"Der letzte Gin-Tonic war eindeutig nicht mehr gut", nuschelte Merle, legte einen Arm um Amys Schultern und bot ihr Halt. Halt, welchen sie selbst nur zu gut gebrauchen konnte. Wann hatte sie das letzte Mal so viel getrunken, hatte ihre Grenzen derart ausgereizt? Amy kicherte, deutete auf das Gebäude am Ende der Straße, an dessen Hausfassade ein gut leserlicher Schriftzug prangte –BARIS DÖNER-. "Danach geht es uns besser", erklärte sie vollends überzeugt von ihren Worten, was Lotte wie auch Merle leise schnauben ließ. "Ich weiß ja nicht", erwiderte Lotte, worauf Amy wild zu gestikulieren begann: "Doch doch... ganz sicher. Viel trinken, fettig essen und zack ...wie neu." Merle lachte: "Wie neu...sicher, Amy. Also ich...ich gehe lieber ins Bett". "Kein Döner?" Merle schüttelte den Kopf, zog ihr Smartphone aus der Tasche und schaute angestrengt auf dessen Bildschirm, suchte konzentriert nach der App des hiesigen Verkehrsverbundes: "Um kurz nach halb 5 fährt eine Straßenbahn. Die nehme ich." "Bist du dir sicher?", warf Lotte ein, ehe sie fragend eine Augenbraue hob. "Die Station ist grade ums Eck. Das schaffe ich.", erwiderte Merle, übergab Amy an ihre Freundin und machte sich, doch unsicherer als gedacht, auf den Weg zur Straßenbahn-Station.
Tief vergrub Merle die Hände in ihren Jackentaschen, spürte wie die kalte Luft ihren Körper streifte, langsam in ihre Glieder kroch. "Fuck", fluchte sie leise, beschleunigte ihren Schritt, ehe sie eine Bewegung in ihrem Augenwinkel vernahm. Ein Schatten. Instinktiv fuhr sie herum, ließ ihren Blick über die menschenleere Straße schweifen, atmete tief ein. "Verdammter Alkohol", murrte sie, schüttelte den Kopf und setze ihren Weg zügig fort, bis sie urplötzlich gepackt wurde, sich in einer kleinen Eingangsnische wiederfand. Dicht vor ihr eine Gestalt, die Kapuze seiner schwarzen Jacke tief ins Gesicht gezogen, seine behandschuhte Hand fest auf ihren Mund gepresst: "Pssst! Nicht schreien, Kleines.", flüsterte er heiser. Worte, welche sie schlagartig erstarren ließen, ihren Körper mit schier endloser Hitze fluteten. - EYK. Sie schluckte fest, atmete schwer, bekam kaum Luft, während sich der Griff seiner Hand bereits lockerte, er langsam von ihr abließ. Den Bewegungsspielraum nutzend sah sie auf. Seine Haare, sein Gesicht verdeckt von einer schwarzen Sturmhaube, lediglich die Augenpartie ausgespart. Fassungslos starrte sie ihn an, starrte in seine Augen. Die Farbe seiner Iriden unmöglich zu erkennen, bedeckt von schwarzen Kontaktlinsen, welche ihn beinahe bedrohlich wirken ließen. "Du bist hier", presste sie mit brüchiger Stimme hervor, krallte sich dabei unwillkürlich in den Stoff seines weiten Oberteils. Träumte sie? "Ich bringe dich nach Hause", erwiderte er leise, seine Stimme ein zarter Hauch, welcher ihre Haut sogleich mit einer angenehmen Gänsehaut überzog. Angst! Verflucht, sie hätte doch Angst verspüren müssen und doch fühlte sie sich wohl, fühlte sich so unglaublich sicher in seiner Gegenwart. Dieser verdammte Alkohol, welcher ihre Sinne vernebelte. Diese verdammte Augenpartie. Sie kannte sie – doch sie konnte sie einfach nicht zuordnen. FUCK! Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken ließ sie von ihm ab, schlug kraftvoll auf seine Brust, ließ ihrer Wut, ihrem Ärger freie Bahn, wobei der Alkohol in ihrer Blutbahn wie ein Brandbeschleuniger zu agieren schien, ihren Kopf gänzlich abschaltete. Nur mit Mühe gelang es ihm ihre Hand zu fassen zu bekommen, umschloss ihr Handgelenk mit eisernem Griff. „Es ist okay, Merle", flüsterte er, zog sie dicht an seinen Körper, nahm sie voller Selbstverständlichkeit in den Arm. Diese Wärme, dieser Geruch, diese Nähe – diese unbeschreibliche Ruhe welche er ausstrahlte. Als wäre es genau das, was er erwartet hatte.
Tiefatmend schloss sie die Augen, ließ sich fallen, bis sie zusammenzuckte, warme Finger in ihrem Nacken spürte, während er die andere Hand in eine der vielen Taschen seiner schwarzen Cargohose schob, seine Handschuhe verstaute. Er hatte tatsächlich sie tatsächlich abgelegt, strich sanft mit den Fingerspitzen über ihre Haut, schickte etliche winzige Stromstöße durch ihren Körper. „Lass nicht los", bat sie kaum hörbar, schmiegte sich dichter an seinen Körper, klammerte sich an ihn, wie eine ertrinkende an eine rettende Boje.
Behutsam schob er sie von sich, strich durch ihr Haar: "Komm", raunte er, griff bestimmt nach ihrer Hand und zog sie mit sich. Vollkommen unfähig etwas zu erwidern, auch nur im Ansatz zu begreifen, welch unbeschreibliche Leere sie durchzog, folgte sie ihm, ließ sich widerstandslos mitziehen. Weshalb fühlte es sich so verdammt gut an? Zu spüren, wie sich seine Finger um die ihren schlossen, sie festhielten. Der Alkohol! - Es konnte nur der Alkohol sein.
Eyk verlangsamte seinen Schritt, kam neben einem am Straßenrand geparkten dunklen Wagen zum Stehen: "Entschuldige, Kleines", flüsterte er, ehe sie urplötzlich ein weiches Tuch an ihrer Nase spürte, sie diese übermächtige Dunkelheit regelrecht einhüllte, sie in einen sanften Schlaf entließ.
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Black Mail
Roman d'amourEine romantische Vorstellung - Angesprochen in einem kleinen gemütlichen Café, von einem attraktiven, charmanten Mann, welcher höflich nach deiner Nummer fragt. Nun, nicht so bei Merle. Bei ihr sieht das Szenario ein wenig anders aus. Merle arbeit...