Ich denke nach

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An dem Brief selbst konnte ich nichts Besonderes entdecken. Er war nicht von Hand geschrieben, sodass man die Schrift nicht mit der bestimmter Personen vergleichen konnte und die Polizei hatte bisher noch keine fremden Fingerabdrücke gefunden.

Ich las ihn wieder und wieder, in der Hoffnung, in dem Text selbst irgendeinen Hinweis zu finden, doch meine erhoffte Erleuchtung kam nicht. Es waren einfach nur drei ganz normale Sätze. Keine Rechtschreibfehler, kein Absender.

Wir haben deine Tochter. Verstecke Freitagabend eine halbe Millionen Euro im Rosenbusch hinter eurem Teich und komme nicht mehr nach draußen. Kein Geld, oder Polizei, und sie stirbt.

Das Einzige, was mich ein wenig störte, war, dass der Absender Papa mit du angesprochen hatte. Normalerweise siezten ihn alle Absender, die ihn nicht direkt kannten. Und der Entführer hatte unseren Garten genau genug gekannt, dass er wusste, wo genau ein Rosenbusch lag. Wobei man das vielleicht auch über Google Maps herausbekommen konnte.

Probeweise rief ich die Karte auf meinem Handy auf und stellte auf Satellitenbild um. Doch auch wenn ich ganz nah an unser Haus heranzoomte, erkannte man nur, dass es dort einen Busch gab. Nicht, dass es Rosen waren.

Also war der Entführer schon einmal bei uns gewesen. Vielleicht hatte er sich vor dem Einbruch, wenn man es so nennen konnte, umgesehen, oder er hatte uns schon vorher besucht.

„Vielleicht ein Bekannter der Familie. Das könnte auch erklären, wieso Felicia nicht geschrien und mich somit geweckt hat", murmelte ich leise vor mich hin. „Aber wer? Und wie soll ich das herausfinden?"

Das stellte tatsächlich ein Problem dar. Neben unserer nicht sonderlich großen Verwandtschaft, weil Mama und Papa beide Einzelkinder waren, kamen nur noch Mamas Kartenspielfreundinnen und Papas Geschäftspartner in Frage. Aber ich hatte mir nie die Mühe gemacht, sie besser kennenzulernen. Weder die einen, noch die anderen. Ich kannte nicht einmal alle Namen.

Und ob jemand Geldprobleme hatte oder empathielos genug war, um ein kleines Mädchen zu entführen, wusste ich erst recht nicht.

Und dann gab es natürlich noch Eltern von Freundinnen, die vielleicht einmal unseren Garten betreten hatten, oder Spaziergänger, die sich vom Wald hinter dem Garten aus zu uns verirrt hatten. Das kam tatsächlich vor. Einmal hatte sogar einer in unseren Teich gepinkelt.

Diese Überlegungen brachten mich nicht weiter. Nachdenklich betrachtete ich noch einmal die genaue Schriftart. Jeder der Buchstaben war in derselben geschrieben, auch wenn meine Computerkenntnisse nicht ausreichten, um sie zu erkennen. Aber beispielsweise sahen alle es gleich auch, genauso wie alle as.

Kamen sie aus derselben Zeitung? Hatten verschiedene Zeitungen unterschiedliche Schriftarten? Bestimmt. Aber um das zu überprüfen, musste ich erst einmal an verschiedene Zeitungen kommen.

Im Handy prüfte ich, wann die örtliche Bibliothek öffnete und hatte tatsächlich Glück. Bis ich dort war, hatten sie bestimmt schon die Türen offen. Und so früh morgens war sicherlich noch nicht viel los, sodass ich vielleicht sogar unangenehme Frage vermeiden konnte.

Also machte ich mich auf den Weg zurück durch den Park, bog an dessen Ausgang jedoch in die andere Richtung ab und folgte der Straße weiter zur Bibliothek.

Ich werde meine größte AngstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt