Kapitel 4: Warmer Kakao

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Ich grinse weiter freundlich vor mich hin und sehe, wie Angel auf uns zu geschlittert kommt. Wieder hält er sich am Rand fest und ist genau vor der Oma. Ich denke nicht, dass diese Frau verstanden hat, dass ich ihren Enkel in das Bett kriegen will. Alte Menschen sind in dem Thema Homosexualität ja immer etwas verklemmt ...
"Willst du wieder so früh gehen?", die Dame nimmt schon den Koffer, ohne dass Angel etwas erwidern muss. "Mhm", macht dieser nur bestätigend und kommt von der Bahn. "Was hältst du davon, wenn wir drei gemeinsam mal einen warmen Kaffee trinken? Der junge Mann hier möchte dich kennenlernen." Gut, dass sie mir die ganze Arbeit abnimmt. Ich wette, dass der Blinde mich abgewiesen hätte - doch bei seiner Großmutter sagt man natürlich nicht nein. Ein schlichtes "Okay" ist seine Antwort und wie üblich zieht der Junge seine Füße um.
"Das freut mich", erwidere ich und denke zur selben Zeit schon darüber nach, was ich genau zu ihm sagen könnte. Komplimente scheinen nicht anzukommen und auf Dauer merkt man zu sehr, dass es bloße Schleimerei ist. Wahrscheinlich werde ich einfach ein paar Fragen zu den Wettkämpfen stellen, um auf ein Thema zu kommen, das ihn interessiert. Eislaufen ... Ansonsten habe ich bisher ja noch keine Ahnung von ihm.

Dieses Mal folge ich den beiden von der Bahn, doch statt in einen Laden zu gehen, lädt die Frau mich direkt zu sich nach Hause ein. Natürlich sage ich zu und wir kommen nach kürzester Zeit an dem Haus an. Es besteht aus mehreren Stockwerken - unten ein Keller- und darüber eine zweite Wohnung. "Meine Tochter und ihr Mann wohnen unten", erklärt mir die Oma und zieht sich am Geländer wie wenigen, glatten Treppenstufen nach oben. Ich stehe hinter ihr und mache mich zum Fangen bereit, da ich irgendwie Angst um sie bekomme. Ich mag diese Frau und will nicht, dass sie sich ernsthaft verletzt - jedoch kommt es nicht zum Fall und damit nicht zu meinem Einsatz.
Für Pluspunkte hätte es jedenfalls gesorgt ...
Angel hat auf den ganzen Weg kein Wort gesprochen - es nervt mich. Wenn er so ist, zögert sich alles nur unnötig heraus! Dabei will ich ihn schnell flachlegen und Ray erneut beeindrucken. Anders als die alte Frau meistert Angel den Weg wie ein Sehender und benötigt nur selten seinen Gehstock - andererseits muss man nirgends abbiegen und bloß einmal über die Straße, um von der Bahn zu ihnen nach Hause zu gelangen. Es ist näher als meine eigene Wohnung.

Die Frau schließt auf und der Geruch von Leder kommt mir entgegen. Dieser geht von einer Coach vor dem Kamin aus, welchen man sofort sieht, da man direkt im Wohnzimmer landet. Hier sieht es wie in diesen fröhlichen Weihnachtsfilmen aus ... Ein Kamin, davor ein Teppich, auf dem Tisch steht ein Teller mit Schokoladenkeksen, ein prächtiger Tannenbaum - allerdings ganz in weiß, statt grün - und einladende Flure in eine Küche und den Rest der Wohnung. "Sehr schön habt ihr es hier", sage ich wahrheitsgemäß und beobachte, wie Angel seinen Blindenstock an die Wand stellt. Generell ist es sehr ordentlich hier und Angel bewegt sich frei, als ob er die Gegend hier auswendig kennen würde. Geschickt weicht er Tisch und Stühlen aus, als die Frau ihm den Befehl gibt Kaffee für uns zu machen.
"Ich habe die Sorten umgestellt", ruft die Oma ihm hinterher, als er in der Küche verschwindet und deutet mir an, mich zu setzen. "Der Cappuccino ist jetzt rechts und der Latte Macchiato links."
"Okay."

Wir setzen uns und ich lächle der Frau zu. "Danke, dass ich hier sein darf, Frau.. äh.." Mir fällt auf, dass ich ihren Namen gar nicht weiß ... Minimal peinlich, so wie ich finde.
Doch sie lacht leise auf und winkt ab. "Nenn mich einfach Oma, wenn du möchtest." Eindeutig Kategorie süße Ömchens.

Angel kommt mit zwei weißen Tassen Kaffee zurück und stellt diese mitten auf den Tisch. Für sich selbst hat er einen warmen Kakao gemacht - so sieht sein Tasseninhalt jedenfalls für mich aus. Ich fühle plötzlich den typischen Druck in meiner Magengegend, wenn sich gerade Gase aufbauen, doch natürlich halte ich ein. Nach dem ersten Schluck mache ich meine Pläne wieder wahr und sehe zu Angel, der mit einem Teelöffel in dem Kakao herumrührt.
"Wie kamst du eigentlich zum Eislaufen?"
Er sieht nicht einmal auf ...
"Oder wie lange fährst du schon?"
Die Stille ist wirklich unangenehm. Es kommt mir so vor, als wäre er nicht nur blind, sondern auch taubstumm.
Hinzu kommt, dass ich es kaum mehr halten kann und kneife meine Pobacken zusammen, doch dann lasse ich es einfach so leise wie möglich aus mir heraus und fühle die Erleichterung.
"Angel, sei nicht so unhöflich", mahnt Ömchen ihren Enkelsohn etwas streng, doch dennoch lieb.
Als er auch ihr keine Antwort gibt, sondern breit zu grinsen anfängt, seufzt sie und schiebt ihm ihre leere Tasse zu. "Es tut mir Leid, manchmal ist er so", entschuldigt sie sich in Angels Namen für ihn bei mir und als auch ich meinen letzten Schluck der warmen Flüssigkeit genommen habe, packt sie auch dies zu Angel.
"Spül' wenigstens die Tassen, wenn du schon so bist."
Angel dreht schweigend den Kopf in ihre Richtung, bevor er sich erhebt und tut, was sie möchte. Sie lächelt schief mit einem Blick zu mir. "Du kannst immer herkommen, wenn etwas sein sollte. Ich denke, dass du ein sehr lieber Mensch bist", sie kichert und blickt zu dem Kamin, genauer hingesehen auf ein Foto über ihn.
Sie und ein Opa - wahrscheinlich ihr Ehemann, sind dort zu sehen. "Du erinnerst mich ein wenig an ihn. So neugierig und stets freundlich."
Ich lächle schief und leicht gezwungen. Bei so etwas bekommt man schon ein richtig schlechtes Gewissen deswegen, dass man nur ihren Enkel will ...
"Tut mir Leid, dass er nicht da ist", gebe ich von mir und hoffe innerlich, dass er tot ist, denn sonst wäre es wieder etwas unangenehm für mich.
"Das geht schon. Leben gehen nun einmal zu ende ..." Dabei klingt sie nicht besonders glücklich. Arme Frau ...

"Ich helfe Angel", sage ich und erhebe mich, um nicht länger den Anblick einer Dame mit ansehen zu müssen, die ihren treuen Gefährten verloren hat und flüchte in die Küche. Sie ist recht groß, aber Angel ist so gut wie fertig und trocknet gerade die letzte Tasse mit einem Tuch ab. "Wieso sprichst du nicht mit mir? Ich habe dich völlig normale Dinge gefragt", bin ich ganz direkt und sehe mich im Raum um. Ohne ihn anzublicken, da er es doch sowieso nicht sieht, füge ich ein "Hallo?" hinzu, als er wieder nicht auf mich reagiert.
Der Blinde seufzt, als ob er genervt von mir wäre und stellt die Tassen zurück in den Schrank.

"Wusstest du, dass man den Menschen, mit denen man spricht, in das Gesicht sieht?", höre ich dann plötzlich doch seine Stimme, als ich schon fast für heute aufgeben wollte und erschrecke mich beinahe, so unerwartet kommt es.
"Und du furzt bei Fremden am Tisch, hast keine Manieren, bist ekelhaft und aufdringlich."
Ich schweige, doch Angel grinst sogar leicht. Wie peinlich ist das denn?... Er hat es genaustens mitbekommen ... Ich hoffe, dass Ömchen es wenigstens nicht gemerkt und nicht nur einfach ignoriert hat.
"Passiert halt manchmal", gebe ich leise zurück und beobachte Angel scharf. "Woher willst du wissen, ob ich dich ansehe?"
"Als ob ich nicht höre, in welche Richtung du redest ...", gibt er in einem ziemlich gleichgültigen Ton von sich.
"Und wieso sprichst du jetzt nicht mit mir?"
Er kommt an mir vorbei, bleibt etwas diagonal vor mir stehen und tastet nach mir. Seine Finger treffen zuerst meine Brust, dann meine Schulter und schließlich grapscht er mir einfach in das Gesicht. "Darf ich?", fragt er, während er schon mittendrin ist, doch ich sage gar nichts und funkle ihn an, während er seine Hand wieder zurück zieht und auf die eigene Brust legt. Sein Blick ist verdammt bohrend ... "Ich vertraue dir kein Stück weit, das ist alles."
"Was habe ich denn getan, dass du das nicht tust, mhm?" Das wäre ziemlich interessant.
"Du kackst bei uns die Luft voll", wieder grinst er, doch wir beide wissen, dass das nicht der wahre Grund ist. "Fand ich übrigens witzig."
"Kannst du mal aufhören, mich so zu verwirren? Sag's schon."
Angel lächelt und dreht sich weg.
In der Tür bleibt er stehen und dreht sich noch einmal zu mir. "Geh' jetzt."


Hold My Ice Skates (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt