Hauptbahnhof Frankfurt, Freitagabend 21:11 Uhr. Fanatische, grölende Fußballfans, schnorrende Punker, alkoholisierte prahlende Halbstarke, verlegen kichernde, Mädchen, peinliche Junggesell*innen-Abschiede, entnervte Geschäftsmänner. Das Polizeiaufgebot höher, deutlich präsenter als an gewöhnlichen Tagen. Tiefatmend schob Merle die Hände in ihre dünne, dunkelbraune Kunstlederjacke, trat einen Schritt zurück und brachte Abstand zwischen sie und die mit Unmengen an Schnapsgläsern ausgestattete Gruppe junger Frauen, ihre knappen pinkfarbenen Shirts bedruckt mit ‚einfallsreichen' Namen. Liebeshungrige Lisa, Unbefriedigte Uli, Geiernde Gina, Blasende Bea. Ach du Scheiße! Merle schmunzelte in sich hinein, schielte erneut auf die Bahnhofsuhr 21:16 Uhr. Noch zehn Minuten bis zur Ankunft des Zuges – dem Eintreffen von Amy und Lotte, einer alten, nun frisch getrennten, Schulfreundin. Der Plan: Ein Abend unter Mädels. Nette Gespräche, ein paar Cocktails und, sofern es ihre Verfassung zulassen würde, ein Besuch in ihrem früheren Lieblingsclub. Eine Hommage an alte Zeiten. „Ficken?", fragte eine der jungen Frauen breit grinsend, als sie ihr ein kleines mit einer dunkelroten Flüssigkeit gefüllte Plastikbecherchen entgegenstreckte. Perplex hob Merle eine Braue: „Ähm...", ergriff sie das Wort, doch noch bevor sie ihren Satz vollenden konnte, befand sich der kleine Becher bereits zwischen ihren Fingern: „Pia heiratet nächsten Samstag", fuhr die pummelige Blondine gut gelaunt fort und deutete auf eine kurzhaarige junge Frau, welche mit ihren geröteten Wangen in der Gruppe beinahe unterzugehen schien. Brüde Braut – las Merle den weißen Schriftzug auf ihrem T-Shirt, schüttelte lachend den Kopf, ehe sie mit der Liebeshungrigen Lisa anstieß und den süßen Likör ihre Kehle hinabstürzte. „Danke", grinste sie amüsiert, während Lisa den Becher bereits erneut füllte, Merle neugierig begutachtete: „Und du bist?" „Merle", erwiderte sie, während das Grinsen ihrer Gegenüber breiter wurde: „Die mysteriöse Merle." Lachend hob Merle die Schultern, atmete tief durch und leerte auch diesen Becher mit einem Zug. „Oh oh....oh.....ey Ihr da...", setzte Lisa nach und winkte eine Clique bestehend aus fünf jungen Männern herbei: „Wollt ihr ein Küsschen kaufen? Unsere Vorräte gehen langsam zu neige". Dicht trat einer der Männer an Merle heran, drückte seinen übertrieben muskulösen Körper regelrecht an den ihren.: „Darf ich mir aussuchen von wem?" Merle schnaubte leise, schob ihn bewusst zur Seite und doch gelang es ihr nicht Abstand zwischen sich und den grenzüberschreitenden jungen Mann zu bringen. Lisa lachte: „Na die Braut...". „Vielleicht doch...", begann ihr Nebenmann, ehe eine feste, nachdrückliche Stimme die sie umgebene Geräuschkulisse übertönte: „Das würde ich an ihrer Stelle nicht tun" Überrascht wandte sich Merle um, erblickte die Hand des Mannes neben ihr nur unweit ihres lediglich vom leichten Stoff ihres Kleides bedeckten Hinterns, bis ihr der uniformierte Beamte ins Auge stach. Merle schluckte, spürte seinen Blick, diese sengende Hitze, welche ihre Blutbahnen urplötzlich flutete. – Jasper. Oder doch nur der hochprozentige Likör der sich einen Weg durch ihren Körper bahnte? „Schon gut, ich wollte nur nett sein", ergriff der blonde Mann mit Kurzhaarschnitt das Wort, während seine Freunde hämisch zu lachen begannen: „Dumm gelaufen, Erik...", ...mal eine andere Art von Abfuhr, was?". "Es ist alles andere als nett einer Ihnen unbekannten Dame derart auf die Pelle zu rücken, sie gar ohne ihr Einverständnis zu berühren. Treten Sie bitte einen Schritt zurück", stellte Jasper mit kühler, distanzierter Art klar, seine Anweisung unmissverständlich, was ihren Nebenmann hörbar schnauben ließ: "Kleinliches Arschloch", fluchte er leise, was nun auch Jaspar tief einatmen ließ: "Ihre Papiere bitte" "Was?", entfuhr es dem jungen Mann, worauf Jaspar erneut das Wort ergriff: „Dieses ‚nett' zieht eine Strafanzeige wegen Beleidigung eines Polizeibeamten nach sich. Ich bitte Sie nun ein letztes Mal. Treten Sie zurück und händigen Sie mir Ihre Papiere aus". Unwillkürlich klemmte Merle die Lippe zwischen ihre Zähne, musterte den ihr nur allzu bekannten Polizisten aufmerksam, erinnerte sich unweigerlich an ihre letzte Begegnung mit ihm. Dieser Blick, dieses gefährliche Funkeln in seinen Augen, dieses Auftreten - diese unsagbare Autorität, welche ihn schlagartig umgab. Kleinlaut räusperte sich der Blonde neben ihr, trat zurück, brachte trotz der Fülle des Bahnsteigs Abstand zwischen ihre Körper, ehe er nach seinem Geldbeutel griff: „Das mit der Anzeige...das...ähm...ich wollte nicht" „Darüber hätten Sie sich vorher Gedanken machen müssen, Herr Weber", konterte Jaspar sichtlich unbeeindruckt, nahm den Ausweis entgegen und begann seine Personalien zu notieren. "Sie erhalten Post von uns. Sofern Sie mir am heutigen Abend nicht mehr begegnen möchten, rate ich Ihnen Abstand zu Ihnen unbekannten Damen zu halten. Verstehen wir uns?" Erik nickte, sein Missmut über diese Situation deutlich spürbar und doch schwieg er, nahm seinen Personalausweis, verstaute ihn und folgte seinen Freunden, welche sich der Situation ausweichend wenige Meter entfernt zusammengefunden hatten. Jaspar lächelte, zwinkerte kaum sichtbar: "Man sieht sich, Kellnerin", flüsterte er, nickte knapp und verschwand in der Menge. Sprachlos sah Merle ihm nach, ehe sie schmunzelnd den Kopf schüttelte. "Heißes Kerlchen", stellte die ihr gegenüberstehende Blondine fest und hob grinsend die Flasche in ihrer Hand: "Ficken?"
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Black Mail
RomanceEine romantische Vorstellung - Angesprochen in einem kleinen gemütlichen Café, von einem attraktiven, charmanten Mann, welcher höflich nach deiner Nummer fragt. Nun, nicht so bei Merle. Bei ihr sieht das Szenario ein wenig anders aus. Merle arbeit...