielt. Da fing meine Vorliebe für Autos an. Alle meine Puppen und Kuscheltiere, die ich je bekommen habe, habe ich nach dem Auspacken nie wieder angerührt. Ich habe immer seine Autos genommen und habe damit gespielt, wenn er nicht da war, dann eben alleine."
Immer mehr Tränen flossen ihre Wange entlang. In mir löste es ein ungutes Gefühl aus. Sie weinte, weil ich wissen sollte wer sie wirklich war.
"Ich erinner mich heute noch so gut an ihn. Wie er gerochen hat. Sein Lieblingsparfüm, sein Lieblingsauto, sein Lieblingsessen, seine Lieblingsserie. Ich weiss alles noch über ihn. Ich weiss noch, wie er mit seinen 7 Jahren auf dem Spielplatz ein paar Jungs geschlagen hat, weil sie mir an den Haaren gezogen haben. Ich weiss noch, als er versucht hat mir was zu Essen zu machen, weil unsere Eltern arbeiten waren und er sich wegen mir dabei verbrannt hat. Er hat mir Abends eine Geschichte vorgelesen bis ich eingeschlafen war. Er hat mir jeden Wunsch erfüllt und alles was schlecht für mich war sofort aus den Weg geräumt. Er war immer da wenn ich ihn gebraucht habe.", ein lauter Schluchzer entkam ihr. Sie fing an zu weinen. So laut, voller Schmerz, der anscheinend viel zu lange auf ihr lastete. Sie schüttelte immer wieder den Kopf und murmelte "Es tut mir so leid" vor sich hin.
Auch wenn ich noch nicht die ganze Geschichte gehört habe, war mein Mitleid groß.

"Als ich 15 war und er 17, fng er an, an Straßenrennen teilzunehmen. Ich durfte anfangs noch nicht mal mitgehen. Er meinte es wäre zu gefährlich für mich gewesen, aber irgendwann bin ich ihm so auf die Nerven gegangen, dass er mich mitgenommen hat. Unsere Eltern wussten nichts davon. Mein Vater wurde gekündigt, weswegen wir unter Geldnot litten, das war der Grund wieso Ryan damals so früh schon Auto fahren wollte. Das viele Geld was er damit verdiente, steckte er immer in einen Umschlag und schmiss es in unseren Briefkasten, damit meine Eltern nicht wussten, dass das Geld von ihm kam. Sie hätten sofort wissen wollen, wie er an so viel Geld kommt. Ganze zwei Jahre vergingen. Er hatte es mir beigebracht, weil ich unbedingt auch fahren wollte. In ganzen 2 Jahren habe ich von ihm gelernt, wie man Auto fährt und wie man den Gegner besiegt. Bei meinem ersten Rennen ging es um kleines Geld, doch für mich war es trotzdem eine große Herausforderung. Ryan war dabei. Das einzige was er sagte war 'Du wirst das schaffen, Kleine". Ich hab das Rennen gewonnen, er hat mich so stolz lächelnd angeguckt und immer wieder "Das ist meine Schwester" gerufen."
"Was ist mit ihm passiert?", fragte ich dann, als sie in Gedanken verloren war.
"Ich habe ihn getötet", murmelte sie leise vor sich hin.
"An einem anderen Tag habe ich ein Auto gewonnen. Wir hatten beschlossen unseren Eltern davon zu erzählen und fuhren los. Er in seinem Wagen und ich in meinem Neu gewonnenen. Auf dem Weg entstand ein spaßiges Rennen gegen uns. Er hatte mich provoziert, dass ich zu langsam fahren würde und ich musste es ihm zeigen. Irgendwann fing das Auto an zu Ruckeln. Ich verlor die Kontrolle darüber. Ich weiss nicht mehr genau was dann passiert ist. Ich erinner mich nur an den nächsten Morgen im Krankenhaus, als in der Zeitung dieser Artikel zum Unfall war. Das Bild...es sah so schlimm aus. Sein Auto war komplett demoliert, es lag auf dem Dach...", weiter kam sie nicht.
Der Schock in mir saß tief und mein Mitleid stieg noch deutlicher an.
Wie kann einem Menschen nur so etwas schlimmes passieren?

Drive or DieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt