Besuch in Tarson

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Als das Mittagessen fertig war und Papa mit mir am Tisch saß, erzählte ich ihm dieselbe Geschichte wie zuvor Eva, dass unser Lehrer krank war und ich deshalb nicht so lange Schule hatte.

Er schien jedoch ziemlich abgelenkt zu sein und hörte mir nicht einmal richtig zu. Dennoch erklärte er: „Ich habe noch niemanden gefunden, der uns das Lösegeld leiht, aber ich habe auch noch nicht alle angerufen. Da findet sich bestimmt noch jemand. Und wenn die Polizei wirklich denkt, Felicia könnte umgebracht werden, dann bekommen wir das Geld vom Staat und Polizeibeamte verstecken sich, um die Entführer auf frischer Tat zu ertappen".

„Aber in dem Brief stand doch, Polizei sei verboten", wandte ich nervös ein. Was, wenn sie das Geld nicht annahmen und stattdessen meiner Schwester wehtaten, weil wir uns eben nicht an die Regeln hielten?

„Sie werden sehr vorsichtig sein. Officer Eileens war heute Morgen da und hat schon einmal Fotos vom Garten gemacht, um zu schauen, wo sich Beamte verstecken könnten".

Nickend schob ich mir einen weiteren Löffel Hühnersuppe in den Mund. Eigentlich mochte ich dieses Essen gern, besonders wenn große Stücke Blumenkohl darin herumschwammen, doch heute kam es mir fade und nebensächlich vor. Wenn die Polizisten sich nicht an die Forderungen der Entführer hielten und diese das mitbekamen, würden sie Felicia sicherlich verletzen. Ich musste mit meinen Ermittlungen unbedingt fertig werden, bevor es dazu kam.

Sobald wir aufgegessen hatten, verabschiedete ich mich mit der Ausrede, mit einer Freundin meine Hausaufgaben machen zu wollen und verließ, die Briefe in meinem Schulrucksack, das Haus.

Mit dem Fahrrad dauerte es nicht allzu lange, bis ich Tarson erreichte. Vierzig Minuten später stand ich vor dem Friseursalon des Dorfes, der mit dem Handy wirklich nicht schwer zu finden gewesen war.

Auf dem Weg hatte ich mir bereits einen Grund überlegt, nach Papa zu fragen und ging deshalb sofort hinein. Drinnen begrüßte mich ein laut kläffender, winziger Chihuahua, der ein pinkes Röckchen trug und eifrig an meinen Schuhen zu schnüffeln begann.

Verunsichert machte ich einen Schritt zurück. Papa würde sich niemals in einem Salon, in dem ein solches Tier frei herumlief, die Haare schneiden lassen. Aber der Brief stammte mit hundert Prozentiger Sicherheit von hier.

Also umrundete ich mit ausreichendem Abstand den nervigen Kläffer und wartete, bis die Frau, die gerade einem Kunden die Haare schnitt, sich kurz von ihrer Arbeit abwandte und mich ansprach: „Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?"

„Tut mir leid, komme ich unpassend?", fragte ich, als mir auffiel, dass es nur einen Stuhl zum Haare-schneiden gab und dieser Salon offensichtlich auch nur eine Arbeiterin hatte. „Ich habe nur eine Frage".

„Ach, frag ruhig", rief die ältere Dame, dessen Harre gerade geschnitten worden waren, und dessen Nase tief in einer Zeitung vergraben war. „Ich habe es nicht eilig".

„Ich komme im Auftrag meines Vaters", begann ich und machte einen Schritt zur Seite, als der nervige Hund wieder an meinen Schuhen zu schnüffeln begann. „Er war letztens hier und hat nach seinem Termin ein ganz tolles Shampoo gekauft, das jetzt aber leider leer ist. Ich wollte fragen, ob Sie es noch haben".

„Ich schaue direkt nach. Was für eines war es denn?"

„Ich habe leider den Namen vergessen", log ich und versuchte, möglichst schuldbewusst auszusehen.

Die Frau kratzte sich kurz am Kopf, bevor sie entgegnete: „Das ist kein Problem. Wie heißt dein Vater denn? Wenn er hier einen Termin hatte, müsste sein Name noch im System stehen".

Ich nannte seinen Namen und sie öffnete einen Laptop.

Nach kurzem Suchen runzelte sie die Stirn: „Dein Vater war tatsächlich hier und hat sich die Haare schneiden lassen, aber soweit das hier steht, hat er nichts gekauft. Er hat sich nur mehrfach über Mimi beschwert".
Bei den letzten Worten warf sie einen liebevollen Blick auf den kleinen Köter, der mittlerweile an meiner Hose herumkaute.

„Das klingt nach ihm", kommentierte ich und zuckte mit den Schultern: „Dann hat er sich wohl vertan und das Shampoo doch woanders gekauft. Danke für Ihre Hilfe".

„Gern", lächelte die Frau. „Einen schönen Tag noch".

„Gleichfalls", als ich mich in Richtung Tür drehte, schaute ich mich noch einmal aufmerksam im Raum um, doch nichts sah verdächtig aus. Es war nur ein kleiner, altmodischer Salon, dessen Front mehrere große Fenster enthielt. Er war weder heruntergekommen, noch schien die Frau Papa sonderlich gut zu kennen. Sonst hätte sie sicherlich nach Felicia gefragt.

Wieso er sich hier die Haare hatte schneiden lassen wusste ich jedoch nicht.

Ich werde meine größte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt