Ach übrigens, mein Bruder hat eine Bank ausgeraubt ...

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Beth goss mir etwas grünen Tee ein - wenn sie schon denselben Tee wie ich mochte, dann musste sie ganz bestimmt nett sein, trotz des seltsamen Aussehens. Mit der linken Hand hob ich die Tasse zum Mund und trank einen kleinen Schluck und mit der rechten Hand lackierte ich ihr die Fingernägel. Ihre Lieblingsfarbe war grün und eigentlich stand ihr das auch total, obwohl ich lieber rot mochte. Wobei, schwarz sah auch schön aus, weiß auch und blau auch - ich konnte mich gar nicht entscheiden, welche Farbe nun wirklich meine liebste war. 

"Schläft dein Bruder eigentlich immer?", fragte sie mich. 

"Wenn er nicht gerade isst oder über Geld nachdenkt, dann schläft und schnarcht er jedenfalls." Das hatte ich noch bei keinem gesehen, dass derjenige vor Sonnenuntergang einschlief und mittags immer noch nicht wach war. Ich hatte in der Zeit schon ein Stück Kuchen gegessen, zwei Tassen grünen Tee getrunken und ein entspannendes Bad genommen. Und ich hatte mit Beth, der Tochter des Hotelbesitzer, geplaudert, sobald sie um so fünf Uhr endlich aufgestanden war. 

"Er ist trotzdem ziemlich hübsch", meinte sie, lächelte und wurde ein wenig rot. 

Mati und hübsch? Ich warf einen Blick zu dieser Schnarchnase herüber, die auf dem Sofa pennte, während wir am kleinen Tisch mitten im Raum saßen. Nein, das war absolut unmöglich. Immerhin hatte ich die ganze Schönheit meiner Eltern geerbt, da konnte er ja keine bekommen haben. 

"Wohnst du eigentlich gerne hier?", wechselte ich das Thema. Obwohl das Zimmer winzig war und so weit von allen Shoppingzentren entfernt, fand ich es hier wirklich super. Fast so toll wie auf einer kleinen Inseln in einem großen Ozean. 

"Es geht. Es gibt Besseres, aber wenigstens muss ich nicht so viel arbeiten. Wenn ich mich nicht um die Pferde kümmere, dann habe ich so viel Freizeit wie ich möchte und kann spazieren gehen oder reiten." Sie lächelte wieder. 

"Also ich liebe Buenos Aires. Man kann überall einkaufen gehen und es gibt tausende schöne Läden, was wunderbar ist, da ich einkaufen liebe, obwohl ich vor zwei Wochen eine Verkäuferin beißen musste, weil sie mich beleidigt hatte, aber die meisten Verkäuferinnen in den Boutiquen sind total nett und wir können uns total gut unterhalten, obwohl, seit Mati und ich aus der Villa rausmussten, sie mich irgendwie nicht mehr so sehr mögen, wobei ich wirklich nett zu ihnen bin, aber gestern hat mir eine Verkäuferin einfach zwei Kreditkarten zerschnitten und mich angeschrien und wollte mir sogar das Kleid wegnehmen, weshalb ich wegrennen musste und weil Mati eine Bank überfallen hatte, mussten wir dann in das Auto und ich bin gefahren, weil er noch den Koffer einpacken musste und als er dann wie immer eingeschlafen ist, bin ich auch eingeschlafen und deswegen sind wir dann in den Teich gefahren, weswegen meine Schuhe nass waren und - worüber haben wir geredet?" Ich war so froh, endlich wieder jemanden zum Reden zu haben, dass ich gar nicht mehr wusste, wie ich diesen Satz begonnen hatte. Ich hätte ihr vermutlich noch viel mehr erzählt, hätte sie mich jetzt nicht so seltsam angestarrt. Wie fiel ihr ihr Kiefer nicht ab, wenn er so tief unten hing? Ich versuchte es nachzumachen und ließ meinen Kiefer auch hängen, aber er fiel tatsächlich nicht ab. Ich konzentrierte mich wieder auf das Wesentliche, schließlich hatte ich noch irgendeine Frage gestellt, die ich nicht mehr wusste. Ob es Beth wohl gutging? Wollte sie mir vielleicht damit sagen, dass etwas mit meinem Lippenstift nicht in Ordnung war? Ich zog den kleinen Spiegel aus meiner Handtasche und überprüfte mein Mae-Up. Nein, alles war in Ordnung. 

Plötzlich lachte sie so laut und herzlich, dass ich mitlachen musste. Bestimmt war das nur eine Angewohnheit von Leuten vom Land, sich so seltsam zu verhalten. Ja, das musste es sein. 

Nach ein paar Minuten hatte sie sich wieder beruhigt und meinte: "Wirklich, ich dachte einen Moment lang echt, dass du das ernst meinst. Der Scherz ist dir ziemlich gut gelungen." 

Scherz? Ich dachte angestrengt nach, wusste aber nicht, was ich Lustiges gesagt hatte. Egal. Wenn sie mich lustig fand, war es auf jeden Fall schön. 

Dann unterhielten wir uns noch über andere Sachen und ich gab mir Mühe, nicht so viel auf einmal zu reden, dass ich es mir nicht merken konnte. Aber es war ziemlich schwer, denn normalerweise erinnerte mich Mati daran, wenn ich zu viel sprach. Nach einiger Zeit sagte Beth mir dann, dass sie noch was anderes zu tun hätte und nahm die Teekanne und den Kuchen wieder mit. 

Kaum dass sie die Tür geschlossen hatte, schwang Mati seine Beine vom Sofa und setzte sich hin. 

"Ich dachte, du schläfst!" Ich starrte ihn genauso böse an wie er mich. 

"Wenn du so laut bist, kann nicht einmal ich schlafen! Und außerdem hättest du dich fast verplappert, Jade! Was denkst du, machen die Leute, wenn du ihnen von unserer Flucht erzählst?" 

Ich dachte angestrengt nach. "Vielleicht wollen sie auch, dass ich ihnen ein so schönes Kleid besorge?" 

"Nein, Dummerchen. Sie melden uns bei der Polizei!" Er tat so, als hätte ich überhaupt keinen Kopf. 

"Ich bin nicht dumm! Und Beth würde so etwas nie tun, immerhin mag sie auch grünen Tee." Wirklich, manchmal war er wirklich gemein gegenüber den wenigen Leuten, die ich nett fand. 

"Aber rede mit ihr lieber über Kleidung und nicht mehr über die Verkäuferinnen in Buenos Aires, einverstanden?" Er sprach mit mir wie er mit Kleinkindern sprach, aber das war ich schon gewohnt. 

"In Ordnung." Wenn es sein musste, dann konnte ich das auch tun. Nur weshalb, verstand ich einfach nicht so recht ... 

Ein Kleid so rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt