Der Teich war vorher aber nicht da!

15 4 2
                                    

"Sind sie weg?", fragte ich und warf einen fragenden Blick zu Mati, der immer noch nach hinten starrte. 

"Ich glaube schon ... Aber noch einmal ins Gefängnis will ich nicht, also fahr lieber weiter. Und pass auf, dass du nicht noch die dritte Laterne mitreißt!" Er drehte sich um und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, der mich so sehr ablenkte, dass ich fast eine Hausecke streifte. 

So schlecht fuhr ich eigentlich gar nicht, es war nur etwas zu schnell für meinen Geschmack. Wie sollte man auch allen Hindernissen ausweichen, wenn überall welche herumstanden? Aber immerhin funktionierte es. Ich hatte schon so ein Chaos verursacht, dass nicht einmal die Polizei uns hinterherfahren konnte. "Wo soll ich jetzt langfahren?" 

"Geradeaus sollte eine lange Straße kommen, die irgendwo aufs Land führt. Oder was es doch die Nebenstraße?" Er legte den Kopf in den Nacken und ich wusste nicht weiter. Wohin denn nur? 

Noch bevor er die passende Lösung gefunden hatte, war schon ein Haus vor uns, das direkt auf uns zuraste. "Mati!", kreischte ich laut, um ihn darauf aufmerksam zu machen. 

"Nach links!", kam prompt die Antwort und ich riss das Lenkrad herum. Es ging geradewegs durch eine Hecke in einen Vorgarten und ich versuchte so gut wie möglich, den Gartenmöbeln aufzuweichen, was nicht so gut klappte. 

"Nach rechts!", schrie Mati nun und ich versuchte etwas sanfter durch die Hecke wieder auf die Straße zurück zu kommen. 

Sanft war es am Ende nicht, dann das Auto holperte ziemlich dabei, aber besser als von der Polizei geschnappt zu werden war es allemal. Und Mati hatte Recht gehabt: Da war tatsächlich eine Straße, aufs Land zu führen schien! 

Nachdem die erste Aufregung vorbei war, fuhren wir eine halbe Ewigkeit die Straße entlang. Mein Bruder hatte seinen Kopf auf die Nackenlehne abgestützt und schnarchte vor sich hin - typisch Mati, außer essen, schlafen und Geld stehlen hatte er nicht viel im Kopf. Und die ganze Arbeit musste wie immer ich tun und zwar ganz allein. 

Ich legte meinen Kopf zur Seite und dachte kurz nach - was mir überhaupt nicht schwerfiel, wie Mati immer behauptete. Eigentlich ging es immer geradeaus, da konnte ich auch problemlos schlafen. Wer wusste schon, wann wir auf den nächsten Flughafen treffen würden. Und so legte ich den Kopf nach hinten und versank schon bald in einer schönen Traumwelt. 

Als ich aufwachte, holperte es gewaltig und mein Bruder schrie irgendetwas. Ich blinzelte. Was war los? Wo war die Straße? Der Teich war vorher aber nicht da! Erst konnte ich alles nicht fassen, dann aber reagierte ich. Mit Kraft zog ich den Lenker nach links. Mati hingegen zog nur Sekunden später in die andere Richtung. Und auch wenn das Auto langsamer geworden war, landeten wir im Teich, bevor einer von uns diesen Kampf gewinnen konnte. 

Die Reifen blieben im Schlamm stecken und der Motor machte seltsame Geräusche, bevor alles still wurde. Zum Glück fuhr das Auto nicht weiter, denn sonst wäre das Wasser noch weiter als bis knapp unter die Sitze gestiegen. Mein Bruder begann zu schimpfen und sich die Haare zu raufen, was seine nach hinten gekämmten Haare vollkommen durcheinanderbrachte. 

Ich begann zu weinen. Was sollten wir nur tun? Meine Schuhe waren nass, wir kamen zu keinem Flughafen und zurück nach Buenos Aires ging es nun auch nicht mehr. Wie hätte es noch schlimmer kommen können? 

"Nicht weinen, Jade. Wir finden schon einen Weg." Er strich mir sanft über die halblangen braunen Haare. 

"Meinst du wirklich?" Ich schluchzte noch immer. Wir waren im Nirgendwo, wie sollten wir da einen Weg finden? 

"Aber natürlich, Schwesterchen. Wir müssen einfach nur zurücklaufen. Und verhungern werden wir bestimmt nicht, ich habe etwas mitgenommen." 

Typisch Mati! Kaum dass wir ein Problem hatten, dachte er wieder ans Essen! Wieso konnte er sich nicht ein einziges Mal auf etwas Wichtiges konzentrieren? Wütend öffnete ich die Tür und ein Schwall Wasser kam herein und durchnässte nun auch den Saum meines Rockes. Ich stampfte kurz auf und stieg dann aus. Auch Mati machte seine Tür auf und kletterte ebenfalls aus dem Auto heraus. 

"Was machen wir jetzt?" Ich hatte keine Ahnung. Meine ganzen Koffer würde ich bestimmt nicht die ganze Zeit über tragen und mir taten vom Laufen am Morgen immer noch die Füße weh. 

"Wir müssen auf jeden Fall zur Straße zurück, ewig können wir hier nicht bleiben." Er meinte es offenbar ernst. Wieso gab es nie eine andere Möglichkeit? Alles war besser als laufen! 

Doch da mir nichts einfiel, schnappte ich mir meine Handtasche und stöckelte los. Eine Wahl hatte ich immerhin nicht. 

Nach einer abermals gefühlten Ewigkeit war ich kurz davor aufzugeben, als ich irgendetwas Graues in der Ferne außer diesen ewigen Wiesen sah. Plötzlich schien ich federleicht zu sein - nicht, dass ich jemals sonderlich schwer gewesen war, aber nach dem halben Tag auf den Beinen hatte es fast so gewirkt. Ich rannte los, so schnell ich nur konnte und kam tatsächlich an der Straße ins Nirgendwo an. Da erst fiel mir auf, wie schlecht dieser Plan überlegt war - was sollten wir nur tun, jetzt, wo wir am Ziel waren? Mati konnte ich nicht fragen, der war in weiter Ferne und zog immer noch seinen Koffer voller Sandwiches hinter sich her. 

Planlos setzte ich mich an den Rand der Straße und kippte den Inhalt meiner Handtasche auf den Boden, um etwas Brauchbares zu finden. Doch da war nichts dabei - außer meinem Make-Up, ein paar Nagellackflaschen und natürlich einem Nagellackentferner, einer Schere und einem Bonbon, den mir mein Bruder vor Ewigkeiten gegeben hatte. Ich betrachte meine Fingernägel und begann mit der Maniküre, während Mati in weiter Ferne immer größer und größer wurde. 

Als mein Bruder endlich auch an der Straße angekommen war, war der rote Nagellack schon getrocknet. Vollkommen verschwitzt und zerzaust sah Mati gar nicht gut aus - man müsste beinahe denken, dass wir gar keine Geschwister wären bei seiner Unordentlichkeit. 

Er ließ sich neben mich sinken und legte sich auf die Wiese. Wieso war er überhaupt müde? Er hatte doch stundenlang im Auto geschlafen! Manchmal konnte ich ihn wirklich nicht verstehen. 

"Was machen wir jetzt?", fragte ich wieder und blickte ihn an. 

Er starrte nur zur Sonne hinauf, die hoch am Himmel baumelte. "Keine Ahnung." 

Sonderlich hilfreich war das nicht gerade. Ich versuchte selbst eine Lösung zu finden, gab dann aber auf. Erstens war es zu heiß dafür und zweitens bekam ich von so etwas Falten im Gesicht. Irgendetwas würde schon passieren. 

Eine ziemlich lange Zeit später - und das, obwohl Mati erst fünf Sandwiches verdrückt hatte - geschah tatsächlich etwas. Ein etwas altmodisches Auto tuckerte geradewegs auf uns zu. Aber natürlich, das war die Lösung! Ich stand so schnell auf wie nur möglich und ordnete mein Kleid. Zum Glück war alles schon getrocknet, also gab es keinen Grund mich nicht mitzunehmen. Mein Bruder konnte mit seinem riesigen Koffer ruhig hierbleiben, er kam sowieso überall zurecht. 

Ich winkte zum Wagen hinüber und dieser stoppte. Ein Mann in Jeans und Hemd stieg aus. Sonderlich hübsch war er nicht gerade, aber solange er mich an einen anderen Ort als dieses Nirgendwo brachte, war es mir egal. Mati neben mir setzte sich nun auch auf und schaute erwartend zu dem Fremden herüber. 

"Guten Tag! Wir sind mit dem Auto in den Teich gefahren, und deshalb kommen wir nicht weiter, und das war weil ich am Lenkrad eingeschlagen war und das war, weil Mati ebenfalls eingeschlafen war, aber ich hatte mehr laufen müssen, also war ich bestimmt viel müder, deshalb ...", begann ich zu erzählen. 

"Was meine Schwester sagen will, ist, dass wir hier festsitzen und nicht mehr weiterfahren können. Könnten Sie uns freundlicherweise mitnehmen?" Mein Bruder war mittlerweile auch aufgestanden und hatte mich ohne Rücksicht unterbrochen, wofür er einen Schlag in die Seite bekam. 

Der Unbekannte lachte. "Wenn ihr möchtet, könnt ihr ruhig mitkommen. Aber vermutlich wolltet ihr nicht gerade nach Ciudad de Caballos fahren, also bringt es euch auch nicht weiter." 

Mati und ich tauchten die Blicke aus. Ich nickte ein wenig, er runzelte die Stirn, ich lächelte, er lächelte. "Genau dahin wollen wir!", antworteten wir gleichzeitig. Wozu hatte man schon einen Bruder, wenn nicht dazu, sich ohne Worte zu unterhalten. 

Der Mann lachte wieder. "Also gut. Wenn ihr dieser Meinung seid ... Der Rücksitz ist frei, ich nehme euch gerne mit." 


Ein Kleid so rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt