Mutters Geburtstag

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In der kleinen Wohnung der Familie Genrich war kaum noch Platz, als die beiden als letzte zur Feiergesellschaft dazu kamen. Ihre Eltern standen als Empfangs-Komitee im Treppenflur und konnten das Klacken der Absätze erst gar nicht richtig zuordnen. Und dann standen sie vor den Eltern, Michael mit Blumen von der Tanke in der Hand. Offene Mäuler, staunend schauten sie auf ihre Katja. „Kaaatjaa" kamen es von ihrer Mutter. Die sah die Heels, die auffällig geschminkte Frau mit rotem Lippenstift und die Fingernägel!! Das ist doch nicht unsere Tochter! „Hallo ihr beiden" kam es von Katja und sie umarmte ihre Mutter, die anders als sonst etwas reserviert blieb und sie danach weiter musterte. „was ... wie ... wie siehst du aus?" Kam es ungläubig von ihrer Mutter. Endlich wurden die beiden herein gebeten. Ihre drei jüngeren Schwestern waren da; Irina, die 20jährige Studentin war alleine gekommen, Tanja und Claudia gingen noch zur Schule und hatten beide ihren Freund dabei. So kamen sie in das enge Wohnzimmer der Etagenwohnung, alle saßen zu Tisch und blickten nun erstaunt zu Katja, wieder waren alle sprachlos. Nur Irina sprang sofort auf und umarmte ihre Schwester herzlich. „Hey, Kati. Cool schauste aus." Das war aber die einzige positive Reaktion. Immerhin hielten sich die mitgebrachten Jungs mit Kommentaren zurück, wenn gleich die beiden unablässig auf sie starrten. Tanja und Claudia meckerte genauso wie Vater und Mutter an ihr herum. Am meisten regte die Familie die Nägel auf. Nur Irina verteidigte sie. Irina war schon immer die aufmüpfige. „Sind zwar nicht unbedingt mein Ding, aber jede soll machen was ihr gefällt - cool Schwester. Hab ich dir überhaupt nicht zugetraut." Zum Glück hatte die Mutter das Essen vorbereitet und nun mussten alle Speisen aus der Küche gebracht werden: viele Teller mit viel zu vielen Speisen. Lecker, aber zu viel – so wie es sich damals in Russland zu Feiertagen gehörte, abgesehen vom Wodka. Den gab es nie bei den strengen Eltern, höchsten süßen lieblichen Wein.

Das Essen zog sich Stunden hin, die Töchter und der Vater toasteten auf die Mutter, auch Katja fand freundliche Worte für ihre Mutter, sie sprach von der fürsorglichen aber auch strengen Mutter. Es gab vom süßen deutschen billigen Weißwein, den Michael aber nicht trank, weil er noch fahren musste. Irgendwann ging es schon wieder um Katjas Nägel, die ja sonst nur „NUTTEN!" tragen, also gerade „sooo lange" wie der Vater sagte. „Widerlich!" Da stand Irina auf und zog sich demonstrativ ihr Hemd aus, stand im BH und Jeans vor der Familie am Tisch und drehte sich um. Auf ihrer linken Schulter war der Drache zu sehen, ein schönes großes Tattoo! „Oh Gott, Irka! Schto takoj! Bojsche moi" die Mutter wurde ganz hysterisch. „Warum tust du uns das an, was haben wir nur falsch gemacht?" Es hagelte Vorwürfe und gab einen lauten Streit, halb deutsch, halb russisch. Es ging plötzlich um Dinge, die vor Jahren passiert waren. Die zwei Jungs und Michael schauten unbeteiligt und erstaunt zu. Michael hatte das schon ein paar Mal miterlebt. Aber nicht so heftig in großer Runde, sondern nur zwischen Katja und ihrer Mutter. Irgendwann war es Irina zu viel. Sie war selber zwar recht ruhig geblieben, aber nun stand sie auf, zog wieder das Hemd an und ging „Akzeptiert mich wie ich bin, ich verbiege mich nicht für Euch!". Die Mutter fing an zu heulen und der Vater schimpfte nun seine beiden ältesten Töchter an „seht, was ihr gemacht habt". Es ging zu wie in einer billigen TV-Soap-Oper. Ein Wunder, dass noch keine Polizei bei dem Geschreie und Geheul gekommen war. Michael und Katja schauten sich an und waren sich einig: Rückzug! Und so verließen sie die enge Wohnung mit Irina ohne sich richtig zu verabschieden. Sie brachten Irina noch zum Bahnhof, sie fuhr wieder zum Medizin-Studium in ihre Stadt zurück. Katja und Irina sprachen noch viel über die Familie und die Mutter im Auto. Sie hatten schon seltsame Eltern. Die meisten Russinnen oder Russlanddeutsche Frauen haben etwas übrig für gestyltes Aussehen und kaum jemand störte sich an Schminke, High Heels oder falschen Fingernägeln. Im Gegenteil.

Aber die beiden waren doch sehr gläubig und fromm, bescheiden und ... „spießig!" Das waren die beiden Schwestern sich einig. So waren sie sich wieder näher gekommen und wollten sich unbedingt bald wieder treffen. „Besuch uns, auf der Coach im Wohnzimmer ist immer Platz für dich. Und die Stadt wird dir gefallen". Bald sind Semesterferien, dann wird sie auf ein Wochenende vorbei kommen. Sie küssten sich beide auf den Mund und so ging Ira den Bahnhofsvorplatz zu ihrem Zug, ohne sich umzudrehen hob sie lässig die rechte Hand und winkte zum Abschied.

Katja und MichaelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt