Kapitel 27: Das Richtige

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Die Hand des blinden Jungen legt sich auf meine Brust – jedoch nicht, um mich näher an sich ran zu ziehen, sondern das genaue Gegenteil. Er drückt mich von sich weg und mein Herz rutscht mir in die Hose. Angel blickt mir irritiert zu, öffnet die Lippen einen Spalt als ob er etwas sagen wollen würde, doch er schweigt, während er seinen Koffer und seinen Blindenstock in die Hand nimmt. „Lass uns wieder nach Hause gehen, die Leute kommen gleich", gibt er ruhig von sich und kann es nicht unterdrücken, sich kurz zu räuspern. Es tut mir weh, das zu sehen und ich fühle mich wie in kaltes Wasser geschmissen. „Ähm ... Ja."

Meine gute Laune ist dahin. Weg geblasen wie die Schneeflocken von einer kühlen Briese.

Wortlos bringe ich die Leihschuhe zurück und gebe Angel seinen Schlüssel wieder. Schweigend gehen wir runter von der Eisbahn und wieder in Richtung zu ihm nach Hause. „Weißt du ... Ich muss nicht mit zu dir kommen, ich kann auch zu mir gehen", bereue ich es, ihn einfach so geküsst zu haben. „Großmama kocht aber schon für dich mit, sie wäre enttäuscht, wenn ich alleine nach Hause käme."

„Ich glaube, das verkraftet sie schon." Wie peinlich diese Situation ist, ich kann es nicht beschreiben. „Außerdem kann ich armer, blinder Junge nicht alleine nach Hause finden ... Du musst mich also begleiten." Dabei lächelt Angel mich an, aber es kommt mir plötzlich so gezwungen vor. Ich rede kein weiteres Wort mit ihm und nehme auch nicht erneut seine Hand, um ihn zu führen. Normalerweise bin ich selbstbewusst in solchen Sachen, doch jetzt fühle ich mich klein. Angel klopft an die eigene Haustür, um nicht den Schlüssel in sein Schloss fummeln zu müssen, anstatt mich einfach danach zu fragen. Es kommt mir so vor, als würde er einem Wortwechsel mit mir aus dem Weg gehen und ich seufze angestrengt, als das Ömchen die Türe öffnet. Es ist noch früh – natürlich hat sie noch nicht mit dem Kochen angefangen. „Na ihr beiden? Wie war's?"

„Gut, Yo hat's echt gut gemeistert und ist alleine gefahren", erzählt Angel ihr, als er seine Schuhe an der Matte sauber tritt und danach auszieht. Ich komme mir ziemlich seltsam dabei vor ihm in das Innere zu folgen und lächle das Ömchen an. „Gut, ich hab' dann heute aber noch was vor ..." – „Ach wirklich? Ich hab' eben aber extra für dich mit eingekauft", blickt die alte Dame mich beinahe traurig an, doch mein Unwohlsein siegt über ihre grau-blauen Augen. „Oh ... Tut mir wirklich Leid, es ist aber wirklich wichtig. Unikram und so", zwinge ich mir ein Lächeln auf die Lippen, da zeigt sie sich verständnisvoll. „Na dann kann man da leider nichts machen ... Dann müssen wir umso mehr reinhauen heute, Angel", ist sie gut gelaunt und scheint die seltsame Stimmung nicht zu bemerken. „Gut, ich gehe dann mal. Habt einen schönen Tag und lasst es euch schmecken." Ich winke und auch Angel nickt. „Ja, Ciao."

Diese lieblose Verabschiedung zeigt mir am meisten, dass es ein Fehler war. Aber warum? Sonst gehen doch auch alle immer sofort auf so etwas ein, warum Angel nicht? Er versteht sich doch gut mit mir, hat gesagt ich soll bleiben wie ich bin! Und jetzt erscheint er mir so abweisend. „Ja ... Ciao ..." Ich zögere noch kurz, bevor ich die Tür wieder hinter mir schließe und greife mir vor lauter Ärger an die Stirn. Gott, wieso bin ich nur so ein Blödmann? Was habe ich mir noch mal dabei gedacht?

Der Tag hat doch so schön angefangen und jetzt trotte ich mit leichten Bauchschmerzen nach Hause in meine Bruchbude. Gott, ich muss meine Gedanken unbedingt ordnen. Was ist überhaupt passiert? Gerade bin ich mir wirklich unsicher, ob ich mich nicht in meinen Gefühlen getäuscht habe. Ohnehin wollte ich nie wieder eine ernsthafte Beziehung eingehen, nach allem, was passiert ist. Was weiß ich, warum dieser Wunsch so schleichend in mir aufgekommen ist. Hätte ich zuvor ordentlich nachgedacht, wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, ihn zu küssen. Warum hat er es nicht einfach erwidert? Dann würde ich mir diese Gedanken gerade nicht machen!

Das seltsame Gefühl der Trauer wandelt sich in Wut um, als ich mich wie gewohnt vor meinen Fernseher werfe, der mein ein und alles in dieser Wohnung ist – neben meiner Mikrowelle versteht sich. Ich schalte durch die Sender, um mich abzulenken und starre konzentriert auf den Bildschirm, trotzdem hängen meine Gedanken bei Angel. Er hat nicht einmal etwas dazu gesagt. Er hat mir nicht gesagt, warum er mich abweist. Nicht, dass er nichts für mich empfindet, mich nicht attraktiv findet oder eben ganz einfach nur auf Mädchen steht. Er hat mich sozusagen einfach so stehen lassen! Hätte er wenigstens ein Wort dazu gesagt! Aber nein, der Herr hält sich für etwas Besseres.

Meine Gedanken lassen mir keine Ruhe und obwohl ich in den Fernseher starre, bekomme ich kaum etwas von dem mit, was dort geschieht. Ich zucke zusammen, als mein Handy zu klingeln beginnt und Rays Name aufleuchtet – auch der noch. Stimmt ja, er wollte anrufen. Nicht gerade das beste Timing. Genervt gehe ich ran, da er ohnehin solange anrufen würde bis er bekommt, was er will. „Was?"

„Informationen!" Ich rolle mit meinen Augen, während unsere Unterhaltung ohne jegliche Begrüßung oder Ähnliches weitergeführt wird. „Es gibt keine Informationen. Heute habe ich es versucht, aber er hat mich abgewiesen." Laut beginnt Ray am anderen Ende der Leitung zu lachen. „Hätte ich mir ja auch denken können. Und? Gibst du auf? Du brauchst gar nicht daran zu denken, danach noch der Bezeichnung eines Mannes würdig zu sein!"

„... Ich habe gerade echt keinen Nerv für dein unnützes Gelaber." Ich nehme bereits mein Handy vom Ohr ab und will auf den roten Hörer drücken, da krächzt Ray weiter.

„Ach Junge, stell dich mal nicht so an! Machst jetzt einen auf sauer, obwohl du der Depp in dieser Geschichte bist?"

„Ha ha", zische ich frustriert. „Vielleicht habe ich auch einfach kein Interesse mehr an der Wette? Ray, ganz ehrlich, ich hab' einfach das Gefühl, dass es falsch ist so was zu tun ... Von daher."

„Schon klar, du ziehst nur den Schwanz ein, weil du ihn nicht reinstecken kannst! Yosh, ich kenne dich ... Erzähl mir also keinen Scheiß."

Seufzend drehe ich mich auf meinem Sofa hin und her, das Handy noch immer in meiner Hand.

"Ja, wahrscheinlich hast du Recht."

"Habe ich immer."

"Gute Nacht."

Den roten Hörer drückend seufze ich. Zwar habe ich das nur gesagt, damit er Ruhe gibt, aber vielleicht liegt in seiner Aussage wirklich ein Funken Wahrheit. Woher soll ich denn auch wissen, was das Richtige ist ... ?

Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt