Kapitel 16

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Auch Thomas hatte ein schlechtes Gewissen bei der Sache gehabt, doch ließ er dies seinen älteren Bruder keines Falls wissen. Er schätzte Ava und was sie für die Shelbys schon alles getan hatte sehr, jedoch war dieser Deal mit Billy Kimber das erste Sprungbrett zu grenzenloser Macht der Peaky Blinders.

Die Geschehnisse im Krieg hatten ihm selbst wohl mehr zugesetzt, als er sich selbst eingestehen wollte; oder Arthur war einfach besser darin seine Moral zu schützen. Zunächst hielt Thomas Arthurs merkwürdiges Benehmen nur für Dankbarkeit gegenüber Ava, da diese ihn gerettet hatte, doch nachdem er soeben Zeuge von Arthurs Wut und Sorge geworden war, beschlich ihn zunehmend der Gedanken, dass sein abgebrühter Bruder tatsächlich sein Herz geöffnet hatte; jemand sein schwarz-weißes Denken durchbrochen hatte.

»Steh nicht so blöd herum und such sie verdammt!«, wetterte Arthur aufgebracht, als sie neben Thomas Wagen standen und Ava weit und breit nicht zu entdecken war. Es störte Thomas, dass er sie nicht, wie all die anderen einfach gestrickten Leute, lesen konnte. Er hatte tatsächlich gedacht, dass sie am Auto warten würde, doch hätte er ihre Flucht erwarten müssen; schließlich kannte er sie schon länger, als manch anderen, dessen Handlungen er problemlos vorhersagen konnte.

»Zu Fuß kann Ava nicht weit sein«, erwiderte Thomas möglichst gefühllos, platzierte sich hinter dem Lenkrad des teuren Wagens und fuhr los, nachdem sich Arthur mit einem unzufriedenen Schnaufen auf den Beifahrerplatz hatte fallen lassen. Keine Sekunde später startete Thomas den tuckernden Motor und fuhr über die unebenen ruckelnden Steine in die Richtung, in der er Ava vermutete.

Nach der nächsten Kurve war auch schon eine zierliche schwarzhaarige Frau zu entdecken, welche es ziemlich eilig hatte und gedankenverloren am ungesicherten Straßenrand entlangstapfte. Thomas gab mehr Gas, näherte sich Ava und fuhr das Gefährt gemächlich neben ihr entlang, sodass sie mit ihr kommunizieren konnten.

»Steig ein«, forderte Thomas sie ruhig auf, blickte jedoch weiterhin aufmerksam auf die Straße. »Niemals«, antwortete Ava schnippisch, reckte ihre niedliche Stupsnase in die Höhe und schritt weiterhin schnurstracks geradeaus.

»Die Gegend ist gefährlich«, versuchte Thomas sie zu überreden. Plötzlich blieb sie ruckartig stehen, wodurch Thomas schon dachte er hätte sie überzeugen können und stoppte das Auto neben ihr.

»Weniger gefährlich, als mit meinen Zuhältern in einem Wagen zu sitzen!«, zischte sie wutentbrannt zwischen ihren zusammengepressten Zähnen hindurch, funkelte die beiden Shelby Brüder wütend an und setze ihren Weg aufgebracht fort. Wenn Blicke tatsächlich töten könnten, gäbe es nun zwei Shelbys weniger in Birmingham.

Perplex blickte Thomas zu Arthur und beide sahen sich zunächst verblüfft an, doch schließlich schienen sie denselben Gedanken zu fassen; Arthur stieg aus dem Auto aus, holte Ava ein, warf sich diese über die Schulter und trug sie zum Auto. Dort setzte er sie auf die hintere Sitzbank, nahm wieder vorne platz und Thomas fuhr zur Watery Lane.

Ava war so verdammt wütend, verletzt und in Gedanken verloren, dass sie gar nicht fassen konnte, was Arthur dort wagte und ließ es einfach über sich ergehen. 

Der schwere Rauch der Industriestadt zog dickflüssig an ihren Augen vorbei, stieg träge empor und verhüllte jegliche Gestalten. In ihrer Kindheit hatte sie nie über Unterschiede zwischen Stadt und Land nachgedacht, doch je länger sie hier verweilte, desto mehr schien die Klarheit der Natur zu verschwinden.

Überrascht beobachtete sie, dass Thomas zu ihrem Haus fuhr, wortlos davor hielt, in die Tasche seines Anzugs griff und Ava das versprochene Geld für den heutigen Tag entgegen hielt, mit dem sie die Reparaturen für ihr Haus bezahlen wollte. Höhnisch flatterten die dünnen Papierscheine im seichten Wind, passten sich der welligen Brise an und lösten ein übles Gefühl in Avas Magen aus.

Wie bei einem Krokodil verengten sich ihre Augen, ihre Lippen waren hart aufeinander gepresst und mit einem empörten Schnaufen stieg sie, ohne das Geld auch nur zu berühren, aus dem Auto und stürmte in ihr anvertrautes Heim. Lange lebte sie hier nun noch nicht wirklich, doch das hellere Holz der neuen Tür, erinnerte sie fortan an den unheimlichen Inspektor. Nicht nur, dass die bedenklichen Ereignisse beunruhigend und plötzlich geschahen, sondern er ihr auch wohl möglich in die Quere kommen könnte.

Verwirrt steckte Thomas das Geld wieder weg: »Sie wird darüber hinwegkommen«, sprach er mehr zu seiner eigenen Verdeutlichung und startete den Motor. Arthur schien mit sich zu ringen, stieg aber schließlich ebenfalls aus Thomas Wagen und lief Ava hinterher. Er hatte noch immer den Schlüssel, den Ava ihr gegeben hatte, nachdem Campbell die Razzia veranstaltet hatte und ließ sich somit selbst hinein.

  »Verschwinde«, zischte Ava, als sie bemerkt hatte, dass Arthur ihr gefolgt war und die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel. »Ava«, begann Arthur, seiner selbst überraschend, besonders sanft und einfühlsam. Er sprach ihren Namen gerne aus, genoss wie er sich auf seiner Zunge anfühlte, doch mehr brachte er nicht heraus. Zahlreiche Worte schwirrten in seinem Kopf, jedoch vermag sein Mund nicht diese zu formulieren und auszuspucken.

Brennend spürte sie Arthurs Blick auf ihrem Rücken ruhen, wie dieser immer heißer, stechender zu werden schien, sie mehr und mehr nervöser werden ließ und ihre Wut schürte.

»Ihr seid nicht besser als er!«, fuhr sie Arthur wutentbrannt an, drehte sich blitzschnell zu ihm um und funkelte ihm sauer entgegen. Kaum hatte sie das ausgesprochen, rutschte ihr das Herz in die Hose, zog sich schmerzhaft zusammen und sie spürt, wie warmes Blut in ihre Wangen schoss. Hatte sie sich gerade tatsächlich selbst verraten?

Ihr wurde schlecht.

Schwach hob sie ihre Hand an den flauen Magen, stolperte nach hinten und lehnte sich stützend an die freie Wand neben dem Sofa. Bedrückt sah sie vom Boden auf und musterte ängstlich Arthurs Mimik.

»Nicht besser als wer?«, wollte Arthur skeptisch wissen, wobei sich Sorge, Eifersucht und Neugierede in seinen Augen vermischten.
Überfordert wich Ava seinem Blick aus, sah im Raum umher und studierte die Holsmaserung der Diehlen. »Von wem redest du?«, fragte Arthur, wobei er bedrohlicher wirkte, als er es wollte.

»Von Niemanden«, entgegnete sie mit fester Stimme, starrte jedoch wieterhin auf den Boden. Jegliche Selbtszweifel schienen sie auf einmal einzuholen, von innen aufzufressen und ihr Herz platzen zu lassen. Eric hatte sie mit einer Mission nach Birmingham geschickt. Sie ist dieser schleppend nachgegangen und hat die Berichterstattung aufgeschoben. Jetzt hat Ava nicht mehr nur Angst davon eingeholt zu werden, sondern auch entdeckt zu werden, für etwas, was sie gar nicht möchte. Sie hatte die Arthur, die Peaky Blinders als Hoffnung wahrgenommen und nun wollten diese sie ebenfalls als Hure verkaufen. War sie überhaupt irgendwo sicher, geschweigedenn willkommen?

»Ava, sieh mich an«, befahl Arthur ihr mit rauer Stimme, hob ihr Kinn an und sah ihr tief in die Augen. »Es tut mir leid was geschehen ist, ehrlich. Aber bitte sag mir von wem du redest«, forderte er ernst, aber liebevoll. So hatte Ava ihn noch nie erlebt.

Auch Arthur entdeckte diese Seite vollkommen neu an sich, doch immer wenn es um Ava ging, trat sein Beschützerinstinkt in den Vordergrund und dieses Herumdrucksen Ihrerseits machte ihn wahnsinnig. Wer hatte ihr was ähnliches angetan? Er würde ihm sämtliche Knochen brechen.

»Das kann ich nicht«, erwiderte sie zitternd, wobei sich warme Tränen mehr und mehr ihren Augen näherten.

»Die Peaky Blinders werden dich vor ihm beschützen. Ich werde dich beschützen«, beschwichtigte Arthur sie, wobei er den letzten Satz nur noch flüsterte. Er konnte sehen, wie sich Tränen bei ihr anbahnten und sie so zu sehen, tat ihm weh.

»Niemand kann mich vor ihm beschützen.«

Der Auftrag - Peaky BlindersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt