Netflix & Chill

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Merle wartete bis das surrende Geräusch des Türöffners ertönte, atmete tief durch, betrat den alten Hausflur, stieg die hölzerne Treppe hinauf und erblickte Luca locker angelehnt im Rahmen ihrer geöffneten Haustür. Merle schmunzelte. In ihrer Jeans und diesem hellgrauen Langarmshirt, welches ihren schlanken, sportlichen Körper sanft umspielte, wirkte sie so anders, so lässig. „Hey", grüßte Luca mit einem charmanten Lächeln, während sie ihre feingliedrigen Finger durch ihre wirren Locken streifen ließ. „Hey", erwiderte Merle und streckte eine Tüte Chips in die Höhe: „Ich dachte die dürfen bei einem Film nicht fehlen", schmunzelte sie und trat auf Luca zu, welche sie überraschend in eine Umarmung zog. Merle schluckte, hörte ihren eigenen Herzschlag in ihren Ohren, konzentrierte sich auf ihren Körper. Etwas stimmte nicht. Sicher da war Nervosität, eine gewisse Aufregung, jedoch nicht dieses seltsame Kribbeln welches ihre Adern durchzog, diese unbeschreibliche Reaktion ihres Körpers, mit welcher sie gerechnet hatte, weswegen sie dort war. „Komm rein", bemerkte Luca höflich und trat zur Seite.

„Und was kochen wir?", lächelte Merle und deutete auf die kleine an das gemütliche Wohnzimmer grenzende Küche. Luca hob die Schultern, auf ihren Lippen ein verschmitztes Grinsen: „Das klassische „Netflix & Chill“ Paket beinhaltet ein Sixpack Radler, bestellte Pizza, Chips" „...und natürlich Kondome", lachte Merle herzhaft, was nun auch ihre Gegenüber auflachen ließ: „Brauchen wir nicht....ist die Lesbenversion", zwinkerte Luca, schüttelte amüsiert den Kopf, trat in die Küche und kehrte mit zwei Radler zurück. „Luca, ich...", begann Merle zögerlich, was die junge Frau perplex eine Augenbraue heben ließ. „...ich weiß nicht, worauf das hier hinausläuft...aber....ich möchte mit offenen Karten spielen.", fuhr sie fort, nahm dankend eine der Glasflaschen entgegen und ließ sich auf dem Sofa nieder. „Was meinst du?", hakte Luca sichtlich irritiert nach und ließ sich neben Merle auf das Sofa sinken. „Ich schreibe noch mit Jemandem. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich...aber ...das möchte ich gerne noch ändern", erklärte Merle aufrichtig, was Luca überrascht aufsehen ließ: „Weshalb erzählst du mir das?" Lächelnd hob Merle die Schultern; „Weil ich es nur fair finde mit offenen Karten zu spielen" "Und weshalb triffst du dich dann mit mir?", erkundigte sich Luca interessiert, musterte Merle dabei aufmerksam „Weil ich dich kennenlernen möchte, du mich ...faszinierst. Es spielt hier und jetzt keine Rolle, aber ich möchte dennoch, dass du es weißt, verstehst du?" Erstaunt runzelte Luca die Stirn, bis ihre Mundwinkel zaghaft zu zucken begannen: „Wow...Ich glaube es war noch nie jemand so ehrlich zu mir...", stellte sie fest, nahm einen Schluck aus ihrer Flasche, stellte sie auf dem kleinen Glastisch vor ihnen ab und griff nach der Fernbedienung: „Nun gut, was wollen wir uns ansehen?" Grüblerisch betrachtete Merle den Fernseher, bis sich ein Schmunzeln auf ihre Lippen legte: „Da es die "Lesbenversion" ist, muss es thematisch schon passen". „Gut", lachte Luca, erhob sich, trat zielsicher auf das kleine DVD-Regal neben dem hellblau karierten Sofa zu und zückte eine DVD: „L-Word...treffender geht es nicht" „Oh Gott", lachte Merle nun ebenfalls auf „...das sind sechs Staffeln" „Mit -Generation Q- Neun", korrigierte Luca, hob die Schultern, auf ihren Lippen ein keckes Grinsen: „..dann musst du wohl häufiger herkommen".

