Es war erst gestern gewesen, als der Junge, den ich nicht kannte, mich angesprochen hatte, um nach meinem Namen zu fragen. Seltsamerweise kam es mir so vor, als lägen erst wenige Minuten zwischen dem Aufeinandertreffen und jetzt. Genervt atmete ich die kalte Luft ein und vergrub meine Hände tiefer in den Taschen meines Mantels, um sie vor der eisigen Kälte zu schützen, da sie langsam aber sicher anfingen taub zu werden. Auch die ungesunde Röte, die meine Fingerkuppen zierte, verleiteten mich dazu, meine Hände noch tiefer in das Futter meiner Innentasche zu schieben.
Was nicht alles passieren konnte. Erst steckte man in seinem Alltag fest, als hätte man einen Kratzer in der CD, und plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte dann etwas, oder besser gesagt jemand, unerwartet auf und brachte einen völlig aus dem Konzept. Ich sah ihn nicht als angenehmen Zeitgenossen, mit dem ich vielleicht sogar Freundschaft schließen konnte, nein. Ich kannte seinen Ruf; der war ihm schon vorausgeeilt. Eher sah ich ihn als Eindringling in meine perfekte Welt. Als etwas Lästiges.
Innerlich bestrafte ich mich selbst dafür, dass ich mit meinen Gedanken so sehr über ihn und unsere Begegnung nachgrübelte und nicht darauf Acht gab, wohin ich lief. Meine Mutter würde mich jetzt tadeln, dass ich darauf achten sollte, was um mich herum geschah, anstatt immer meinen Gedanken hinterherzuhängen.
Eisiger Wind veranlasste mich dazu, meine Kapuze tiefer in mein Gesicht zu ziehen und meinen Gang zu beschleunigen. Mein Atem verließ in Form kleiner Dampfwölken meine Lungen, was mir noch einmal verdeutlichte, dass wir mitten im Winter steckten und das Gefühl, nach Hause zu wollen, mit jedem Moment wuchs. Eine dicke Schicht Schnee lag auf den Straßen und Dächern der umliegenden Häuser und legte somit den ganzen Verkehr lahm.
Was würde ich nur alles dafür geben in dem kleinen, gelben Auto - oder sollte ich es besser Schrottkiste nennen - meiner Mutter zu sitzen, ihre schreckliche Musik der 70er im Hintergrund hören und den beißende Geruch von altem Leder, mit dem die Sitze überzogen worden waren und dessen Geruch man nie wieder von sich bekam, einatmen zu müssen. Alles war besser als sich hier in der Eiseskälte eine Erkältung zu holen; das hatte ich schon mehrfach abgewogen. Todkrank oder eben stinkend, als wäre man mit dem Kopf voraus in einen Misthaufen gefallen. Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, hätte ich besser, so wie fast alle anderen auch, daheimbleiben sollen. Mit einen warmen Tee in der Hand und dem Hintergedanken, schlauer zu sein als die anderen, die in der Schule saßen und sich einen hartnäckigen Schnupfen zuzogen, da kein Bus bei diesem Wetter fuhr.
Für diese Dummheit hätte ich mir selbst eine verpassen können.
Flower, du hast es echt drauf, dachte ich sarkastisch und fischte meinen Haustürschlüssel aus der Jackentasche. Meine Finger umschlossen das kalte Metall, zogen es aus der Tasche und versuchten es so schnell wie möglich ins Schloss zu stecken, sodass ich mich aus meinen Klamotten schälen konnte, um ein heißes Bad zu nehmen. Doch ich rutschte ab und mein Schlüssel landete im Schnee. Seufzend und mittlerweile auch ein bisschen genervt bückte ich mich und fischte den Schlüssel mit zitternden Fingern aus der kalten Masse, wobei mir eine einzelne braune Haarsträhne ins Gesicht fiel, die ich mir aber gleich wieder mit einer schnellen Bewegung nicht sehr elegant aus dem Gesicht wischte.
Endlich zuhause, seufzte ich in Gedanken, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel und eine angenehme Wärme ihre Arme um mich schlang. Seufzend und sichtlich erleichtert schlüpfte ich aus meinen Schuhen, legte meinen Schlüssel in die kleine Schale neben der Tür und hing meine Jacke an den Haken an der Wand. Mir fiel sofort auf, dass die Jacke meines Vaters fehlte. Suchend tapste ich durch das leere Haus, bis ich die Stimme meiner Mutter vernahm.
"Ja, ich richte es ihr aus. Sei vorsichtig."
Neugierig blickte ich um die Ecke, wo meine Mutter das Telefon beiseite legte und sich müde über die geschlossenen Augen strich.
"Hey Mom", begrüßte ich sie und schlang meine zitternden Arme um ihren Körper, um sie richtig zu umarmen; so wie ich es immer tat, wenn ich nach Hause kam.
"Dein Vater kommt erst später. Ich soll dir ausrichten, dass er dich liebt und du nichts anstellen sollst", erwiderte meine Mom und schlang ihre zierlichen Arme ebenfalls um meinen Körper.
"Er kennt mich einfach zu gut", gluckste ich überzeugt und rümpfte meine Nase.
"Ich weiß, er ist in letzter Zeit sehr mit der Arbeit beschäftigt, aber er meint das nicht so. "
Ich entfernte mich ein Stück von ihr, um ihr in ihre ozeanblauen Augen zu sehen.
"Ich weiß, das hast du mir bestimmt schon zigmal gesagt. Aber manchmal-", ich stockte, seufzte einmal tief auf und biss mir gedankenverloren auf meine Lippe, "wünsche ich mir einen Vater, der für mich da ist", beendete ich meinen Satz flüsternd und hoffte innerlich, dass sie den letzten Teil nicht mitbekommen hatte.
"Du weißt, dass er dich sehr liebt", antwortete meine Mutter und strich mir durch mein braunes, bestimmt verknotetes Haar, das wahrscheinlich mehr einem Vogelnest als einer Frisur glich.
Stur nickte ich. Mein Zeichen, dass ich nicht mehr weiterreden wollte und das Thema wiedermal beendet werden sollte. In letzter Zeit führten wir häufiger solche Gespräche, da mein Vater sich mehr in seine Arbeit als Polizist vertiefte, als Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Es war verständlich. Ich konnte ihn verstehen, doch dieses dumpfe Gefühl in meiner Brust, wenn ich sah, dass seine Jacke nicht dort hing, wo sie eigentlich sein sollte, wenn ich nach Hause kam, machte mir dann schon zu schaffen.
"Hast du Hunger?", fragte mich meine Mutter fürsorglich und brachte somit mein Inneres zum Brennen.
"Schon okay, ich mach mir später was."
Zwar hatte ich Hunger, doch wenn mein Vater nicht mit uns aß, tat ich es ich nicht. Mit einem traurigen Lächeln wandte sie sich von mir ab.
Ab jetzt hieß es warten.
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A/N
Ich hoffe euch spricht das Kapitel an (͡° ͜ʖ°)
Keine Sorge *grins* im nächsten Kapitel kommt ein bisschen mehr Schwung [nein, kein Hüftschwung, da muss ich euch leider enttäuschen] in die Sache.
Ist die Länge für euch okay?
Wörter - 1019
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The thing called love
Teen FictionFlower führt ein ganz normales Leben, bis ihr Vater eines Abends nach Hause kommt und Parker, einen Kleinkriminellen, der sein Geld mit Drogen verdient, mitbringt. Flowers Vater ist fest davon überzeugt, dass er eine gute Seite in sich trägt, und mö...