Die Ankunft in Karlstad fühlte sich wie ein emotionaler Wendepunkt an. Die Stimmung war nach dem intensiven Gespräch mit Martinus mehr als gedrückt. Mit jedem Schritt, den ich in Richtung meines Zimmers setzte, verstärkte sich die Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe, fernab der aufgewühlten Gefühlslage.
Als ich die Tür meines Zimmers hinter mir schloss, breitete sich eine gewisse Erleichterung aus. Der Raum, der mich für den Moment vor der Außenwelt abschirmte, wurde zu meinem Rückzugsort. Die Aufgaben, die vor mir lagen – E-Mails, Interviewanfragen, Bildbearbeitung –, wurden zu einem Ablenkungsmanöver. Es war ein mir bewusster Versuch, mich von den unangenehmen Geschehnissen der letzten Nacht abzulenken.
Der Laptop auf dem Schreibtisch wurde zu meinem Kommandozentrum. Jede E-Mail, jeder Arbeitsschritt war wie eine Barriere gegen die Gedanken, die unaufhörlich in meinem Kopf kreisten. Die Tastatur klapperte, der Bildschirm flackerte vor meinen Augen und die Zeit schien sich in den digitalen Aufgaben zu verlieren. Doch tief in mir spürte ich, dass die Realität draußen, die Emotionen und Konflikte, nicht so leicht zu verdrängen waren.
In den Pausen zwischen den Aufgaben ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Jedes Detail schien mir vertraut und fremd zugleich. Der Laptop wurde zum Schild, die Arbeit zum Panzer, und die Uhr schien im Takt der inneren Unruhe zu verlangsamen.
Es war, als hätte ich vorübergehend den Atem angehalten, um den Gefühlen keine Chance zu geben, sich wieder zu regen. Der Raum diente als Zuflucht, aber zugleich spürte ich, dass die Bewältigung der Ereignisse nicht aufzuschieben war. Trotz aller Ablenkungen blieb das Bewusstsein für das Unausgesprochene und Ausgesprochene, für die ungesagten und gesagten Worte zwischen Martinus und mir, präsent.
Der Gruppenchat meldete sich und die Nachricht über ein mögliches gemeinsames Abendessen erreichte mich. Die Frage schwebte im Raum, begleitet von Emojis und Antworten der anderen. Ich überlegte kurz, meine Ablehnung zu formulieren. Die Worte, dass ich in Arbeit versunken sei, fanden sich schnell auf meinem Bildschirm. Es war eine flüchtige Ausrede, doch die Wahrheit dahinter war meine Abneigung, dass Martinus sich möglicherweise wegen mir von seinen Freunden distanzieren könnte.
Der Gedanke an eine gesellige Runde mit der Gruppe, die nur wenige Schritte entfernt in einem Raum zusammensaß, ließ mich zögern. Doch die Angst vor weiteren unangenehmen Begegnungen, vor den Blicken und der ungelösten Dynamik zwischen Martinus und mir, überwog. Meine Finger tippten die Worte ein und die Nachricht verschwand im digitalen Raum.
Der Bildschirm zeigte die Reaktionen der anderen anhand von Emojis, die von einem lachenden Smiley bis hin zu Daumen nach unten reichten. Es war eine unscheinbare Absage in unserem Chat, die dennoch das Gewicht meiner eigenen Unsicherheiten trug.
Etwa eine Stunde später, als die Uhr bereits auf 19:00 Uhr zusteuerte, erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von Sebastian. Die Gruppe überlegte, mir etwas zu Essen mitzubringen. Eine nette Geste, die ich jedoch höflich ablehnte. Der Entschluss, den Abend in Einsamkeit zu verbringen, stand fest. Ein Gefühl der Leere breitete sich aus, als ich die Nachricht abschickte.
Nach einer erfrischenden Dusche, die den Tag symbolisch abspülen sollte, kleidete ich mich in kuscheligen Socken, einem zu großen Pullover und Leggings. Ein Ensemble, das Gemütlichkeit und Geborgenheit versprach, aber gleichzeitig auch das Gefühl von Einsamkeit betonte. Ein Blick in den Spiegel zeigte ein Bild von Verletzlichkeit, das ich jedoch entschlossen hinter einer Fassade der Unnahbarkeit verbarg.
Mit meinen AirPods in den Ohren tauchte ich wieder in die Arbeit ein. Die Musik fungierte als schützende Barriere gegen die Stille des Zimmers, während ich mich auf meine Aufgaben konzentrierte. Jede E-Mail, jeder bearbeitete Termin und jedes bearbeitete Bild waren kleine Schritte, die mich vorwärts brachten und zugleich von den quälenden Gedanken an Martinus ablenkten.
Es war ein leises Klopfen an meiner Tür, das von der allgemeinen Geräuschkulisse in meinem Ohr geschluckt wurde. Das Klingeln meines Handys durchschnitt die Lautstärke und auf dem Display prangte der Name Sebastian. Eine Mischung aus Verwunderung und Neugierde überkam mich. Hastig erhob ich mich von meinem Schreibtisch, öffnete die Tür und sah in das freundliche Gesicht meines Kollegen.
"Hey, Hannah. Tut mir leid, dass ich dich störe. Hast du einen Moment?"
"Natürlich, komm rein", erwiderte ich und schloss die Tür hinter ihm.
Sebastian hatte noch einige Anliegen bezüglich der kommenden Tage. Es ging um die Planung von Instagram- und TikTok-Content, um Zeitpläne und kreative Ideen. Trotz der professionellen Thematik vermittelte er mir ein Gefühl der Normalität und lenkte mich kurzzeitig von den turbulenten Ereignissen der letzten Zeit ab.
"Wie wäre es mit diesem Zeitplan?", schlug ich vor und skizzierte grob einige Ideen auf meinem Laptop.
Sebastian stimmte zu und ergänzte weitere Vorschläge. Die Diskussion war konstruktiv und wir nahmen uns die Zeit, alle Details zu besprechen. Die Atmosphäre im Raum wurde lockerer und zwischen den geschäftlichen Themen gab es auch Momente des Lächelns und der entspannten Unterhaltung.
Nachdem wir die Planung abgeschlossen hatten, warf Sebastian einen Blick auf die Uhr. "Es ist schon spät geworden. Du solltest besser schlafen gehen, Hannah. Morgen sieht die Welt sicherlich schon wieder anders aus."
Ich nickte schwach, dankte ihm für die Zusammenarbeit und wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht.
"Denk daran, dass es auch okay ist, mal an dich zu denken", fügte er mit einem aufmunternden Lächeln hinzu, bevor er meinen Raum verließ.
Alleine in meinem Zimmer konnte ich endlich wieder die Maske fallen lassen. Der Laptop auf dem Schreibtisch lud und ich ließ mich erschöpft auf mein Bett fallen. Der Schlaf kam schnell, aber begleitet von unruhigen Gedanken. In meinen Träumen wirbelten die Geschehnisse der letzten Tage wild durcheinander, ich spürte, wie sie tiefe Spuren in meinem Inneren hinterließen.