„Ich kann diese Jenny nicht leiden", bemerkte Merle in die Serie vertieft und biss genüsslich in ihre mit Gemüse belegte Pizza. „…Dafür Shane umso mehr, was?", witzelte Luca, was Merle grinsend den Kopf schütteln ließ: „Optisch okay, aber charakterlich? Auf gar keinen Fall..." „Da bist du aber alleine...JEDE Lesbe steht auf Shane". „Bin ja keine Lesbe", lachte Merle und hob die Schultern. „Ach...", warf Luca ein, sah sie aufmerksam an: „Meine Konkurrenz ist also männlich?". Merle grinste verschmitzt, hob amüsiert eine Augenbraue: „Konkurrenz?" „Na was denn sonst…", zwinkerte Luca und biss in das Pizzastück in ihrer Hand, worauf Merle herzlich auflachte: „Konkurrenz belebt das Geschäft habe ich gehört". „Du bist also bisexuell?". Merle nickte: „Auch Männer haben etwas", schmunzelte sie, was Luca frech grinsen lies: „Das gewisse Etwas meinst du?". „Unter Anderem", erwiderte Merle keck, legte ihre Pizza beiseite, griff nach ihrem Radler und nahm einem großen Schluck. Luca hatte Humor, etwas, was ihr sowohl an Frauen, als auch an Männern mehr als gut gefiel. Luca hob die Schultern, griff ebenfalls nach ihrer Flasche und lehnte sich zurück: „Gibt auch schöne Männer... ich muss mich nur unter meinen Kollegen umsehen." „Ahaaaa", lachte Merle. „...Jetzt kommt es raus" „...Nein nein" winkte Luca vehement ab "...nicht so....aber wenn Jasper, Erik oder Tim ihr Hemd ausziehen muss auch ich als Vollblutlesbe schlucken", fuhr sie schalkhaft fort, was Merle eine Augenbraue heben ließ: „Auf mich wirkten deine Kollegen eher unscheinbar…" „Das täuscht".

„Wolltest du schon immer zur Polizei?", erkundigte sich Merle neugierig, schloss den Pizzakarton und lehnte sich ebenfalls zurück. Luca lachte leise: „Ja, tatsächlich, ich habe schon als Vierjährige die Polizisten am Bahnhof gelöchert...und du? Kellnerin war sicher nicht dein Berufswunsch, oder? Studierst du noch?" Merle atmete tief durch, zuckte kaum merklich mit den Schultern: „Ich hatte ein paar Schwierigkeiten zu Hause, bin bereits mit 15 ausgezogen...eine Wohngruppe, aus der ich allerdings mit 18 ausziehen musste. Unterstützung hatte ich leider nicht wirklich...also habe ich mir eine kleine Wohnung gesucht, ein Job und wollte Marketing studieren...Was leider weder zeitlich noch finanziell hingehauen hat. Also habe ich abgebrochen und eine Ausbildung zur Servicekraft gemacht.". Mit großen Augen sah Luca Merle an: „Dir steht doch noch Unterstützung zu..." „Für staatliche Hilfen verdienen meine Eltern zu viel...aber sie unterstützen mich nicht...". „Nicht besonders sympathisch", stellte Luca kopfschüttelnd fest, worauf Merle müde lächelte: „Nicht wirklich...aber ich mag meinen Job...mag es mit Menschen zu arbeiten...aktuell spare ich, hoffe, dass ich mein Studium vielleicht wieder aufnehmen kann." „Würde ich dir wirklich wünschen....bist du Einzelkind?", fragte Luca interessiert, was Merle unwillkürlich hart schlucken ließ. „Ein kleiner Bruder", antwortete sie knapp, hoffte, dass Luca bemerkte, dass dies kein Thema war welches sie gerne besprach, sich überhaupt gerne ins Gedächtnis rief. Bereits kurz nach ihrem Auszug war Josua, damals grade einmal drei Jahre alt, ebenfalls aus ihrer Familie geholt worden. Das Jugendamt hatte ihn in einer Pflegefamilie untergebracht. Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Wusste nicht, wo er war, wie es ihm ging. Eine Tatsache, welche Merle noch immer die Kehle zuschnürte, sie mit Trauer und Wut erfüllte, wenn man bedachte, dass sie den kleinen Jungen die ersten drei Jahre seines Lebens im Grunde voll betreut und umsorgt hatte.  „Kein gutes Thema?", riss Luca Merle aus ihren Gedanken, worauf sie lediglich knapp nickte. „Was hältst du von Tim...so als Fachfrau?", lenkte Luca mit einem sanften, verständnisvollen Lächeln auf den Lippen ab und deutete auf den Fernseher. Merle atmete auf, dankbar darüber dieses elendige Familienthema nicht weiter vertiefen zu müssen.


Schulter an Schulter lagen Merle und Luca auf dem kleinen gemütlichen Sofa, sahen sich bereits die vierte Folge der in der Szene allseits beliebten Serie an. Verstohlen blickte Merle zu Luca, musterte sie unauffällig. Sie war aufmerksam, sie war nett, sie war äußerst attraktiv, sie war anziehend und doch war es nicht das, was sie sich erhofft hatte. Wo war diese Spannung, dieser Reiz, dieses Prickeln, welches sie bisher in ihrer Gegenwart verspürt hatte? Die Uniform? – Nein, das war absurd. Irgendetwas stimmte nicht!

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