Kapitel 2: Hältst du meine Schlittschuhe?

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Das ist ein wirklich überzeugender Einsatz. Meine Würde, meine Ehre als Mann, mhm? "Die kannst du behalten, wenn du den fickst", wispert mir mein langjähriger Freund leise zu und ich nicke selbstsicher. "Werde ich."
"Will dann Beweise."
"Kriegst du." Ich denke an ein Bild, eine Audio mit dem Stöhnen von dem Jungen - das wird ein Kinderspiel. Ich glaube nicht, dass er so schwer zu knacken sein dürfte.

So kommt es, dass ich mich am darauf folgenden Tag wieder zur Eisbahn begebe - einen anderen Anhaltspunkt, wo der Blinde sein könnte, habe ich schließlich nicht. Das sonst so coole Styling und das viele Haargel habe ich aufgrund seiner fehlenden Sehkraft heute weg gelassen - blinde Beute hat also so seine Vorteile. In weicher, mich wärmender Kleidung gehe ich den langen, weißen Weg entlang. Schnee liegt überall und die Maschinen tun sich schwer, diesen wieder von den Straßen zu kehren und zu zeigen, dass diese einst eine dunkle Farbe hatten. Vor und in der Eisbahn tummeln sich bereits wieder viele fröhliche Menschen. Siegessicher gehe ich die wenigen Treppenstufen hinauf und setze mich an denselben Platz, an dem mein bester Freund und ich gestern schon gesessen hatten. Die Bank und die darunter liegenden Matten sind bereits wieder mit etwas Schneepulver bestreut, welches langsam einsickert und alles anfeuchtet. Ich sehe auf die Bank, wo ich den Jungen gestern entdeckt hatte, jedoch erblicke ich selbst nach langer Zeit weder ihn, noch seine Großmutter - oder in welcher Beziehung auch immer er zu dieser Person steht.
Immer ungeduldiger werdend sehe ich mich weiter um, doch nirgends finde ich die beiden. Nach einer Stunde der Sucherei auf der kalten Bank erhebe ich mich und trotte etwas gereizt wieder nach Hause, vor meinen Fernseher. Dort ist es warm und ich sitze im Trockenen.

Trotz des erfolglosen Tages gestern gehe ich früh am Morgen wieder zur Eisbahn. Als ich mein Ziel das erste Mal gesehen habe, ist er bereits kurz nach den Öffnungszeiten gegangen. Gestern war er wohl schon weg, bevor ich gekommen bin - oder er kommt gar nicht mehr dort hin, da es ein einmaliger Ausflug mit seiner Großmutter war - was schlecht für meinesgleichen wäre. Jedoch sahen seine Schlittschuhe nicht aus wie für einen seltenen Gebrauch gedacht, schon gar nicht waren sie vom Verleih.
Während ich eng in meinen Pullover gekuschelt die weißen Straßen entlang spaziere, drehen sich meine Gedanken um meinen neuen Anhaltspunkt, wenn der Junge heute wieder nicht auf der Bahn ist. Es ist morgens um halb sieben - ich würde bis zehn warten ... Um halb neun öffnet die Eisbahn ihre Schranken für ihre Gäste, welche sie von lauter Musik begleitet betreten wollen. Vielleicht etwas übertrieben, allerdings will ich Ray so schnell wie möglich zeigen, dass ich sehr wohl meinen Mann stehen kann, egal um wen es sich vor mir handelt.

Mir huscht ein Grinsen über die Lippen, als ich tatsächlich eine einzige Person auf dem Eis erblicke. Der Schlittschuhverleih ist unbesetzt, die Bänke verhältnismäßig trocken. Ich muss unter der Absperrung hindurch klettern, welche als eine eiserne Kette eine Grenze für die Leute verkörpern soll. Mich an den Rand der Bahn stellend, stütze ich mich zufrieden auf dem Geländer ab. Habe ich dich gefunden, Blinder ... Überraschenderweise fährt er wirklich sehr gut, besser als der Durchschnitt und genauso professionell, wie seine Schuhe es vermuten lassen würden ... Für einen Moment verfolgt mich der Gedanke, ob der Junge nur sehr schlecht, statt gar nicht sieht. Das würde es erklären. Die alte Dame steht wie ich am Rand der Bahn, auf das Geländer gelehnt. Selbstbewusst folge ich der Grenze und nehme neben ihr meine Haltung von eben ein. "Guten Morgen", lächle ich sie freundlich an und sie schreckt aus ihrer Trance dem Jungen zu zusehen auf. Ihre alten Augen sehen zu mir und ein bescheidenes Lächeln baut sich in ihrem Gesicht auf. "Oh, es tut mir Leid, ich habe Sie gar nicht gesehen", ist das erste, was sie zu mir sagt. Sie hat eine helle, wunderbar liebevolle Stimme und ich ordne sie sofort in die Kategorie "Süße Großmütterchen, denen man nie böse sein kann" ein. Die nicht so ganz schlanke Frau stellt sich gerade hin und streicht mir kurz zur Begrüßung den Arm auf und ab. "Ist nicht schlimm", erwidere ich ihre Entschuldigung und sehe auf das Eis. Er sieht aus wie einer dieser Eiskunstläufer aus dem Fernsehen.
"Schon so früh hier, junger Mann?", beginnt die Dame ein Gespräch mit mir und ich nicke. "Ja, wenn nicht so viele Leute hier sind ist es am angenehmsten", antworte ich ihr etwas, das Sinn ergeben und mich hoffentlich sympathisch erscheinen lassen würde. "Ach, wir beide auch", kichert sie niedlich und sieht wieder zu ihrem wahrscheinlichen Enkelsohn. "Angel fährt immer, wenn niemand auf dem Eis ist, damit er über niemanden drüber fällt und umgekehrt."
Warte ... Heißt der Typ allen Ernstes Angel!? "Ist das sein richtiger Name?"
"Oh, ja doch."
Wie kann man sein Kind denn nur so strafen!? Und ich dachte schon, dass der Spitzname Yoshi alles andere als die Gnade Gottes ist. Angel ... Ich hätte vielleicht meinen Haustier dieses englische Wort als Namen gegeben, aber meinem Sohn!? Innerlich stelle ich mir vor, wie der Junge mit dem komischen Namen schon sein ganzes Leben sogar von anderen Blinden geärgert wird, weil er so heißt, wie er eben heißt. "Ist er denn auch wirklich so ein kleines Engelchen?", versuche ich weiterhin ein nettes Gespräch mit ihr aufrecht zu erhalten, da lacht sie leise. "Eigentlich wollte meine Tochter ihn anders nennen, doch als sie ihn als ganz kleines Baby das erste Mal in den Armen hielt, da hat sie sich für Angel entschieden." Oh, süße Geschichte - auf eine gewisse Art und Weise. Mit einen solchen Gedanken als Hintergrund ist der Vorname ihres sicheren Enkelsohns gar nicht mal mehr so schlimm.
"Niedlich", gebe ich mit den Gedanken daran, was ich noch sagen könnte zurück - doch ich muss gar nicht weitersprechen, denn Angel fährt an den Rand der Bahn und hält sich kurz am Geländer fest. Er steht genau vor der alten Dame, als könnte er sie wie jeder Normale sehen. Sein beinahe weißes Haar spielt mit den eisblauen Augen so perfekt zusammen, dass dieser Junge seinen Namen alle Ehre macht. Ein engelsgleiches Gesicht, reine, blasse Haut. Es fehlen ihm nur noch die großen Schwingen, dann wäre das Bild perfekt. Er sieht aus, als wäre er so weich und gleichzeitig so kalt wie die Schneekristalle selbst.
Ich schüttle kurz den Kopf, als ich meine eigenen Gedanken höre und lausche Angels Stimme, als er seine Großmutter lieb anlächelt. "Gehen wir heute früher?", fragt er etwas außer Atem und sieht in ihr Gesicht, dennoch kommt es mir vor, als würden seine eisigen, blinden Augen in das Nichts starren. Warm sind sie auf keinen Fall, dennoch ist der Junge wirklich sehr hübsch und ich denke mittlerweile, dass ich mit ihm einen guten Fang machen werde. "O-oh, ja! Wenn du das möchtest", meint seine Oma und beugt sich herunter, um den Koffer für seine Schuhe zu heben. Wortlos biete ich mich an und strecke meine Hand nach dem Henkel der hochwertigen Aufbewahrungsbox aus. "Oh, dankeschön, das ist aber lieb von Ihnen", lächelt die Dame und sie trifft nach wie vor perfekt die Kategorie "Süße Omas."
"Mit wem redest du?", fragt Angel mit einem mehr oder weniger interessierten Ton und führt sich selbst am Geländer zum Ausgang der Bahn, wo er mit den Schlittschuhen den rutschfesten Boden betritt. Wie als könnte er sehen, huscht er zu den Bänken herüber und setzt sich. "Einem netten, jungen Mann", hat die Dame ihm in dieser Zeit geantwortet und sich erneut bei mir entschuldigt - dieses Mal dafür, dass sie nicht nach meinen Namen gefragt hat. "Yoshua", habe ich ihr auf den Weg zu den Bänken zu gelächelt und mich genau neben Angel gestellt. Ich scanne mein Ziel förmlich ab, wie er sich die Schuhe aufbindet ...
Angel hält mir plötzlich das Paar entgegen und steht mit den Socken auf seinen normalen Tretern.
"Hältst du meine Schlittschuhe, Großmama?" Er denkt wohl, ich wäre die Alte ... "Ja", antworte ich ihm bloß und nehme ihm beide Schuhe ab, da sehe ich, wie ihm sein kleiner Verdreher unangenehm ist und er ein Stück in die von mir entgegengesetzte Richtung rückt, wo wirklich seine Großmutter steht und ihm lächelnd über den Kopf fährt, während er sich die Winterschuhe überzieht und völlig problemlos selbstständig verschließt.
Etwas schüchtern streckt er die Finger nach mir aus und ich gebe ihm seine Schlittschuhe, bedacht darauf, dass unsere Finger sich berühren. Er ignoriert es, ich jedoch muss grinsen - was er sowieso nicht sehen kann. Die alte Dame gibt ihm den Koffer, bei dem er kurz über das Innenleben streicht und die Schuhe in die dafür vorgesehenen Einkerbungen steckt.
Wie das erste Mal, als ich die beiden gesehen habe, reicht sie Angel seinen Blindenstock, welcher hier an den Bänken steht.
"Ich bin soweit", wieder sieht Angel zu ihr auf, als ob er sie sehen könnte. "Dann ist ja gut." Er erhebt sich und sieht auch noch einmal zu mir, sagt jedoch nichts.
"Vielleicht trifft man sich ja einmal wieder, Yoshua", lächelt die alte Frau und ich erwidere es. "Ja, das will ich doch hoffen!"

Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt