Ein Wildblumenstrauß ...

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Bald müsste ich auch meinen Eltern meine nächste Reise beichten. Sie wussten noch nicht viel über Thomas.
Ich brachte zur Besänftigung bei meinem Besuch am Sonntag einen Kuchen mit. Erdbeer-Kuchen, denn Juni ist Erdbeer-Zeit und sie sprießen in meinem Garten. Vater war skeptisch, was das für ein fremder Kerl war, den ich besuchen wollte. Ich hatte diese Reaktion geahnt und legte ihm den schmeichelhaftesten Artikel über Thomas vor die Nase. Mutti verstand zwar, dass ich ihn besuchen wollte, befürchtete jedoch, ich würde nicht zurückkehren. Ich versuchte sie zu besänftigen, nur wenige Tage Urlaub zu haben. Doch eigentlich wusste ich selbst nicht, wo das hinführen würde. Es war aufregend, diese Ungewissheit.
Jede Nacht grübelte ich, wie ich mein Leben gestalten könnte, um näher bei ihm zu sein.
Rosalinde fand es ebenso aufregend, als ich ihr von den Plänen berichtete. Sie hatte so viel über ihn gelesen, dass sie Thomas zu kennen glaubte.

Mit unseren gelegentlichen Telefonaten verging die Zeit wie im Flug und ich packte meinen Koffer. Ich zog mein blaugeblümtes Lieblingskleid an, trug Lippenstift auf, der eher meiner Lippenfarbe entsprach, als dass er sie strahlend rot färbte. Dabei fragte ich mich, ob ich Thomas so herausgeputzt noch gefallen würde. Bisher kannte er mich nur in Wanderkluft.
Rosalinde fuhr mich mit dem schweren Koffer zum Bahnhof. Sie stärkte mein Selbstbewusstsein, dass ich ihn verzaubern würde. Ich lachte nervös und stieg in den Zug.
In München suchte ich zwischen der Vielzahl an Gleisen aufgeregt den Anschlusszug. Der ein oder andere freundliche Herr half mir mit dem Koffer, in Kleid und Absatzschuhen sah ich wohl sehr unselbstständig aus.
Mit meiner Kamera um den Hals beobachtete ich die grüne, bergige Landschaft, die an mir vorbeizog. Mit einem feinen Kaffee im Speisewagon und einem netten Buch, ließ sich die lange Fahrt aushalten. Mein Herzlein pochte in rasanter Vorfreude. Bald schon würde ich ihn endlich wiedersehen. Ich träumte, mit dem Blick zur vorbeiziehenden Landschaft, verschiedene Varianten der Begrüßung.

Es war bereits 16 Uhr, als der Zug im Bahnhof in Bozen eintrudelte. Ich entdeckte ihn schon vom Fenster aus. Er trug ein weißes Baumwollhemd, die Ärmel hochgekrempelt, der Kragen gerade nur so weit zugeknöpft, das es nicht spießig war. Sein Haar hatte er versucht zu bändigen. Extra für mich? Und hatte er da tatsächlich einen kleinen Strauß Blumen in der Hand? Wildblumen die er wahrscheinlich selbst gepflückt hatte. Ich schmunzelte. Wurde er hier in der zivilisierten Welt zum romantischen Gentleman?
Ich stieg eilig aus. Der Ausstieg war unbequem hoch, so stolperte ich meinem Koffer hinterher. Die Stufen am Zug waren nicht für kleine Frauen geeignet. Ein Nebenstehender hielt mich am Arm und erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden. Ich bedankte mich und straffte den Rücken. Hoffentlich hatte er es nicht gesehen. Das Blut schoss mir pochend in die roten Wangen. Mein Blick fand ihn sofort in der trubelnden Menge ein- und aussteigender oder wartender Menschen. Mit langen, gleitenden Schritten kam er, sich geschickt durch die Leute windend, auf mich zu, bis über beide Ohren strahlend. Ich ging ihm freudig ein paar Schritte entgegen. Ein Kuss oder eine Umarmung zur Begrüßung? Ach, ich fiel ihm einfach um den Hals. Er schloss mich herzlich in die Arme. Als er mir die Blümchen übergab - ein kleiner, unsortierter, duftender Strauß von weißen, blauen und gelben Wiesenblumen - brauchte er kein Wort zu sagen. Seine funkelnden Augen, die mich auf und ab begeistert begutachteten, verrieten alles. Ich gefiel ihm. Mein Herz flatterte. Dann griff er nach meinem braunen Lederkoffer und führte mich mit einem Arm um meine Taille aus dem Bahnhof heraus, seinen Blick nicht von mir wendend. Er machte mich nervös, dieser schöne, charmante Mann.
Vor dem Bahnhof stand sein glänzender, wohl wenig gefahrener, dunkelroter Mercedes. Thomas flüsterte mir raunend ins Ohr "Du siehst bezaubernd aus.“ und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Oh je, nur nicht ohnmächtig werden! Er öffnete mir die Tür, während ich das elegante Auto betrachtete. Mit butterweichen Knien stieg ich in den Wagen. Ich schnappte nach Luft, als er um den Kofferraum herum, mein Gepäck einladend, zur Fahrerseite hinüberging.
„Es ist schön dich zu sehen. … Du siehst gut aus.“, wisperte ich schüchtern, nachdem er eingestiegen war. Verzückt sah er mich an: „Es ist sehr schön, dass du hier bist.“ Er startete den Motor und brummend ging es durch die Landschaft. Ich bestaunte die eindrucksvollen Dolomitenfelsen ringsum, die grünen Wiesen, Weinhänge. Die Sonne ließ die Umgebung sommerlich erstrahlen. Auf der Fahrt zu seiner Burg Kastelbell, zeigte und erklärte er fasziniert alles, was es zu sehen gab: Die Namen der Bergspitzen und wann er dort oben war. Die Höfe, die zu seinem Anwesen gehörten, was dort wuchs und produziert wurde. Grüßte im langsameren Vorbeifahren einen seiner fleißigen Pächter, der neugierig zu mir ins Auto blickte.
Versunken in seinem Element beschrieb er ausschweifend gestikulierend und durch die Gegend deutend all die interessanten Vorgänge, Pläne und Möglichkeiten. Ich lauschte ihm aufmerksam und sah mich um, dachte allerdings hin und wieder: Halt nur gut das Lenkrad fest, mein Lieber!
Wir fuhren in den Burghof, ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Kastelbell war regelrecht ein Freilichtmuseum. Ich drehte mich im Kreis, um die Festung erfassen zu können. Einige Bereiche waren noch Ruine. Der Innenhof war wohnlich gestaltet, eine kleine Gartenterrasse angelegt. Es war alles von beeindruckender Erstaunlichkeit, wahrlich märchenhaft. Hier lebte er?
Mein Märchenprinz küsste mich stürmisch, riss mich aus meinen faszinierten Betrachtungen, drückte mich unvorsichtig gegen das polierte Auto. Dann zog er mich ungeduldig weiter zum Gebäudeeingang. Wir traten in einen dunklen, steinernen Korridor. Es roch nach alter, muffiger Burg. Bis hier hin waren die Renovierungsarbeiten noch nicht gelangt.
Unter sehnsuchtsvollen Küssen hatte Thomas mich bis auf die Haut entkleidet, ehe wir den ersten Raum betraten. Dort stand lediglich ein großer Tisch und einige Stühle. Er setzte mich rückwärts auf den groben, kühlen Holztisch. Ich knöpfte sein Hemd auf, um seiner Körperwärme näher zu sein. Sein ungehemmtes, gieriges Stöhnen ließ mich die Welt vergessen, sowie das kahle, kalte Burgzimmer. Es gab nur unsere leidenschaftliche Hingabe. Wir waren allein.

Thomas hielt mich so fest an sich, dass ich kaum nach Luft ringen konnte. Er legte mir sein Baumwollhemd über die zitternden Schultern. Die Küsse wurden sanfter, flüchtiger. Er zog seine restlichen Kleider an, während ich mir sein Hemd zuknöpfte. Mein Kleid lag noch irgendwo im Korridor. „Möchtest du die übrigen Zimmer sehen?“, fragte er. Was ist das bitte für eine Frage? Natürlich! Ich wollte nicht länger in dem wenig einladenden, kalten Besprechungszimmer bleiben. Als er die Abwegigkeit seiner Frage realisierte, grinste er verschmitzt und verließ den Raum. Ich fühlte mich barfuß, lediglich in Thomas‘ Hemd gehüllt, der Rauheit und Kälte der Burg vollkommen ausgeliefert. Auf Zehenspitzen ging ich ihm nach. Er hatte meinen Koffer geholt, ich sammelte verschüchtert meine verstreute Kleidung vom staubigen Boden.
Im hinteren Bereich des Erdgeschosses befand sich noch eine großzügige, gut ausgestattete Küche, der Zugang zum Vorratskeller im unterirdischen Gewölbe und ein kleines Bad.
Die erste steinerne Treppe hinauf befand sich ein großes Wohnzimmer, mit braunen Ledersofas, vornehmen Essbereich und dominantem Billardtisch. Das Zimmer wurde wohl eher für private Zusammenkünfte genutzt. Von Raum zu Raum wurde es nun ordentlicher, gemütlicher und mein Wohlbefinden angenehmer. Eine Etage höher ging es über eine hölzerne Wendeltreppe zu seinem Büro, welches einer antiken Bibliothek glich. Zweifellos war es das gemütlichste und belebteste Zimmer in der Burg. Hier gefiel es mir. Der große, kastanienfarbene Schreibtisch, zwei bequeme Sessel am Kamin. Es gab sogar ein Radio. Welche Musik er wohl hörte? Gegenüber war sein schlichtes Schlafzimmer, daneben ein Bad.
Weiter oben seien ein paar Gästezimmer und dann die Dachterrasse, die er mir später zeigen wollte. Vom Schlafzimmerfenster überblickte man den gesamten hinteren Hof. Er zeigte mir, wo die nächsten Restaurierungsarbeiten bald beginnen würden.
Er meinte ich könne erst einmal in Ruhe ankommen und auspacken, er würde eine Weile im Büro sein.
Ich sah mich im Zimmer um. Wie einsam sich Thomas auf diesem riesigen Anwesen wohl fühlte? Ob er oft Besuch bekäme, von Freunden, Kollegen, seinen Geschwistern oder den Pächtern? Oder von anderen Frauen? Den letzten schmerzhaften Gedanken verwarf ich schnell wieder. So wie er mich ansah, so ausgehungert liebebedürftig er war, konnte es nicht viele andere Frauen geben.
Im Badezimmer richtete ich mich wieder her, suchte im Koffer Schuhe heraus und schlich zum Flur hinaus. Die Bürotür stand halb offen. Thomas saß grübelnd am Schreibtisch über seinen Unterlagen. Ich ließ ihn in Frieden, erkundete das Stockwerk weiter oben, spazierte hinab in die Küche, begutachtete die üppige Speisekammer und bereitete schließlich unser Abendessen zu. Im Kühlschrank fand ich einen Wein, der zu den Nudeln mit einer bunten Tomaten-Gemüsesoße passte. Mit einem vollen Tablett tapste ich die Treppen hinauf. Ob ich das Essen noch warm hinauf bekäme?

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