Joe
„Was zum Fick war das denn?" Adam ist natürlich der Erste, der seine Sprache wiederfindet.
Cas und ich stehen dafür wie bestellt und nicht abgeholt da. Selbst Nate hat sich in eine Ecke verzogen und sagt keinen Ton.
„Was machen wir jetzt?" Unsicher tapst Cas am Beckenrand auf seinen kleinen Füßchen hin und her. Sein Blick huscht zu Nate.
Der Hexer sieht wesentlich ruhiger aus als es ihm geht. Das kann ich spüren. Sein Herz rast und seine Pupillen sind geweitet. Der junge Mann ist körperlich auf Flucht eingestellt. Sein nervöses Fingertippen gleicht einem Morsecode, der nach Hilfe schreien will. Stattdessen umgibt ihn jetzt ein dünner Schleier aus Magie. Wie ein dünnes Seidentuch legt es sich um seinen Körper und verströmt eine gewisse Präsenz.
Adam dagegen sieht gelangweilt auf seine Uhr. „Ella müsste vor zwei Minuten die Verstärkung gerufen haben." Mit wenigen Schritten ist er bei mir am Beckenrand, geht in die Hocke und sieht mich schief an. „Alles klar bei dir, Joe?" Freundschaftlich reicht er mir die Hand und hebt mich ohne große Anstrengung aus dem Blutbad.
Mein Blick sucht Neil, der stumm hinter mir her getrottet kommt. Er wirkt abwesend, müde, als hätte jemand seinen eigenen Willen zu handeln abgeschaltet.
„Viel wichtiger ist, was wir mit dem Zombie da machen." Mit dem Finger tippt Adam gegen Neils Stirn, als würde er ein totes Tier piksen, um zu testen, ob es noch am Leben ist. „Du hast ihn jetzt nicht wirklich mit deinem Blut auf dich geprägt, oder?"
Sorgen müssen sich in meinem Gesicht abzeichnen, weil der Dämon meine Mimik spiegelt. „Du wusstest es nicht, oder?"
„Was?", mime ich die Ahnungslose. „Ich habe ihm bloß mein Blut zum Nähren gegeben. Weil dieser künstliche Scheiß hier keine Nahrung ist. Das ist Müll. Es hätte ihn über kurz oder lang getötet."
„Joe, hast du Neil mit Absicht auf dich geprägt, weil du wusstest, dass er sonst mit den anderen gleich getötet werden muss?" Cas ist zurück in seiner menschlichen Form und sieht aus wie das reinste Häufchen Elend.
Seine braunen Locken hängen platt an seinem Kopf entlang. Der Glanz in seinen Augen wirkt matt und freudlos. Sein Gesicht sieht eingefallen aus, als habe er eine höchst traumatische Erfahrung gemacht.
Dabei ist dieser Einsatz einer unserer leichteren gewesen. Kein großer Aufwand von Gewalt oder Kampf. Niemand von uns wurde verletzt.
Okay, mein Bluthaushalt ist gerade nicht der Beste. Aber, hey, jede gute Tat stockt mein mieses Karmakonto auf. Und es ist endlich mal ein guter Grund, warum Gideon mich noch ein bisschen mehr ab diesem Tag hassen darf.
Ich verstehe sowieso nicht, warum man mich damals nicht in den Bezirk von Gula eingeteilt hat. Als Wendigo gehöre ich zu den unersättlichen Kreaturen. Maßlosigkeit steht an meiner Tagesordnung.
Doch aus einem mir unverständlichen Grund hat mich der Erzengel Michael nach meinem Bewerbungsgespräch in den Bezirk des Hochmuts versetzt.
Dabei ist mir Gula, oder Käthe, wie sie von allen genannt wird, so viel lieber. Die 300 Kilo schwere Frau ist für eine Todsünde ein herzensguter Mensch. Gut, die Dame ernährt sich 24/7 von menschlichen Seelen, aber sie hat dabei immer ein Lächeln auf ihren vollen Lippen.
Neben mir seufzt es leise und Neil holt mich aus meinen Gedanken. Der Mann hält weiter meine Hand, als hätte er Angst verloren zu gehen. Zumindest sieht er sehr danach aus.
Verloren, meine ich.
Wie ein kleines Kind seine Mama sieht er mich an, scheint auf irgendetwas zu warten. „Nimmst du mich jetzt mit nach Hause?", will er wissen.
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Mirage
FantasyDas Leben als Wendigo ist die reinste Hölle. Besonders, wenn man seinen Appetit nicht unter Kontrolle hat. Dies wird sich Joe in ihrem letzten Fall wieder schmerzlich bewusst gemacht, als sie abermals ihren Hunger nicht im Zaum halten kann. Als ihr...