Scusa Mamma
Kapitel 16
Charles
4. September 2023
Nahe Genua, Italien
6:32 Uhr
„Habt ihr eure Zunge verschluckt? Ich will wissen, was das alles zu bedeuten hat."
Er konnte seine Mutter wirklich verstehen, aber was sollte er zu ihr sagen? Seit sie von ihr überrascht wurden, suchte er nach Worten, brachte aber keine zustande und Lorenzo schien es nicht viel anders zu gehen.
Ihm war selbstverständlich klar, dass sie kein recht dazu hatten, ihrer Mutter diese ganzen Dinge zu verheimlichen, nur, was hätten sie tun sollen? Nach allem, was passiert war, wollten sie sie nicht schon wieder beunruhigen. Sie sollte endlich zur Ruhe kommen und sie hatte um Arthur und ihn ohnehin schon so viel Angst, wegen dem Rennfahren.
Allerdings sah er ein, dass sie es besser hätten wissen müssen. Sie hatte doch so oft gefragt, was im Moment mit ihnen los war, ob etwas passiert war, ob sie helfen konnte. Sie anzulügen war falsch. Er hatte sich die ganze Zeit eingeredet, dass sie ihr alles noch erklären konnten, wenn das ausgestanden war. Das war falsch gewesen.
„Verdammt, ich hab ein Recht darauf, es zu erfahren!", wurde sie aufgrund ihres beharrlichen Schweigens nur wütend.
Er sah ein, dass sie für ihre Mutter alles noch viel schlimmer gemacht hatten. Er bekam ein furchtbar schlechtes Gewissen und egal, was er zu ihr sagen würde, es wäre nicht genug. Sie mussten mit ihr reden und doch fand er keinen Anfang.
Schon wieder fühlte er sich irgendwie hilflos und mit allem überfordert.
„Dann spreche ich eben mit den anderen", drohte sie nun und war im Begriff, sich umzudrehen. Das reichte, um ihn aus der Schockstarre zu holen, denn er wollte nicht andere in die schwierige Lage bringen, seiner Mutter zu erklären, was hier passierte.
„Er will mich umbringen", kam es ihm über die Lippen.
Er hätte ihr das so gerne schonender gesagt, aber wie sollte man seiner eigenen Mutter denn erklären, dass jemand einem nach dem Leben trachtete, ohne sie aufzuwühlen? Das war unmöglich und das brauchte er gar nicht erst versuchen.
Er hatte sie noch nie so schockiert gesehen.
Er würde sie gerne beruhigen, nur wie sollte das in dieser Situation funktionieren? Sie musste die Wahrheit erfahren und die konnte er nicht schönreden.
„Wer?"
Er hatte seinen Namen nicht mehr ausgesprochen, seit das alles losgegangen war. Er hatte nur noch Verachtung für jemanden übrig, den er mal für viele Dinge bewundert hatte. Er war für ihn zu einem Phantom geworden und er wollte ihn am liebsten nicht wieder zum Leben erwecken, in dem er von ihm sprach. Aber das ließ sich nicht vermeiden.
„Piero."
Piero Ferrari.
Der Mann, der das ganze Imperium seines Vaters geerbt hatte. Der Sohn, den Enzo Ferrari mit seiner Geliebten hatte, der lange Zeit geleugnet wurde und zu dem Enzo viele Jahre nicht hatte stehen können. Nicht einmal, weil er nicht wollte, sondern bedingt durch die Gesetzeslage in Italien zu dieser Zeit.
Piero war für die Medien und die Öffentlichkeit oft der Unerwünschte. Über die Jahrzehnte hatte es so viele Skandale im Hause Ferrari gegeben, so viel war passiert und doch hatten sie einen Mythos mit ihrer Marke erschaffen.
Auch für ihn war Ferrari immer das eine Team gewesen.
Dort hatte er schon hingewollt, als er noch gar nicht wusste, dass sie mehr, als das rote Rennauto waren. Er hätte sich niemals träumen lassen, wohin ihn das führen würde und wie tief dieser Mann eines Tages sinken würde, den er so oft bewundert hatte.
„W-Was? Du meinst-?", stammelte seine Mutter, die das auch nicht fassen konnte. „Wieso?"
Eine gute Frage. Wieso eigentlich? Wieso wollte ihn der Mann umbringen, der das bedeutendste Formel-1-Team aller Zeiten hatte, dessen Familie weltweit bekannt war und der ihn einst nach Maranello geholt hatte, weil er wollte, dass er hier Erfolg hatte?
Er konnte nur versuchen, es mit Pieros verquerer Logik zu erklären, so viel er davon eben einigermaßen begriffen hatte. Denn nachvollziehen könnte er das niemals.
„Er ist tot krank. Er stirbt wohl bald. Und in seinem kranken Kopf, will er irgendwie eine Verbindung zwischen uns halten, weil er irgendwas in mir sieht. Ich weiß nicht, was in seinem abartigen Geist vor sich geht. Aber er will mit mir zusammen sterben." Das war alles, was er wusste, was er darüber sagen konnte. Und Matassa, dieser widerliche Bastard, half ihm dabei, hatte die Fäden für ihn gezogen, obwohl sie ihm immer vertraut hatten.
Für seine Mutter schien gerade eine Welt zusammen zu brechen.
Verständlich. Für Arthur und ihn war auch alles in sich zusammengestürzt, als sie erfuhren, wer dieser Typ war, dessen Namen sie auf der Kleidung trugen und für den sie ihre Rennen bestritten. Ein Kindheitstraum, war zu einem Albtraum geworden.
„Was?" Sie konnte es einfach nicht glauben und eine Sache begriff sie selbstverständlich auch nicht. „Und was hat Arthur damit zu tun?"
„Zum einen ist er sein Druckmittel gegen mich. Und zum anderen hat Arthur das alles rausgefunden. Er konnte ihn vor Monaten belauschen und von dem Plan erfahren", klärte er auf und wusste, dass sie das nur noch fassungsloser machen würde.
„Vor Monaten? Und da sagt ihr mir nicht ein Sterbenswörtchen davon?"
Leider hatte er dem nichts entgegen zu setzen. Sie wussten seit Monaten Bescheid und hatten es ihr beharrlich verschwiegen.
„Wir wollten nicht, dass du dir Sorgen machst", schaltete sich Lorenzo in das Gespräch ein, wollte ihm das nicht komplett alleine aufbürden, nur konnte auch das es kaum besser machen.
„Ihr wolltet nicht-" Sie unterbrach sich selbst, rang um Worte und falls sie versuchte, sich einigermaßen zu beruhigen, gelang es ihr nicht. Stattdessen ließ sie ihre ganze Wut raus und das war sicherlich auch besser so. Sie hatte nämlich vollkommen recht. „Ihr wisst, dass euch jemand umbringen will und sagt es eurer eigenen Mutter nicht?"
„Es tut mir leid." Das war sehr schwach, aber mehr konnte er in diesem Moment auch nicht sagen.
„Ja, das sollte es auch", stellte sie sofort klar.
„Du hast so viel durchgemacht", setzte Lorenzo noch einmal an, in dem Versuch ihr zu vermitteln, weshalb sie nicht mit ihr gesprochen hatten. Selbstverständlich sah ihre Mutter die Sache ganz anders.
Sie schüttelte den Kopf, ehe sie ihnen wieder mit ihrem festen und unerschütterlichen Blick begegnete.
„Und ihr nicht? Wir haben alle so viel durchgemacht. Wie könnt ihr mich so außen vorlassen?" Auch das stimmte. Es war ja nicht nur für sie hart gewesen. Wenn er es sich recht überlegte, dann war es schwachsinnig, die Menschen, die man liebte, schonen zu wollen, indem man ihnen Dinge verschwieg. Sie kamen ohnehin raus und sie hatte ja längst geahnt, dass etwas nicht in Ordnung war.
So etwas sollten sie ihr nie wieder antun. Er konnte es jetzt nicht mehr ändern und er hatte gerade auch nicht viel Zeit. Aber eine Sache wollte er sie unbedingt wissen lassen.
„Ich hole Arthur da raus." Auch, wenn ihr die Erklärung dazu, ebenfalls nicht gefallen würde, nur, wo sie schon dabei waren, sollte sie auch alles wissen.
„Wie?", hakte sie nach.
„Er droht, ihn umzubringen, wenn ich es nicht mache. Ich hab also keine Wahl-"
Und das sorgte dafür, dass sie ihre Fassung erneut verlor.
„Nein! Das kannst du nicht machen! Du kannst doch nicht einem Erpresser geben, was er will!"
Natürlich nicht. Nur, was sollte er tun?
„Das will ich auch nicht. Aber Arthur alleine lassen, kann ich noch viel weniger", versuchte er, es ihr zu erklären.
„Es wird gerade ein Plan ausgearbeitet, damit es nicht so weit kommt", warf Lorenzo ein. Obwohl sie kaum etwas tun konnten, war er gerade irgendwie doch froh, ihn dabei zu haben und nicht komplett alleine da durch zu müssen. Etwas, was sich gleich ändern würde, wenn er sich auf den Weg zu Piero machen würde.
„Und das soll mich beruhigen?", durchschaute sie Lorenzos Absicht sofort.
„Nein. Dass es das wohl kaum tut, wissen wir. Aber wir lassen Arthur nicht dort", stellte Lorenzo klar und ihm entging nicht, dass das auch bedeutete, dass sein Bruder sich gerade auch auf seine Seite stellte, obwohl er mit seiner Aktion nicht einverstanden war. Das bedeutete ihm viel.
Für ihre Mutter war es unmöglich, das Gehörte irgendwie zu verarbeiten.
Sie wollte das alles nicht und hätte es wohl nur zu gerne einfach weggewischt.
Aber sie besaß eine unheimliche Stärke, schluckte das alles runter und sah sie wieder an.
„Am Ende, werden wir alle wieder zusammen sein. Dass ihr es nur wisst... Etwas anderes akzeptiere ich nicht."

DU LIEST GERADE
Senza Regole
Fanfiction⊱ Sie wussten wann es passieren sollte und wie es passieren sollte. Sie waren auf alles vorbereitet, hatten einen Monat Zeit, sich Pläne zu machen und alles bis ins aller kleinste Detail zu planen. Es konnte gar nichts mehr passieren und das durfte...