Joe
Im Büro herrscht ein reges Treiben. Die Tagesschicht hat sich in meiner Abwesenheit eingefunden und sitzt aufmerksam an ihren Tischen, fokussiert auf ihre Monitore. Selbst Cas sitzt konzentriert an seinem Rechner, macht sich hin und wieder Notizen, als er meine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrzunehmen scheint und ruckartig aufsteht. „Wusste ich doch, dass der Duft mir bekannt vorkommt.", begrüßt er mich und nimmt mich herzlich in den Arm. Er hebt mich an und dreht sich einmal mit mir um seine eigene Achse.
Ein überraschtes Lachen dringt aus meinen Lungen. Mit dieser innigen Begrüßung habe ich definitiv nicht gerechnet. „Wir haben uns doch gestern Abend noch gesehen. Das ist keine acht Stunden her.", versuche ich zu erklären und befreie mich aus der Umarmung.
Seit Avery die vielen Veränderungen erwähnt hat, kommt mir an meinen Kollegen alles seltsam und ungewöhnlich vor. Klar, Cas ist als Wandler ein sehr kontaktfreudiges Wesen und mutiert regelrecht zu einem übergroßen Hundewelpen, wenn er neue Freunde findet. Aber diese Art der Umarmung ist selbst für ihn untypisch.
Auch, weil er weiß, wie wenig ich auf so engen Körperkontakt stehe.
Normalerweise.
Cas' Blick wandert hinter mich und er bemerkt Avery, den er leise anknurrt. Xavier dagegen reicht er seine Hand und sie stellen sich einander vor. Wundert mich etwas, dass die feine Nase des Wandlers keine Veränderungen wahrzunehmen scheint. Selbst mir als Fake Mensch fällt in der magiegetränkten Umgebung Xaviers ungewöhnlicher Geruch auf. Zumindest in der Gegenwart von Cas und meinem restlichen Team.
„Apfelkuchen.", platzt es sinnlos aus mir heraus und alle drei Männer sehen mich fragend an. Ich dagegen wende mich an Xavier und erkläre mich: „Mir ist in dem Gewächshaus schon dieser seltsame Geruch aufgefallen. Nach dem Kampf dachte ich erst, der Mantikore würde nach frischem Apfelkuchen riechen, aber..." Zögernd trete ich näher an den jungen Mann und schnupper an ihm. Zufrieden schließe ich die Augen und atmete ein weiteres Mal tief ein. „Du riechst nach Apfelkuchen."
Cas, grenzüberschreitend, wie er manchmal sein kann, lehnt über Xavier und schnuppert ebenfalls an ihm. „Tatsächlich. Wie bei Granny früher." Ein warmes Lächeln zeichnet sich in seinem Gesicht ab. Begeistert nickt er und sieht mich an. „Wir lieben Apfelkuchen."
Ich breche in schallendes Gelächter aus und boxe den Wandler freundschaftlich gegen die Schulter. „Lieben ist ein etwas heftiges Wort für einen Kuchen, aber ja, ich esse sehr gerne Apfelkuchen. Frisch aus dem Ofen, warm und mit Vanillesauce." Ungewollt fange ich an zu träumen, bekomme Appetit auf diesen einen besonderen Kuchen, als mich Avery an der gesunden Schulter packt.
„Ich unterbreche deine Schwärmerei nur ungerne, aber trotz heilender Fähigkeiten würde ich deine Wunde von Nate untersuchen lassen.", sagt Avery knapp und fängt sich einen besorgt fragenden Blick von Cas ein.
„Du bist verletzt?", will er wissen und mustert mich, sucht offensichtlich die Verletzung.
Ich winke halbherzig ab und lege einen Teil meiner linken Schulter frei. „Nichts wildes. Bloß der Pfeil eines Mantikore."
„Wie seid ihr denn an einen Mantikore geraten?" Nathan taucht hinter Cas auf und nimmt sofort meine Schulter in Augenschein. „Nah, sieht alles gut aus. Deine Heilkräfte scheinen sich sehr gut zu entwickeln. Theoretisch dürftest du dich bis heute Abend sogar wieder verwandeln können. Und bis morgen Mittag bist du ganz die Alte."
„Also. Mantikore?", greift Cas Nates Frage auf.
Weil ich ausnahmsweise nichts falsch machen will, wende ich mich zuerst an Avery, der zwar die Augen verdreht, aber nickt. „Erzähl deinen kleinen Freunden von deinem morgendlichen Abenteuer.", motiviert er mich überspitzt und lehnt mit der Hüfte gegen den nächsten Schreibtisch.
DU LIEST GERADE
Mirage
FantasyDas Leben als Wendigo ist die reinste Hölle. Besonders, wenn man seinen Appetit nicht unter Kontrolle hat. Dies wird sich Joe in ihrem letzten Fall wieder schmerzlich bewusst gemacht, als sie abermals ihren Hunger nicht im Zaum halten kann. Als ihr...