Verwobene Seelen ...

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Auf leisen Strümpfen schlich ich zur Zimmertür, zögerte sie zu öffnen. Ich sollte ihn in Frieden lassen. Er hatte Zeit für sich verdient, wurde bereits mehr als genug gequält und bedrängt.
Einige Minuten des Hin-und-Her-Überlegens später stand ich im zugigen Korridor vor seiner Tür, wagte es nicht zu klopfen. Lauschte nach einem Geräusch, welches mich lieber schnell verschwinden ließe, ein leises Schnarchen oder so. Aber nein, ich hörte nichts. Mit pochend roten Wangen überwand ich meine Unsicherheit. Meine Fingerknöchel hatten kaum die Holztür ein zweites Mal berührt, als sie von innen schwungvoll aufgezogen wurde. Wusste er, dass nur ich es sein konnte, die ihn zu der späten Stunde störte? Da stand er vor mir, mit hängenden schlaffen Schultern, weiten schlabbrigen Schlafkleidern, halbfeuchten Haaren und rot unterlaufenen Augen, roter Nasenspitze. Er musste fürchterlich geweint haben. Bei seinem Anblick zerbarst mein Herz. Meine Anwesenheit schien ihn zu erleichtern. Als er mich in eine Umarmung ziehen wollte, fiel ich ihm mit einem fliegenden Schritt nach vorn um den Hals in einen tiefen, herzergreifenden Kuss hinein. Thomas zog mich, mit einer Hand um meiner Taille, auf den vordersten Zehenspitzen zu ihm heraufgestreckt, schwebend in sein Zimmer. Seine andere Hand schlug die Tür hinter uns zu. Ich atmete seinen Kuss ein, meine Seele zerfloss darin. Er war so warm und weich, ganz sanft. An jeder Faser meines Körpers wollte ich ihn spüren. Gänsehaut breitete sich unter seinen Berührungen aus. Zaghaft strich er mir die Kleider vom Leib, zog mich seitlich auf seinen Schoß, ließ mich vorsichtig in seinen Armen hinab auf das Bett sinken. Seine Lippen verließen meine nur für den Augenblick, um sich selbst von der Kleidung zu befreien. Mein Blick lag gebannt auf ihm, während er mir mit jeder Bewegung mehr von sich offenbarte. Er hauchte warme Küsse auf jeden Zentimeter meines Körpers. Als würde ich die Besinnung verlieren, hielt ich eine Hand an meine Stirn, ich löste mich unter ihm auf. Die Finger meiner anderen waren in seinen wilden Haaren vergraben, hielten sich fest, um nicht vollends zu zerfließen. Seine tiefe Eroberung ließ mich nach Luft ringen. Ich spürte seinen warmen Atem auf der sensiblen Haut meines Halses. Es gab nichts mehr um uns herum, nur seine Berührungen.

Ineinander verwoben schliefen wir selig ein, kein Albtraum weckte uns.
Als die Sonne durch den bunten Gardinenstoff blinzelte und sich das Zimmer langsam erwärmte, weckten mich seine sanften Finger, die über meinen Rücken strichen, als wollte er Linien darauf malen. Dabei hatte er bereits ein ganzes Kunstwerk auf mir hinterlassen, ich konnte noch jeden Pinselschwung seiner Zuneigung spüren. Er döste mit geschlossenen Augen in reinster Entspannung, keine Sorgenfalte, kein ernster Blick war zu erkennen. Weich waren seine Züge. Mit den Fingerspitzen strich ich sein Haar von der Stirn, durchkämmte seinen Bart, streichelte seine Wange. Er war wunderschön in diesem glänzenden Morgenlicht. Genießend bewegte er seinen Kopf meiner Hand entgegen. Er lächelte.
Fast wäre ich mit dem Kopf auf seiner Schulter wieder eingeschlafen, als er sich nach einem Kuss auf meine Stirn von mir entfernte und alle Wärme mit sich zog. Enttäuscht setzte ich mich in dem zerwühlten Bett auf, blickte seinem nackten Rücken nach, wie er ins Badezimmer bog. Ich hätte hier ewig mit ihm so liegen können. Das Prasseln des Duschwassers weckte meine Neugierde. Ich klopfte an den Türrahmen der offenstehenden Badezimmertür. Er bat mich zu sich, drehte das Wasser wärmer. Mit Küssen bedeckte ich seinen Rücken, strich über die Locken auf seiner Brust, bis er mich von den Füßen zog und vor sich an die kalte Fliesenwand drückte. Als wir zufrieden und glückselig wieder unter der Decke lagen, hätten wir erneut duschen gehen können, ein endloses Spiel.
Gepackt von Unruhe, als hätte er wichtige Verpflichtungen in der Welt dort draußen, vor unserer Zimmertür, durchbrach er unsere Zweisamkeit damit sich anzukleiden. Als er fertig war, sammelte er meine Kleidung, verteilt über den Zimmerboden, sorgsam auf und überreichte sie mir mit einem nur flüchtigen Kuss, dass er nur nicht zu innig wurde und wer weiß wo endete. Er sah mir, zurückgelehnt auf dem gegenüberliegenden Bett, genüsslich beim Anziehen zu.
Die Hände miteinander verschränkt, öffnete er die Tür, um gemeinsam zum Frühstück zu gehen. Er schmiss sie umgehend mit einem Knall wieder zu. Presseleute lauerten im Korridor. Er schnaubte, ich biss nervös auf die Unterlippe. Thomas nahm mein Gesicht zwischen die Hände, blickte mit seinen funkelnden blauen Augen in meine. Ein derber Abschiedskuss. „Bleib noch einen Moment hier, anschließend kannst du ungestört zu deinem Zimmer gehen.“ Ich sah ihm nach, dann auf die geschlossene graue Tür. Die Einsamkeit holte mich ein. Wortlos ging er an den Reportern vorbei, sie folgten ihm auf den Fersen. Hatten die noch immer nicht genug?
Nachdem der Korridor leer wurde, huschte ich in mein Zimmer. Wenig später ging ich zum Frühstück. Ich konnte mich nicht zu ihm setzen, war er bereits umringt von seinen Kollegen. Somit aß ich also allein etwas Brot und Ei, versuchte Nerv tötende Reporter auszublenden. Gerade als ich mich zurückziehen wollte, sprach mich eine deutsche Zeitungsreporterin direkt an, mit Notizblock und Bleistift in der Hand. „Emilia Siegfried? Auf ein Wort, bitte!“

WEISS WIE DER SCHNEE - WIE DIE BERGE SO HOCHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt