Wieso fühle ich mich nicht schlecht?

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Es ging erstaunlich schnell und leicht, meine Sachen wieder zusammenzupacken und alle Spuren meiner Anwesenheit zu beseitigen.

Selbst nach mehrfachem Bedrohen ihres Lebens hatte Mira standhaft geleugnet, Felicia entführt zu haben. Und sie hatte in dem Moment sicher mehr Angst vor mir gehabt als vor dem Gefängnis. Ich hatte ihr geglaubt.

Also hatte ich sie mit dem Stock bewusstlos geschlagen, die Fesseln gelöst, war sichergegangen, dass sie nicht lebensgefährlich verletzt war und noch atmete, bevor ich meine Sachen gepackt und wieder nach oben gegangen war, das Licht dabei anmachend.

Im Schnelldurchlauf hatte ich die Zimmer im oberen Stockwerk überprüft, doch auch dort waren keine Sachen meiner Schwester gewesen, sodass ich schlussendlich einfach durch die Haustür auf die Straße spaziert und nach Hause gegangen war. Niemand hatte mir einen zweiten Blick gewidmet, oder mich aufgehalten. Niemand hatte mich erkannt.

Zuhause war Mama bereits wieder da und saß auf einem Stuhl draußen. Es hatte wieder angefangen, leicht zu regnen, doch sie störte sich nicht daran. Das war die einzige Möglichkeit für sie, im Frühling ohne Allergieprobleme rauszugehen. Jetzt flogen nämlich keine Pollen.

„Tiara! Hallo!", rief sie fröhlich, sobald sie mich erblickte. Falls sie meine Kleidung komisch fand, erwähnte sie es nicht. „Gute Nachrichten! Der Arzt hat gerade angerufen. Du wurdest nicht unter Drogen gesetzt".

„Oh, das ist ja schön", das verminderte die Wahrscheinlichkeit von Miras Schuld noch einmal. Ich hatte sie überhaupt erst verdächtigt, weil sie die Möglichkeit gehabt hätte, etwas in unser Essen zu mischen. Jetzt konnte ich sie wohl deshalb, und dank der Befragung, von meiner Liste streichen.

Ich stellte mir kurz die Frage, ob des mich irgendwie zu einer schuldigen Person machte. Ich hatte schließlich eine Unschuldige angegriffen und verletzt. Aber, so viel Mitleid mit Mira ich auch hatte, fühlte ich mich nicht direkt schlecht. Ich konnte es nicht direkt greifen, aber es fühlte sich nicht an, als hätte ich etwas wirklich Schlimmes getan. Nur so, als hätte ich das Notwendige getan, um meiner Schwester zu helfen.

Auch wenn mein logischer Menschenverstand mich anschrie, dass ich ein schreckliches Verbrechen begangen hatte, unter dem eine gleibte Person sicherlich noch lange psychisch leisen konnte, fühlte ich mich nicht schlecht für meine Handlungen und würde sie, notfalls, sofort wiederholen.

Ich realisierte, dass ich eine ganze Zeit lang einfach nur dagestanden hatte, in Gedanken versunken, während Mama offensichtlich ebenfalls in die Ferne geblickt und nachgedacht hatte.

„Ich gehe nach oben", sagte ich ihr und sah nur noch ihr kurzes Nicken, bevor ich ins Haus ging.

In meinem Zimmer angekommen zog ich erst einmal die Kleidung aus, die ein paar Blutspritzer abbekommen hatte. Um keine unangenehmen Fragen gestellt zu bekommen, musste ich sie wohl selbst waschen. Aber erst einmal schob ich sie nach ganz hinten in meinen Kleiderschrank. Vielleicht würde ich sie noch einmal brauchen.

Als nächstes zog ich mein Handy heraus, warf mich aufs Bett und beschäftigte mich mit den nächsten Verdächtigen.

Von beiden Geschäftspartnern, die bei der Versammlung abwesend gewesen waren, fand ich ohne Probleme Fotos und die Adresse im Internet. Chris Grebens schien, laut dem Intagram-Kanal seiner Frau, tatsächlich auf Hawaii zu sein. Sie hatte in den letzten Tagen jede Menge Strand- und Meerfotos gepostet. Allerdings war ich mir sicher, dass man diese auch fälschen konnte. Ich musste auf jeden Fall bei ihm zuhause vorbeischauen.

Von Paul Stern fand ich keinen Beweis, dass er zu dem Zeitpunkt der Entführung tatsächlich krank gewesen war. Er lebte allein und schien auf Social Media nicht sehr aktiv zu sein. Auf seinem Account waren keine Bilder.

Ich suchte immer weiter, betrachtete die Profile seiner Follower, um mögliche Freunde zu erkennen, bis Eva mich zum Abendessen rief. Mit meinen Hausaufgaben hatte ich noch nicht einmal begonnen.

Am Tisch saßen Mama und Papa bereits. Schweigend aßen wir den Nudelauflauf, den Eva gemacht hatte.

Möglichst schnell verabschiedete ich mich wieder nach oben. Ich wollte mich rausschleichen und heute noch bei Chris vorbeischauen. Um diese Zeit war er, falls der Urlaub gelogen war, sicherlich zuhause.

Mama wollte jedoch nichts davon hören: „Nein, Liebling, du bleibst hier. Ich weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist, und wir alle versuchen, getrennt damit umzugehen. Aber wir sollten dennoch die Familie nicht vernachlässigen. In den letzten Tagen habe ich euch kaum gesehen. Deswegen machen wir heute einen Familienabend, reden über alles und genießen die Zeit miteinander".

„Aber ich bin müde", log ich mit Jammerstimme, bevor ich doch einlenkte.

Besonders bei dem Familienabend merkte man, dass Felicia fehlte. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und spielten einige halbherzige Runden Karten, bevor Papa sich auf das Sofa legte und einen Film anmachte. Er schien seltsam abwesend.

Auch Mama starrte mit traurigem Blick in die Luft, und ich blickte auf den Fernseher, aber im Nachhinein konnte ich nicht sagen, was für einen Film wir überhaupt angeschaut hatten.

Ich werde meine größte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt