Ein Kleid so rot wie die Liebe und eine Liebe so stark wie ein Kinnhaken

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Hugo und ich hatten uns wieder vertragen. Irgendwie mochte ich es nicht, wenn er sauer auf mich war, obwohl es mir bei den meisten egal war. Erstens konnte ich ihn wirklich gut leiden, zweitens war es zu langweilig ohne ihn. Mati verbrachte mindestens zwölf Stunden am Tag mit Schlafen, seit wir hier angekommen waren. Und Beth hatte auch eine Teilzeitarbeit in einer größeren Stadt. Es war zwar schön gewesen, ein paar Stunden mit Cabi zu verbringen, aber nach zwei Tagen hatte mir die Arbeit doch gefehlt. Wieso Mati nicht gerne arbeitete, verstand ich nicht. Es war lustig und vor allem war man dann nicht so furchtbar allein. 

Ich quatschte gerade mit der ältlichen Dame mit den meeresfarbenen Fingernägeln, als es zum Ladenschluss klingelte - ein wenig schade war es schon, denn sie hatte viel Interessantes zu erzählen. Ich hätte mir vor ein paar Wochen gar nicht vorstellen können, dass es wirkliche spannende Lebensgeschichten geben konnte, denn mit meinen Freundinnen hatte ich immer nur über Beauty Tipps, Urlaubsreisen und hübsche Kerle geredet. Doch obwohl ich mir ihren Namen einfach nicht merken konnte, hatte diese nette Frau so viel zu erzählen, dass sie beinahe halb so viel redete wie ich. 

Da es aber jetzt schon spät war, verabschiedete ich mich und winkte ihr nach, als sie aus dem Laden ging. "Tschüssi, Hugo!", meinte ich auch zu meinem neuen Kollegen zum Abschied und wollte gerade gehen. 

"Hättest du vielleicht noch Zeit für einen kurzen Spaziergang?", fragte er mich. 

Was für ein lieber Freund! Da war er nach so einem langen Arbeitstag müde und musste eigentlich auch noch abspülen und beschäftigte sich doch mit mir. "Natürlich hab ich das!" Mati würde mich schon nicht vermissen. 

"Das freut mich!" Er lachte und ich lachte mit. 

Ich ging schon hinaus und er folgte mir sofort. Heute sah er besonders schick aus mit den Lederstiefeln, einer ganz neu aussehenden Jeans, einem bestickten Hemd und neuerdings auch Seitenscheitel. Weshalb er sich so zurechtmachte, verstand ich nicht ganz, denn ich hatte mich gar nicht über die Kleidung beschwert. 

"Gefällt dir Ciudad de Caballos eigentlich wirklich?" Er sah mich lieb an und legte mir einen Arm um die Schultern. 

"Aber sicher! Ich liebe es hier, obwohl diese Stadt schon ein Shopping Center haben könnte, aber es ist trotzdem viel ruhiger als in Buenos Aires und es gibt auch viel viel mehr nette Leute hier, obwohl ich schon gerne zurück in meine alte Villa gehen würde, aber das geht ja nicht, deshalb ist es doch der beste Ort im Moment", erzählte ich ihm, während ich mit den Händen vorm Körper gestikulierte, was ihn aber nicht zu stören schien. 

Es wurde einige Minuten lang still. "Würde es dir vielleicht sogar gefallen, für immer hier zu bleiben?", fragte er dann und wir blieben vor einem Zaun zu einer Koppe stehen. 

Ich legte den Kopf zur Seite und dachte angestrengt nach. Es war zauberhaft hier und hätte ich nicht einen ehemaligen Verlobten, den ich um jeden Preis zurückerobern wollte, würde ich Jahrhunderte lang hier bleiben wollen. "Sobald Mati sein Auto zurückbekommt, werden wir in den Urlaub auf eine schöne kleine Insel fahren, wo ich mich am Strand sonnen kann und in der neusten Mode herumlaufen kann, aber ansonsten wäre ich wirklich wirklich gerne hier geblieben." Schade war es schon, doch was blieb mir anderes übrig? 

"Das ist traurig." Er senkte den Kopf. 

"Weshalb?" Ich konnte ihn schließlich noch besuchen kommen. 

"Ich mag dich wirklich sehr, Jade", meinte er und lächelte wieder zu mir hinüber. Er war echt niedlich in manchen Momenten. 

"Ich mag dich doch auch!" Ich lächelte zurück. Weshalb sollte ich ihn auch nicht mögen? 

"Meinst du das ernst?" 

"Ich lüge doch nicht!" Obwohl, eigentlich tat ich das doch schon ziemlich oft ... aber in dieser Stadt hatte ich noch nicht gelogen, also war es so gut wie wahr. 

"Dann ..." Er beugte sich vor und ich fragte mich, ob ihm vielleicht sein Rücken wehtat oder so ähnlich. Aber schon Sekunden später wurde mir alles klar. Er hing nur Zentimeter über meinem Gesicht. 

Ich beugte mich so weit zurück, wie es nur ging. Ich war verlobt! Naja, jedenfalls hatte ich vor, es bald wieder zu sein. Und außerdem war ich verliebt und das nicht in ihn. Glaubte ich jedenfalls. 

Er beugte sich noch weiter vor und ich landete rückwärts im Gras. Verdammt, jetzt war auch noch mein wunderschönes rotes Kleid dreckig! Ich war kurz davor, einfach loszuheulen. Wieso konnte ich kein ruhiges Leben in einer hübschen Villa mit meinem hübschen Verlobten führen? 

"Geht es dir gut, Jade?", fragte mich dieser Idiot auch noch und streckte mir die Hand entgegen. 

Wütend ergriff ich seine Hand und zog mich hoch, ließ ihn dann aber sofort los. Ich war verlobt! Ich war verliebt! Da war ich mir absolut sicher. 

"Gut? Sehe ich so aus, als würde es mir gut gehen?" Ich starrte ihn so böse an, wie ich nur konnte. Ich war verlobt! Ich war verliebt! Da war ich mir ziemlich sicher. 

"Es ... es tut mir leid, wenn du nicht das Gleiche empfindest ..." 

Nicht das Gleiche? Nein, ich hasste ihn. Ich musste ihn hassen. Ich war verlobt! Ich war verliebt! Da war ich mir halbwegs sicher. 

"Ich hasse dich, Hugo und ich wünsche dir das Schlimmste, was mir nur einfällt!" 

Er trat einige Schritte zurück und sah mich aus großen Hundeaugen an. Wieso machte er es mir immer so schwer, auf ihn böse zu sein? 

"Na gut, ich wünsche dir nur, dass deine Fingernägel jeden Morgen einen Meter lang sind und du einen ganz ganz großen und hässlichen Pickel mitten zwischen den Augen bekommst!" Es war beinahe das Schlimmste, was mir einfiel, aber das verdiente er auch. Ich war verlobt! Ich war verliebt! Da war ich mir ein wenig sicher. 

Er schien erleichtert zu sein. Fand er das etwa lustig? Glaubte er etwa nicht, dass ich die Wahrheit sagte? Ich konnte es gar nicht fassen! Er war wirklich der schrecklichste nette hübsche intelligente Mann in dieser Welt. Ich war verlobt. Ich war verliebt. Da war ich mir gar nicht sicher. 

Dann dachte ich jedoch an alles, was ich für weniger wichtig gehalten hatte als diesen Idioten in dieser abscheulichen Stadt voller seltsamer Menschen und ohne Boutique. Ich hätte fast meine Villa, meinen Verlobten, meine ganzen schönen noch ungekauften Kleider und alle Spas der Welt dafür im Stich gelassen. Und nun wagte er es tatsächlich, eine verliebte, wenn auch nicht verlobte, aber bald wieder verlobte Senorita zu küssen ... Idiot! 

Ich sammelte all meine Kraft, holte Schwung und verpasste ihm einen Kinnhaken, der ihn über das Gatter mitten in einen Haufen Pferdemist beförderte. Das verdiente er auch! Ich war schließlich verlobt! Ich war schließlich verliebt! Aber war ich das überhaupt noch? 

Mit den ersten Tränen lief ich davon. Wieso war das alles nicht so viel einfacher? 

Ein Kleid so rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt