Kapitel 29: Geschmückter Tannenbaum

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Selten bin ich so schnell in frische Kleidung gehüpft wie heute an diesem Abend. Ich stolpere voller Aufregung in mein Bad, aber auch der schockierende Blick in den Spiegel kann meine neu gewonnene, gute Laune nicht verderben. Etwas Haargel kann dieses dunkelblonde Desaster schon retten!
Auch wasche ich mir gründlich das Gesicht mit kalten Wasser und trage ein wenig Aftershave auf meinen Hals auf, danach kann es losgehen.

Kaum habe ich meine Haustür hinter mir zugezogen, gehe ich langsamer, bis ich zum Stehen komme. Da fällt mir ein: Ich habe gar kein Geschenk für Angel oder das Ömchen besorgt, so sehr abgeschrieben hatte ich die beiden gedanklich. Heute noch schnell unterwegs etwas zu kaufen geht auch nicht, die Läden haben in dieser Gegend schon geschlossen ...

So kommt es, dass ich mit leeren Händen die Treppen zu Angels Wohnung hochtapse und zugeben muss, dass mir das unangenehm ist. Wenigstens eine Schachtel Pralinen hätte drin sein können, aber ich Idiot habe das natürlich nicht auf die Reihe bekommen.

Das Herz klopft mir bis zum Hals, als ich meine Hand zur Faust balle, um mit ihr drei mal gegen die Haustür der Oma und Angel zu klopfen.
Ich erschrecke, als beim zweiten Klopfer schon die Tür aufgerissen wird, als hätte Angel vor ihr gecampt. Er ist binnen von zwei Sekunden an der Tür gewesen!

"Yo! Rein mit dir! Der Tisch ist schon gedeckt!", begrüßt Angel mich mit einem breiten Grinsen. Er trägt einen weiß-blau gestreiften Pullover, der wie ich finde, ihm sehr gut steht. Es ist etwas seltsam nach unserem abgebrochenen Kuss so zu tun als wäre gar nichts, doch darüber will und muss ich gerade wohl auch nicht nachdenken.
"Hey, wie geht es euch?", frage ich grinsend und trete aus der dunklen Kälte von draußen hinein.
Hier empfängt mich ein warmes Feuer im Kamin, der Geruch von einer perfekt gebackenen Weihnachtsgans legt sich um meine Nase. Auf dem für drei gedeckten Tisch sehe ich noch Klöße, eine braune Soße und Rote Beete bereit gestellt, dazu eine schön geschmückte Teekanne und dazugehörige Tassen.
Es steht ein kleiner, aber sehr liebevoll geschmückter Tannenbaum in der Nähe des Kamins. Rote und silberne Christbaumkugeln hängen von seinen grünen Ästen herab und es scheint mir, als hätten sie neben den goldenen Girlanden noch etwas Zauberglitzer über ihn gestreut.
Über dem Feuer hängen drei rote Socken, sie sind mit irgendetwas gefüllt - solche Dinger habe ich bisher nur im Fernsehen gesehen. Auch die Wände und die Decke sind mit kleinen Weihnachtslichtern geschmückt, auch von außen hatten sie das Haus so schick gemacht.

"Da ist er ja endlich! Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, die ich dich nicht gesehen habe!" Das Ömchen kommt aus der Küche gestolpert und mir fällt sofort auf, dass sie etwas schwächer wirkt als das letzte mal. Diese Tatsache stört das harmonische Bild etwas, doch die alte Dame lässt mir keine Zeit mir Sorgen um sie zu machen, denn sie kommt sofort zu mir und nimmt mich herzlich in den Arm. "So schön, dass du da bist!"

"Ja, ich freue mich auch! Warum sind deine Eltern nicht dabei?"
Meinen Blick wende ich Angel zu, der neben mir verweilt. "Die feiern kein Weihnachten, daher sind wir heute nur zu dritt." Dabei weicht sein schiefes, aber sanftes Lächeln ihm nicht aus dem Gesicht. "Wollen wir essen? Du hast richtig lange gebraucht, da findet ja sogar ein Blinder schneller den Weg."
Ich glaube, ich kann kaum breiter grinsen und dann kommt er mir auch noch mit seiner Selbstironie. "Wenn's nach mir geht gerne! Ich hab' gefühlt den ganzen Tag noch nichts gegessen!" Die paar Bissen Tiefkühl-Mikrowellen-Ente kann ich wohl nicht mitzählen.

So kommt es, dass wir drei am Tisch sitzen und das Ömchen Portionen austeilt. Im Hintergrund läuft leise Jingle Bells und ich komme mir vor wie eine dieser Familien, die ich heute im Fernsehen gesehen habe.
Als ich den Deckel der Teekanne öffne, steigt mir der Geruch von Lebkuchen in die Nase. Schmecken tut das Gebräu auch so ähnlich - tatsächlich etwas, was ich auch zur Nicht-Weihnachtszeit trinken würde.

Das Essen schmeckt, wie soll es beim Ömchen auch anders sein, fabelhaft. Doch nicht nur ihre Kochkünste sind daran beteiligt, sondern auch ihre und Angels Anwesenheit.
Denn sie sind so gastfreundlich, dass ich mir schon längst nicht mehr nur wie ein Gast vorkomme.

Ich haue so gut rein, dass mir am Ende schon schlecht ist, als wollte ich jeden Cent ausnutzen, den ich ins Buffet eines All-u-can-eat Restaurantes gesteckt hätte.
"Mann, das war so gut!"
Meinen Rücken lehne ich gegen den Stuhl und mache kurz die Augen zu, um den Moment zu genießen. Es folgen spezielle Brettspiele und viel gemeinsames Lachen.

Schon ziemlich spät am Abend nimmt Angel mich an meiner Hand und führt mich auf das Sofa vor dem Kamin. Ich setze mich neben das Ömchen und der fast weißhaarige Junge pflückt die in der Mitte hängende Socke ab, um sie mir zu reichen. "Ich weiß, es ist nichts besonderes, aber vielleicht freust du dich ja trotzdem darüber."
Zögerlich nehme ich das Söckchen an und es ist auch nicht so, als ob ich mich darüber nicht freuen würde, aber...

"Angel, das ist echt lieb von euch, aber ich hab' gar nichts für euch ... Weil ich dachte, dass aus heute nichts mehr wird."
"Schnauze und schau rein jetzt!", grinst er mich im Stehen an. Offensichtlich gehört er zu den Leuten, die es kaum aushalten können, die Reaktion eines Beschenkten zu sehen.
Ich muss unwillkürlich lächeln.
"Es ist eh nur eine Kleinigkeit, also los, los!", drängelt er und ich will ihn nicht länger warten lassen, also ziehe ich die kleine, goldene Schleife auf, die das Innere der Socke versteckt hält.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 07, 2018 ⏰

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Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt