12. Kapitel

3 0 0
                                    

Cas

Am nächsten Morgen treffen wir uns bei Avery zu Hause. Oder sollte ich es königliches Anwesen nennen? Denn etwas anderes scheint dieses Haus nicht zu sein. Würde mich nicht wundern, wenn der Typ eine eigene Postleitzahl für sein Haus hat, so groß ist es.

„Gar nicht protzig, oder, Sugardaddy?", ziehe ich ihn auf und ernte ein Augenrollen.

„Wer viel arbeitet, darf sich was Schönes leisten.", gibt er zurück, würdigt mich keines weiteren Blickes und bittet Magdalena mit einer gentlemenmäßigen Bewegung in sein verdammtes Schloss.

Wenn da drin nicht wenigstens ein Bild in seinem Schlafzimmer hängt, das für ihn altert, bin ich mehr als enttäuscht. Oder es investiert für ihn in Bitcoins. Beide Möglichkeiten würden mich nicht besonders überraschen.

Der Eingangsbereich wird dank der großen Fenster in Tageslicht geflutet und verleiht dem fetten Kronleuchter an der hohen Decke einen natürlichen Glanz.

„So ein Proll...", sage ich mehr zu mir selbst und lächle im nächsten Moment Avery scheinheilig zu. „Hübsch hier..."

Er führt uns durch eine bereits geöffnete Tür in eine Art Saal.

„Feierst du hier öfter Bälle oder andere Anlässe?", frage ich mehr im Scherz.

Doch bei Averys Antwort bleibt mir glatt der Mund offen stehen: „Hin und wieder kommt die höhere Gesellschaft her und wir zelebrieren Hardcore BDSM Partys." Sein Grinsen wird frech, als er meinen Blick bemerkt. „Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, Foster, aber ich bevorzuge es alleine zu sein. Keine Mitbewohner, keine Frau oder was auch immer, keine Kinder und selbst das Personal halte ich auf ein Minimum beschränkt."

„Fühlst du dich da nicht manchmal etwas... einsam?" Magdalena sieht Avery mit ihren dunklen Augen an, als würde ein kleines Kind seinen Vater nach einem Eis fragen.

„Ich bin ein Einzelkind." Seine Stimme klingt dabei so abweisend, dass es mir eine leichte Gänsehaut beschert. „Ich habe die Einsamkeit schon immer bevorzugt und genossen."

Unwirsch sehe ich Avery an und mir wird ein Gedanke dabei klar: „Du würdest dich super mit Joe verstehen. Sie muss ich auch immer zur Gesellschaft zwingen."

„Wendigos sind ja auch Einzelgänger.", meint dieser und lässt es wie einen Vorwurf klingen. „Sie bevorzugen nicht nur die Einsamkeit, sondern auch die Dunkelheit."

„Dann verstehe ich nicht, warum sie dich so sehr hasst, wenn ihr euch so ähnlich seid.", gebe ich nonchalant zurück und mustere den langen Tisch, an den wir uns ohne weitere Anweisung setzen. Das Teil bietet Platz für über ein Dutzend Leute.

„Das weiß ich auch nicht." Ehe sein Blick meinen trifft, ertönt ein zartes Klingeln und Avery geht zurück zum Eingang. „Vielleicht frage ich sie gleich einfach."

Viel Glück dabei.

Ich schmunzle über meine eigenen Gedanken und kann im nächsten Moment erkennen, wie Avery in Begleitung wiederkommt.

„Joe!", rufe ich begeistert, springe von meinem Stuhl auf und stürme auf meine beste Freundin zu.

Ist mir egal, wie peinlich ich auf Außenstehende wirken mag. Joe wird von mir aus Prinzip begrüßt, als wäre ich ein zu großer Welpe, der sein Frauchen zehn Jahre nicht gesehen hat. Und ich weiß, dass sie es ganz tief in ihrem Innern genauso braucht und liebt, wie ich.

„Hi, Cas.", presst sie hervor, als ich sie in meine Arme schließe und fest drücke. Sie muss die Liebe spüren. In jeder Faser ihres Körpers. Und manchmal muss Liebe auch ein bisschen wehtun. Sie weiß das. Wir sind nicht umsonst beste Freunde.

MirageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt