Ich starte in die Dunkelheit. Der Bach plätscherte, das Feuer knisterte, ich legte gelegentlich ein paar Zweige auf. Eigentlich wunderschön.
Langsam wurde mir unwohl und kühl. Er kam einfach nicht zurück.
Unter dem Vorwand das Geschirr zu spülen, ging ich zum Bach, doch Thomas war nicht dort wo ich ihn erwartet hatte. Trotzig schrubbte ich dennoch die Töpfe und Teller, so gut es in der Finsternis eben möglich war. Beinahe wäre mir eines der Alugefäße davon geschwommen, ich fiel halb hinterher in den Bach, als ich danach schnappte. Auch mein kleiner Aufschrei vor der Wasserkälte brachte Thomas nicht wie durch Zauberhand herbei. Also stapfte ich mit durchnässtem Shirt zurück zum Zelt. Scheppernd ging das Geschirr zu Boden, als ich mit dem nackten Fuß über einen Stein stolperte. Dieser wiederliche Schmerz! Verdammt! Ich musste ein entsetzliches Lärmen verursachen. Von Pein geplagt, humpelte ich zum Zelt zurück. Ging eines schief, geht gleich alles daneben. Tränen rannen mir über die Wangen. Dieser Mann hat mich vollkommen durcheinandergebracht und ich war eine Idiotin ihn mich durcheinander bringen zu lassen.
Aiden blickte verwundert aus dem Zelt, erkundigte sich, was geschehen sei. Ich winkte nur ab, nahm meinen Rucksack und ging am Bach nun meine nackten Füße waschen, das wunde Knie reinigen, Zähne putzen und wärmere Kleidung anziehen. Nicht einmal dem friedlichen Plätschern des Wassers gelang es, mich zu besänftigen. Mein Herz und mein Geist waren aufgewühlt, kamen nicht zur Ruhe. Die Gedanken überschlugen sich, die Gefühle zerrissen mich.
Ich ließ mir absichtlich Zeit, in der Hoffnung Thomas würde inzwischen zurückkehren und zumindest die Schlafsituation für mich lösen. Läge er schon in seinem Schlafsack, würde ich mich einfach danebenlegen. Bei den Temperaturen hier im Tal würde ich ohne Decke zwischen den Männern nicht erfrieren.
Doch er war noch nicht zurück. Nur Aiden saß im Zelt. „Emilia, tell me what happened! Where is Thomas?“ Er sah mich erwartungsvoll an. „I don’t know.“ Sein Blick wurde sorgenvoll, es war nicht schwer seine Gedanken zu erahnen. Nein, Aiden, vergiss das bloß ganz schnell wieder. Thomas würde niemals, naja unverschämt werden. Er war viel zu anständig, warmherzig und schüchtern auch, wie ich zuletzt bemerkt hatte. „Did you … fight?“ „No Aiden, everything is fine.“ Na prima, jetzt machte auch er sich noch Sorgen, Vorwürfe vielleicht, uns allein gelassen zu haben. Ich allein war die Schuldige. Meine knappe Antwort würde es zwar auch nicht besser machen, aber ich war nicht in der Lage ihm meine unmögliche, peinliche, dumme Situation zu erklären. Wie war nur aus unserer furchtbaren Tragödie ein romantisches Problem geworden?
Ich öffnete den Schlafsack, breitete ihn zu einer großen Decke auseinander und verkroch mich in den letzten Winkel des Zeltes, sodass er noch genug Platz neben mir hätte.
Er kam nicht wieder. Was trieb er nur da draußen? Es war stockduster. Wenn ihm etwas zugestoßen ist? Das könnte ich mir im Leben nicht verzeihen. Ich verfluchte mich und meine schüchterne Stummheit. Ich grübelte was ich hätte sagen können, was ich zur Gutmachung tun könnte.
Möglicherweise interpretierte ich sein Verhalten vollkommen falsch. Ist es möglich, dass ich ihn einfach nervte, er nur seine Ruhe suchte, um über alles Geschehene nachzudenken? Seine Worte müssen nicht diese romantische Botschaft beinhalten, wie ich es arroganter Weise annahm. Es konnte einfach die simple, schlichte Wahrheit sein, dass er sich gern für seine Mitmenschen einsetzte, stärker wurde, wenn er jemanden helfen konnte. Vielleicht sitzt er selenruhig dort draußen, mit den Füßen baumelnd im Bach, den Mond beschauend, wie der grübelnde Einsiedler und Naturmensch den er darstellte.
Nein, ich konnte mein Gewissen nicht damit beruhigen. Ich hatte es gesehen, wie ich ihn verletzt hatte, seinen tiefgründigen Worten nichts erwidert zu haben. Er zog sich mit jeder Sekunde der Stille tiefer in sich zurück, entfernte sich von mir. Das hatte ich deutlich beobachten können. Ein Monster bin ich. Ich hatte ihn verletzt. Das hatte dieser wunderbare, stolze Mann nicht verdient.
Er kam nicht zum Zelt zurück, nicht einmal zum Feuer davor.
Ich fragte mich, warum ich eine Frau sein musste. Damit machte ich alles schwieriger. Männer unter sich hätten viel mehr Freude, so wie Männer eben unter sich sind. Zwanglos. Mehr und mehr stellte ich mich selbst in Frage. Bis ich in einen unruhigen Schlaf versank. Wo war er nur?
Mein Herz machte einen Überschlag als ich jemanden ins Zelt kriechen spürte. Er legte sich neben mich unter die Decke, wie erhofft. Mit geschlossenen Augen erkannte ich ihn unverwechselbar. Seine Bewegungen, seinen Duft, seinen Atemrhythmus, seine Wärme. Träumend kuschelte ich mich an ihn. Sein Arm zog mich näher heran, den Kopf lehnte er an meine Stirn. War alles wieder gut? Meine schweren Lieder öffneten sich nicht, um seine Mine zu prüfen.Am Morgen darauf war ich mir allein im leeren Zelt nicht mehr sicher, ob er wirklich zurückgekommen war. Der Platz neben mir war noch etwas warm, entweder von mir selbst oder er hatte kürzlich doch noch neben mir gelegen. Auf Knien bewegte ich mich zum Ausgang. Die Männer saßen beisammen an einem frischen Feuer. Sie unterhielten sich ernst. Der Tag war trüb, weder regnete, noch stürmte es. Wolken verhingen die Sonne.
Als ich heraustrat blickten beide sofort zu mir. Redeten sie über mich oder bildete ich mir nur ein, interessant genug für ihre Unterhaltung zu sein? Misstrauisch stolzierte ich an ihnen vorbei, ihre Blicke folgten mir, wie auch ihr Gemurmel. Pah, er hatte Aiden meine ganze Misere berichtet. Hatten sie sich nun gegen mich Idiotin verbrüdert? Kann mich bitte jemand hier herausholen? Die idyllische Wiese wurde mir unerträglich, aus meiner eigenen Schuld.
Ich spürte, wie er mir folgt. Automatisch lief ich schneller, er ebenso, mit seinen langen Schritten. Er holte mich ein.
Ich wirbelte herum, stolperte ihm dabei noch einen Schritt entgegen. „Wo bist du gewesen?!“ Ich funkelte ihn an. Erschrocken über mein eigenes Zischen und meinen bösen Blick, ging ich blinzelnd ein paar Schritte rückwärts und blickte ins grüne Gras. Hatte er überhaupt eine Vorstellung, welche Sorgen er mir bereitet hatte?
„Es tut mir leid.“ Nein das müsste ich sagen! Er ließ mich noch unmöglicher dastehen. „Ich war nicht weit weg. Dort saß ich, unter der Zeder. Ich dachte du bemerkst mich.“ Wie bitte? Er saß dort, hat mich bei allem beobachtet: wie ich perplex am Feuer sitzen blieb, ihm hinterher starrte, ins Wasser fiel, mit dem Geschirr stolperte … Sie fehlten mir wieder, diese verdammten Worte. „Thomas, ich weiß nicht …“, meine Stimme brach. Mein Hals schnürte sich zu. So standen wir betreten da. Keiner wusste etwas zu sagen.
„Hey Idiots! Come back here! Breakfast is done.“ Das musste ein lächerliches Schauspiel für Aiden darstellen. Ich kam mir vor, wie ein alberner Teenager. Flüchtig wusch ich mir das Gesichts, strich mir die Haare zurecht. Er wartet auf mich und ging dann ein paar Schritte voraus zum Lager zurück. Aiden brabbelte ablenkend etwas über das Wetter, ob man uns heute holen könnte. Wir tranken Kaffee, aßen den üblichen Brei und hinterher gab ich eine Runde Schokoriegel aus. Beim Packen meines Trekking-Rucksackes hatte ich ernsthaft überlegt, ob die Süßigkeiten ihr Gewicht und den Platz im Gepäck wert wären. Nun war ich eindeutig sehr froh darüber, diese Nervennahrung eingepackt zu haben. Das war wohl eine meiner besseren Entscheidungen.
Die Spannung war unerträglich. Unser Freund versuchte das Beste daraus zu machen. Ich ging abwaschen, wie üblich. Bei Tageslicht gestaltete sich das weitaus leichter als vergangene Nacht. So konnte ich den Männern einen Moment entfliehen. Ich kam nicht aus dem Grübeln heraus. Wir konnten nicht so tun, als hätte ich mich nicht furchtbar dämlich verhalten oder als hätte er nichts gesagt, was ich verstanden hatte, wie ich es eben verstand.
Ratternde Rotorengeräusche ließen mich zum Himmel aufblicken. Vergessen war alles für einen Augenblick. Ich rannte zu den Anderen, meine Schritte überschlugen sich beinahe. „Sie sind da!“, schrie ich überglücklich, natürlich absolut Sinn frei, flog der Helikopter bereits unüberhörbar über unsere Köpfe und verkündete sein Eintreffen schon selbst. Thomas fing mich im Sprint auf und drehte mich in fester Umarmung. Endlich. Die Spannung lösten sich auf in Schall und Rauch, in überschwängliches Lachen. Tränen des Glücks bildeten sich in unser beider Augen. Einen weichen Kuss hauchte er mir auf die Wange, bevor er mich absetzte und aufzuräumen begann. Glückstaumelnd stürzte ich auch Aiden in die Arme, der vor Freude tanzte und mich mit sich wirbelte. Der Helikopter landete einige Meter entfernt. Eilig packten wir unsere Sachen zusammen. Das Rettungsteam half uns, nichts in der Wildnis zurückzulassen, als wären wir niemals dort gewesen. Wir wurden in den Helikopter geschoben. Alles ging sehr schnell. Kaum hatte ich Thomas Hand in der Aufregung gefunden, landeten wir bereits in Lukla. Wir sind endlich angekommen an unserem einstigen Ziel. Zurück in der Zivilisation.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, jedoch nicht das.
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WEISS WIE DER SCHNEE - WIE DIE BERGE SO HOCH
AdventureEin lebensveränderndes Abenteuer einer jungen Frau.