Kapitel 9: Goldener Apfelgarten

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"Was ist was?", fragt mich der blinde Junge mit dem hellen Haar, während er kurz Inne hält. "Da ist so ein Teil an deinem Schrank ..."

Angel grinst flüchtig, geht hin und nimmt es ab, holt ein graues und ein rotes Shirt aus dem Schrank hervor und legt diese auf sein ordentliches Bett. Ich beobachte ihn, wie er mit dem Gerät über das rötliche fährt und eine weibliche Computerstimme aus dem Ding ertönt. "Rot."
Diese Prozedur wiederholt er bei dem anderen Oberteil. "Hellgrau."
Ohne weitere Worte legt Angel sie wieder zusammen und an ihren Platz zurück in den Schrank. "Oh", stelle ich fest und komme mir irgendwie dämlich vor. "Was bringen dir Farben, wenn du nicht weißt, wie sie aussehen?"
"Ich weiß, wie sie aussehen", gibt der Eisläufer monoton zurück und lässt sich auf seinem Bett nieder. "Das wird unangenehm für dich werden."
Verwirrt setze ich mich neben ihn. "Das Hörspiel?"
"Ja."
"Warum?"
"Es wird so sein."

Mit der Hand winke ich den Jungen freundlich ab. "Ach, Quatsch!", beteuere ich, während Angel alles vorbereitet. "Es ist kein bisschen unangenehm, ich meine ..." Ich stocke mitten im Satz, als ich einen großen, durchsichtigen Kasten in einer Ecke sehe, welcher bis oben hin mit diesem veralteten Looms gefüllt ist, die früher so Hip als Armband waren, heute jedoch veraltet sind. "Machst du auch so Armbänder aus diesen Gummiringen?", frage ich Angel ungläubig aus und überlege, ob seine Oma vielleicht ihre Sachen in seinem Zimmer verstaut. Der Blinde legt eine CD in den Player, bevor er sich mit dem Kopf auf sein Kissen legt, sich selbst umarmt und entspannt die Augen schließt. "Ja, auch, sei leise jetzt", flüstert er, während eine Melodie aus den Boxen ertönt. Seine Looms würde ich gerne mal sehen. Langweilige Farbarmbänder, die in keinster Weise zusammen passen, wandern durch meine Gedanken und ich lasse mich seufzend mit dem Rücken gegen die Wand fallen. Jetzt werde ich wohl schweigen müssen.

Ein Mann mit einer angenehmen Stimme beginnt von einem König mit drei Söhnen zu erzählen. Natürlich gibt es einen Ältesten, den mittleren und den Jüngsten. Der König hat einen Garten, in dem goldene Äpfel wachsen. Er hütet sie, doch eines Tages fehlt einer der Äpfel aus Gold. Er schickt einen Soldaten, doch dieser schläft kurz vor Mitternacht ein, so dass am nächsten Tag wieder ein Apfel fehlt.

Tatsächlich langweile ich mich ein wenig, irgendwelche Kindergeschichten zu hören und schweigend, still auf einem Bett zu setzen. Ich zücke mein Handy und will Ray eine Nachricht schreiben, doch ich kann mir vorstellen, dass Angel auch das mitbekommen könnte, weswegen ich es wieder zurück stecke und ebenfalls die Augen schließe.

Als der Soldat versagt, fragt der erste Sohn darum, den Garten nachts zu bewachen und den Apfeldieb ausfindig zu machen. Wie es in solchen Märchen eben so ist, schläft er wie die erste Wache ein, so auch der jüngere Bruder und als der Jüngste an der Reihe ist, bleibt er wach und entdeckt einen goldenen Vogel, welcher die Äpfel vom Baum stehlen will. Der jüngste der drei Söhne des Königs zieht einen Pfeil aus seinem Köcher und erwischt den Vogel knapp, weswegen eine der goldenen Federn auf den Erdboden sinkt. Der Prinz zeigt diese am nächsten Tag seinen Vater, welcher ganz entzückt von dem Tier ist und sagt: "Ohne diesen Vogel in meinem Besitz zu haben, kann ich einfach nicht mehr zur Ruh' kommen ..."
So machen sich die Brüder auf den Weg, dem Vogel nachzustellen, doch natürlich bleibt es wieder am letzten hängen, welcher als einziger nett zu einem Fuchs war, doch wohl ziemlich beschränkt zu sein scheint, da er all die Tipps, die das rote Tier ihm gibt, vergisst oder missachtet.
Am Ende hat er nicht nur einen goldenen Vogel, sondern auch ein goldenes Pferd und die Prinzessin vom goldenen Schloss im Schlepptau. Die hinterlistigen Brüder, welche den Jüngsten in einen Brunnen werfen wollen, werden vom eigenen Vater hingerichtet und alles ist schön und gut. Ganz zum Schluss stellt sich heraus, dass der Fuchs der verwunschene Bruder der Prinzessin ist.

Als Angel sich aufsetzt, fällt mir ein Stein vom Herzen, denn das Märchen hat endlich sein Ende gefunden und ich kann mich wieder bewegen. Er hatte Recht damit, dass es ungewohnt unangenehm ist, einfach schweigend irgendwo zu sitzen und sich sowas anzuhören, doch ich will wenigstens so tun, als hätte es mir gefallen.

"Und? Hast du jetzt genug von mir und meinen komischen Hobbies?", fragt der junge Mann mich, während er die CD zurück legt.
"Nein, ich denke nicht", antworte ich ein wenig frech. So schnell wirst du mich auf keinen Fall los, mein Freund.
"Warum fragst du? Willst du mich los werden?"


Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt