Sobald die Tür hinter Officer Eileens geschlossen war, zog Mama ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und drehte den Kopf weg.
Ich musste ihr Gesicht jedoch nicht sehen. Ihr bebender Oberkörper und das ganz leise Schluchzen aus ihrer Richtung verrieten sie.
Auch mir war zum Heulen zumute. Es war zwar schön, dass die Polizei ihr Bestes gab, aber sie hatten dennoch noch nichts herausgefunden, und jetzt war schon Dienstag. Meiner Schwester blieben also nur noch drei Tage. Entweder, wir hatten bis dahin das Geld, oder sie würde sterben. Und wer wusste, was bis dahin mit ihr passierte? Es war nicht klar, ob die Entführer sie gut behandelten, ob sie Felicia genug zu essen gaben, oder was sie vielleicht mit einem wehrlosen, vierjährigen Mädchen anstellten, nur aus Vergnügen. Bei dem Gedanken wurde mir ganz schlecht.
Doch es brachte nichts, wenn wir uns jetzt beide unseren Gefühlen hingaben. Tiefe Atemzüge nehmend starrte ich an die Decke und blinzelte mehrfach, damit die Tränen in meine Augen zurückflossen.
Es klappte nicht so ganz, sodass ich mir einmal verstohlen mit dem Arm über meine Augen wischte.
Kurze Zeit später kam Eva aus der Küche und lief weiter in Richtung Wohnzimmer. Währenddessen rief sie über die Schulter in Mamas Richtung: „Das Essen ist jetzt fertig".
„Ich habe keinen Hunger", entgegnete Mama mit zittriger Stimme.
Ich ging um sie herum, sodass ich sie ansehen konnte, und umarmte sie. „Sie taucht bestimmt wieder auf", versichrte ich ihr, jedoch ohne selbst direkt daran zu glauben. Ich hatte bereits die Idee mit dem Drohbrief gehabt, auf die die Polizei nicht einmal gekommen war, und ich hatte keinen Erfolg gehabt. Wie sollten wir meine Schwester bis Freitag finden?
„Ich hoffe es", murmelte Mama und erwiderte die Umarmung. „Ich will nicht eine meiner Töchter verlieren. Unsere Familie soll komplett bleiben".
Eva kam zurück aus dem Wohnzimmer und balancierte irgendwie gleichzeitig die beiden Kaffetassen, Milch, Zucker und meinen Apfelsaft, den ich nicht angerührt hatte.
„Tiara, du solltest wirklich mehr trinken. Ich habe deine Flasche und Brotdose aus der Schule noch nicht, aber beim Mittagessen hattest du auch fast nichts. Ich bin zwar nicht Mira, aber trink bitte den Apfelsaft auf", tadelte sie.
Ich nickte und löste mich von Mama, um ihr das Glas abzunehmen. Auch wenn Eva das nicht offen zeigte und wahrscheinlich gar nicht wusste, wie sie damit umzugehen hatte, war es mir bewusst, dass Felicias Verschwinden sie genauso mitnahm, wie uns alle. Und weil unsere anderen Angestellten nicht da waren, hatte sie jetzt auch noch mehr zu tun.
Während ich den Apfelsaft in mich hineingoss, ohne das süßliche, frische Getränk überhaupt zu schmecken, dachte ich nach. Ohne Felicia wäre Mira, unsere Babysitterin, tatsächlich ein wenig überflüssig, denn ich konnte auf mich selbst aufpassen. Aber Mira hatte auch vorher immer seltener zur Arbeit kommen dürfen, einfach weil Papa scheinbar zu wenig Geld hatte, um ihren Lohn zu zahlen.
Mir wurde eiskalt, als mir diese Idee kam. Es war Mira, die uns die Tiefkühlpizza gekauft hatte. War es möglch, durch die Plastikfolie hindurch etwas hineinzuspritzen? Drogen, womöglich, damit die eine bei einer Entführung nicht aufwachte, und die andere nicht schrie?
Mira war nie besonders wohlhabend gewesen und brauchte das Geld, das sie bei uns verdiente, sicher dringend. Also hätte sie ein Motiv. Aber ich kannte sie schon seit meiner frühen Kindheit. Sie war immer nett zu mir gewesen, hatte immer gern auf mich, und später auch auf Felicia, aufgepasst. Ich liebte sie wie eine zweite Mutter. Wäre sie wirklch in der Lage, meine Schwester zu entführen?
Bei diesem Gedanken drehte sich alles in mir und ich nahm nur am Rande war, wie Eva mir das leere Glas wieder abnahm, das Geschirr in die Küche stellte und dann zuück in den Flur kam, um die Fische zu füttern.
„Wir fahren jetzt direkt zum Arzt, um die Tests zu machen", bestimmte Mama, die scheinbar auch einen Moment gebraucht hatte, um sich wieder zu beruhigen und noch immer wie angewurzelt im Flur stand. „Das ist das Beste, was wir gerade tun können".
„Brauchen wir nicht einen Termin?", fragte ich. Am liebsten wäre ich direkt zu Mira gefahren, um meine Vermutung zu überprüfen.
„Bis wir den kriegen können wir noch eine Woche warten", erwiderte Mama. „Und dann ist es zu spät. Wir fahren dort jetzt hin. Irgendwie kann der Arzt dich wohl dazwischenschieben".
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Ich werde meine größte Angst
Mystery / Thriller„Was ist, wenn ein Monster mich doch holt?" „Dann tue ich alles, was ich kann, um dich zurückzubringen!" Und das meine ich ernst. Ich tue alles, was ich kann. Und noch weitaus mehr. Deine größte Angst sind Monster in der Dunkelheit. Das Letzte, was...