Ein Kleid so weiß wie meine Faust, als Mati der Kinnhaken traf

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"Seid ihr fertig?", fragte ich von draußen, noch immer die Hände vor den Augen. Ich wollte endlich mein Hochzeitskleid zu Gesicht bekommen! Was konnten sie da drinnen nur so lange machen? So schwer war es doch nicht, eine Schleife zu öffnen! Und was hatte es mit diesem Eimer auf sich, den mein Vater mit ins Zimmer genommen hatte? Lange konnte ich nicht mehr warten. 

"Zähl bis zwanzig!", antwortete Mati. 

Empört nahm ich die Hände von den Augen. Weil die Tür zu war, konnte ich trotzdem nichts sehen, aber ich konnte so schlecht sprechen, wenn mir etwas vorm Gesicht hing. "Du weißt genau, dass ich dabei immer durcheinanderkomme!" 

"Wir sind schon fertig!" Endlich! 

Freudestrahlend öffnete ich die Tür und erstarrte. Papa und Mati hielten ein Kleid in die Höhe, das bis auf die Farbe genauso aussah wie mein perfektes rotes Kleid, nur mit etwas Tüll drum herum, der mich ein bisschen an Gardinen erinnerte. "Das ist mein Hochzeitskleid?" Ich war ein wenig enttäuscht. Natürlich würde es mir sehr gut stehen, aber wirklich wie aus einer Boutique sah es nicht gerade aus. 

Kurz darauf bemerkte ich einen Farbeimer in der Ecke des Zimmers. Hatten sie es wirklich gewagt, mein rotes Kleid einfach anzumalen? Aber nein, bestimmt war das nur ein Zufall. So gemein würde nicht einmal mein Bruder sein. "Kann ich das Kleid jetzt anprobieren?" 

"Ich dachte, du wolltest es nur sehen! Vielleicht machst du dir erst die Haare und die Nägel, bis dahin halten wir es gerne für dich fest." Irgendwie wirkte Mati nervös. 

"Papi? Kannst du mir sagen, was ihr verheimlicht?" Ich blieb noch nett, da ich mich vermutlich getäuscht hatte. 

"Herzchen, wie könnte ich jemals etwas vor dir verheimlichen? Das Kleid muss nur trocknen, mehr nicht." Trocknen? Ich hielt es nicht länger aus und ging ein paar Schritte nach vorne und nahm ihnen das Kleid aus der Hand. Es war nicht durchnässt, aber als ich den Bügel an die Klinke hing, sah ich auf meine Hände und bemerkte tatsächlich weiße Farbe. Mati hatte allen Ernstes mein perfektes rotes Kleid weiß angemalt und mit Gardinen verziert! Das durfte nicht wahr sein! 

"Mati! Das war doch deine Idee!" Ich war so wütend wie lange nicht mehr. Mein Hochzeitstag stand an und kein Mensch der Welt würde ihn mir ungestraft ruinieren können, nicht einmal mein Bruder! 

"Sicher nicht, Schwesterchen! Er hat doch die Farbe und die Gardinen geklaut, ich habe damit nichts zu tun." Er sprang über das Sofa und versteckte sich hinter der Lehne. 

"Verräter! Glaub ihm bloß kein Wort, Herzchen, er hat mir dazu geraten!" Er rannte schnell hinter den Tisch. Also hatte er tatsächlich meinem Bruder bei diesem schrecklichen Plan geholfen! 

"Ich will doch genauso wie du, dass deine Hochzeit perfekt wird. Ich hätte niemals gewagt, dir den Tag mit Absicht zu ruinieren. Es war seine Idee und er ist nachts da eingebrochen, um die Farbe und die Gardinen zu klauen!" Ich hatte meine Handtasche nach ihm geworfen, er hatte sich leider rechtzeitig gebückt. 

"Jade, meine Kleine! Was denkst du, wo man in der Nacht ein Hochzeitskleid herbekommt? So einfach ist das nicht! Ich hatte gar keine andere Wahl!" Sie waren alle beide riesengroße Lügner. 

"Du hättest in eine Boutique einbrechen können!" Ich wurde immer wütender. 

"Aber nein, mein Kind, schließlich hattest du doch schon das perfekte Kleid. Es hatte nur die falsche Farbe." Ich hasse diese ewigen Ausreden! Er hätte es mir wenigstens vorschlagen können, aber hinter meinem Rücken durfte mich niemand so hereinlegen. 

"Von wegen! Da gab es eine Überwachungskamera und ein Sicherheitssystem und er war bloß in der Abstellkammer des Shopping Centers, die nie überwacht wird! Glaub mir Schwesterchen, es war sein Plan, weil er sich nicht genug Mühe machen wollte!" 

"Glaub ihm kein Wort! Ich würde das doch niemals wagen!" Da ich zwischen den beiden hin- und herrennen musste und keinen von ihnen erwischen konnte, musste ich mir etwas anderes ausdenken. Sie waren beide daran schuld, dass ich jetzt in einem alten Kleid zur Hochzeit gehen musste, aber das würden sie büßen. 

"Ich verstehe schon. Es war keine Absicht", meinte ich nett und lächelte. Gleich würden sie sich aus ihren Verstecken wagen! 

"Ja, genau!" Mati traute sich als Erster hervor. Er lächelte ganz lieb, sodass ich ihm beinahe verziehen hätte, wäre da nicht immer noch die weiße Farbe an meinen Händen. Also holte ich Schwung und verpasste ihm einen Kinnhaken. Mit Wucht fiel er gegen die Wand und rutschte hinter die Couch. 

"Steh auf!", schrie ich ihn an und kam näher. Doch er hatte sich schon schlafend gestellt, weshalb ich ihn da liegen ließ. Eine Strafe war es immerhin. 

Ich drehte mich um und suchte meinen Vater, aber er war bestimmt schon zu weit weggerannt. Er würde schon noch früh genug zurückkommen. Und wenn nicht, dann würde es auch ohne Brautführer funktionieren müssen. 

Ein Kleid so rot wie die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt