Kapitel 16: Kühler Samstag

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"Ich hab doch den Auftritt", erinnert mich Angel. Ach den! Den habe ich ja schon längst vergessen! Dafür trainiert er schließlich auch die ganze Zeit, wie konnte ich daran bloß nicht denken? "Oh, nice!", erwidere ich schließlich. Da verstehe ich natürlich, dass ihm das wichtiger ist. "Da kann ich ja hinkommen und dir zusehen", interessiert es mich sogar wirklich, wie Angel aussehen wird und was er wirklich kann, schließlich wird er da alles auspacken, was er hat. "Mhm, vielleicht, wenn du willst."

Angel steigt von der Eisbahn und zieht sich wie sonst die Schuhe aus, wie immer, wenn ich ihn schon wieder in seiner Konzentration störe. "Also ... Wann ist denn dein Auftritt genau?"

"Samstag Abend, 20:00 Uhr", antwortet mir der Blinde, "aber der Eintritt kostet Geld."

"Ach Angel! Als ob das ein Problem wäre! Natürlich lade ich dich ein", lächelt mir die alte Dame warm zu, voller Freude, dass ich solch ein Interesse für das Hobby ihres Enkelsohnes habe. Ich denke, fast jeder kennt diese spendablen Menschen, die immer alles was sie haben für andere hergeben. Manchmal muss man da bereits schon ein schlechtes Gewissen haben, aber in diesen Falle sage ich natürlich nicht nein zu der Großzügigkeit der Großmutter. "Okay, dann bis demnächst?", sehe ich freundlich zu dem Jungen herab, welcher seinen Koffer nimmt. "Vielleicht, ja."

Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Wenn er irgendwann einmal ein 'Natürlich, klar!' von sich gibt, gebe ich ihm einen aus. "Gut! Ich begleite euch gerade noch nach Hause, ja?"



Ein kühler Samstag, das ist Angels Tag. Das Ömchen hat mir auf dem Zurückweg noch den Ort genannt, so dass ich pünktlich erscheinen kann, denn um die Ecke ist das nicht gerade ... Wir treffen uns bei ihr und fahren dann einfach gemeinsam hin, so ist der Plan. Doch die ersten Probleme kommen bereits auf, als ich bei Angel durch die kleine von Schnee bedeckte Gartentür komme, welche ihr Grundstück von allen anderen abgrenzt. Angel steht mit gesenkten Kopf vor einem blonden Mann, den ich hier noch nicht gesehen habe. "Bitte ... Du weißt doch, wie wichtig mir das ist", hört man Angels Stimme in brüchiger Tonlage und voller Unterwürfigkeit. Oh, ich kann mir denken, wer der Mann ist, der mit verschränkten Armen auf den ebenso ziemlich hellblonden Jungen herunter schaut. "Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass ich dich bei so etwas nicht unterstütze, mein Guter ...", erklingt die raue und strenge Stimme des Älteren. "Eislaufen, so etwas macht man als Kind, aber doch heute nicht mehr und vor allem nicht als Blinder. Du könntest dich auch einfach normal verhalten und mit den Karten spielen, die Gott dir gegeben hat, so ist es nunmal!"

Ich will mich zwar nicht in das Streitgespräch einmischen, denn an sich geht mich das nichts an, aber der Typ ist wirklich schon gemein ...

"Warum ist es denn unnormal, wenn man trotz allen Fehlschlägen im Leben sein Traum weiterverfolgt? Schließlich ist er doch total gut und macht sich keineswegs lächerlich, im Gegenteil", bringe ich heraus und komme näher an die Diskutierenden. Sofort trifft mich der böse Blick der blauen Augen meines mittelaltrigen Gegenübers.

"Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf? Was machen Sie auf meinem Grundstück und mischen sich in die Gespräche anderer Leute ein, huh?", geht er mich überreizt an und mich wundert es kein bisschen, dass Angel so kleinlaut ist und sich bereits mit zum Boden gesenkten Blick wegdreht. "Ich bin ein Freund von Angel, der jetzt mit ihm auf den Eiskunstwettbewerb geht ... Wer denn sonst!?"

Plötzlich lacht der andere und noch bevor ich nachfragen kann, spricht er weiter. "Ist heute der Tag voller Scherze? Zuerst will mein Sohn, dass ich ihn zu so einem dämlichen Wettbewerb fahre und dann kommt noch so eine Witzfigur wie Sie und behauptet, sein Freund zu sein? Angel hat keine Freunde! Das war schon immer so und wird sich auch nie ändern! Und jetzt verlassen Sie bitte mein Grundstück, bevor ich mich vergesse."

Ist das gerade sein Ernst!? Wie kann man denn nur so ein Arschloch sein!? "Ah ja", mache ich und gebe nach, bevor Angels Vater wirklich noch überreagieren kann. Jedoch warte ich nur kurz, bis er in der anderen Wohung verschwunden ist und gehe erneut, um beim Großmmütterchen zu klingeln, bei welcher Angel sich schon längst zurückgezogen hat. Auch sie sieht traurig aus, als sie mir die Tür öffnet und Angel auf er Couch sitzt, beide Hände in das Gesicht gelegt. "Kleine Planänderung", seufzt sie enttäuscht und ich nicke. "Ich hab es schon gesehen", murmle ich und komme nach innen, um mich neben Angel zu setzen. "Alles gut, Kleiner?"

Zeitgleich tadele ich mich selbst für diese Frage. Hinter seinen Händen werden Tränen versteckt sein, natürlich ist nicht alles gut! Wie auch, wenn sie niemanden haben, der sie fährt? Angel scheint es auch taktlos zu finden, zumindest antwortet er mir nicht und ich drehe mich zur seiner Großmutter. "Warum fahren wir nicht einfach mit dem Zug?", versuche ich Angels Tag zu retten, für den er wochenlang trainiert hat, doch sie schüttelt den Kopf. "Das dauert viel zu lange ...", seufzt sie. "Und Angel hasst es Zug zu fahren." Na klar, viele Leute, Gedränge und man weiß nicht wohin mit sich, selbst wenn man sehen kann. Neben mir ertönt das leise Geräusch von Weinen und Angel erhebt sich von der Couch, um es wohl aufzugeben und in sein Zimmer zu gehen, um ungestört zu sein. "Ja, aber wir können das doch jetzt nicht abblasen, nur weil dieses Arschloch von Vater nicht fährt ..."

Erneut seufzt sie und nimmt ANgels Platz auf dem Sofa neben mir ein. "Er war nicht immer so ... Erst seit Angel erblindet ist, hat er sich so stark verändert und will gar nichts mehr mit seinem Kind zu tun haben ... Wie traurig ... Und ich sehe auch zu schlecht, um fahren zu können ..."


Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt