Kapitel 11: Weiße Schneeflocke

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Wie er einfach nie etwas gut findet, das ich ihm vorschlage. "Doch, natürlich!", winke ich ab und lasse mich nicht beirren. Angel kann auch ruhig mal Anteil am normalen Leben haben, er muss sich hier nicht selbst wegsperren - ansonsten wird es für mich ja bloß immer schwieriger! "Eher nicht"; bleibt der Junge jedoch bei seiner Meinung und setzt sich zu uns.

So einer ist er also, ja ja! Sicherlich denkt Angel, dass er mir geistig weit überlegen wäre und ihn niemand verarschen kann und er immer Recht hat - doch das werde ich ihm leider austreiben müssen, denn leider bin ich der schlauere von uns beiden, hehe. Unser Engel hier wird noch sein blaues Wunder erleben, wenn ich Rays Wette erst einmal gewonnen habe. "Was willst du denn mit jemandem auf einem Weihnachtsmarkt, der nicht sehen kann?"

Schweigend sehe ich ihn an. Dosenwerfen und co. fällt schon einmal weg. "Du kannst auch blind Fahrgeschäfte fahren", gibt es auf manchen Weihnachtsmärkten schließlich welche, wie mir nach kurzen Überlegen einfällt. "Ist es nicht vereist?" - "Weiß nicht, denke nicht." - "Ich mag nicht."

Langsam fehlen mir schon die Worte, da hilft mir allerdings wie so oft schon das Ömchen. "Du kannst ja trotztdem mal mitgehen", sagt sie im lieben Ton." Ich gebedir etwas Geld und dann schaut ihr mal, was es so gibt." Unbegeistert rührt der Hellhaarige mit dem Löffel in seinem Kakao herum. "Mhm ..."

Oh, kein vielleicht? Nicht einmal vielleicht könnte ihm etwas gefallen? Ach, Angel, hehe ... Ehrlich gesagt fällt mir selbst spontan gerade nichts ein, was er machen könnte, aber schließlich kann er auch Schlittschuhlaufen, demnach soll er sich nicht so anstellen, als wäre er ein armes, hilfloses Wesen, das überhaupt nicht zurechtkommen würde und extrem eingeschränkt in seiner Lebensweise wäre.


Ömchen erhebt sich und geht am Kamin an eine kleine Keksdose in Form einer weißen Schneeflocke.

Sie öffnet den im Licht schimmernden Deckel und zieht ein paar Scheine auch vor meinen Augen hervor, um sie Angel in eine Tasche zu stecken. "Du passt auf, ja?", lächelt die alte Frau mich vertrauenswürdig an, als sie Angel den Beutel zur Hand führt, damit er ihn sich selbst umlegen kann, was er auch tut. "Ich bringe ihn wohlbehütet wieder Heim", grinse ich vor mich hin und räume schnell mit dem Ömchen die leeren tassen weg, ehe ich an der Tür auf den Blinden warte. Was man nicht alles für seine Großmama tut. "Mein Blindenstock?", dreht Angel sich in die Richtung seiner Oma und streckt dabei den Arm aus, doch sie lächelt bloß. "Yoshua, du passt etwas auf ihn auf, ja?", will sie nicht, dass wir durch Angels langsame Fortbewegungsweise durch tägliches Abtasten seiner Umgebung unnötig verlängert wird und dass ich ihren Enkel führe. "Nein, ich hätte gerne meinen Blindenstab."

Ömchen wehrt sich nicht länger gegen seinen Willen und händigt dem in einen dicken Pullover gepackten jungen Mann aus, was er sich wünscht. "Auf Wiedersehen."

Die Tür geht zu und tatsächlich habe ich, was ich wollte - Angel auf dem Weihnachtsmarkt. Schon auf dem halben Weg dorthin muss ich immer wieder auf ihn warten, weil er mir einfach überhaupt nichts glaubt und wohl denkt, dass ich so unachtsam wäre und die verschneiten Bürgersteige nicht sehen würde, doch als man den Markt schon hören kann, gibt er langsam nach. "Sind viele Leute da?", wird Angel immer leiser in seiner Sprache und hält den Blick der blinden Augen auf den fest getretenen Boden aus Schnee gesenkt. Im Markt selbst ist dieser bereits weg gekehrt, der Asphalt kommt zum Vorschein und Berge aus unzähligen grau-weißen Schneeflocken türmen sich an den Rändern und hinter Fahrgeschäften. "Ja", antworte ich wahrheitsgemäß, denn hier ist einiges los.

"Mhm ..."

"Sicher, dass das mit deinem Stock geht?"

"Vielleicht ..."

Das hier muss eine wirklich sehr ungewohnte Situation für ihn sein, dementsprechend unwohl wird er sich auch fühlen. Ein bisschen leid tut es mir ja schon, ihn hierher mitgeschleppt zu haben.

"Hast du irgendwelche Wünsche?"

"Geht so."

"Willst du etwas warmes Trinken?"

"Haben wir doch eben erst."

Stimmt. Ich gehe ein paar Schritte auf den Markt zu, doch Angel bleibt wie angewurzelt stehen. "Alles gut?"

"Geht so."

Mein nicht besonders sprachgewandter Freund umarmt sich selbst, als wäre ihm kalt. "Was stimmt nicht?"

"Das ist mir zu voll hier ...", flüstert er leise, kaum hörbar.

"Du störst doch niemanden, alles gut!"

Ich gehe wieder die paar Schritte zurück zu ihm und greife nach seiner Hand, um ihn zu führen, doch er zuckt zusammen und dreht sich sofort weg. "Lass uns wieder gehen."

"Angel, nein", bestehe ich allerdings darauf, mich durchzusetzen. Wie gesagt: er kann sich nicht ewig drücken! "Komm, gib mir deine Hand und wir gehen einfach da durch", biete ich erneut an, natürlich nicht ohne Hintergedanken, aber in erster Linie will ich es ihm wirklich erleichtern. Er sollte einfach mal etwas lockerer werden und nicht so verkrampfen, sobald ein par Leute mehr anwesend sind, die etwas von ihm haben wollen könnten. "Mhm ..."

Erneut greife ich nach Angels Hand, doch wieder zieht er sie weg und geht ein paar Schritte alleine, bis er plötzlich mit einem anderen Jugendlichen zusammenstößt und dieser ihm kurz einen bösen Blick schenkt. "Pass doch auf, mann!", zischt er beim Weitergehen und ich glaube, ich sehe nicht richtig. "Siehst du nicht, dass er blind ist, du Depp?", gebe ich zurück, doch es kommt nicht einmal eine Entschuldigung und er geht einfach weiter. "Was für ein Arschloch", seufze ich und Angel hat noch die selbe Haltung wie zuvor. An dem Blindenstab ist er eigentlich recht gut zu erkennen, ist schließlich nicht alltäglich, auch wenn er ihn gerade irgendwie nicht benutzt. Ich kann Angel richtig die Verkrampfheit ansehen und in der nächsten Sekunde, schlingt sich seine Hand ganz von alleine um meine, damit er nicht wieder gegen irgendwen anläuft oder unaufmerksame Leute mit seiner Orientierungshilfe belästigt. Ich grinse in mich hinein. Endlich ist die erste Hürde vorbei!

Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt