5. Kapitel

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Joe

In seinem Wagen angekommen, schnallt mich Avery auf der Rückbank fest, spricht tatsächlich einen Sicherheitszauber, lässt Xavier auf den Beifahrersitz steigen und rast mit uns durch die noch ruhige Stadt. Unser Weg führt uns über die Schnellstraßen querfeldein auf eine mir unbekannten Landstraße, die an einen dichten Wald angrenzt.

„Ist nicht mehr weit, Prinzessin.", erklärt Avery und ich kann im Rückspiegel erkennen, wie seine Augen vor Vorfreude leuchten.

„Hör gefälligst auf mich so zu nennen.", fordere ich und versuche den Gurt etwas zu lockern. Doch statt eines Hauchs von Freiheit zu bekommen, wird das Ding mit jeder Bewegung enger. „Was zum..."

„An deiner Stelle würde ich das viele Zappeln sein lassen." Avery grinst süffisant und fokussiert sich wieder auf die Straße, die mit jeder Minute holpriger wird. „Deine Bemühungen enden bloß im Treibsand. Je mehr du dich wehrst, desto schlimmer wird es."

„Verdammter Hexer...", knurre ich genervt und klemme meine Hand zwischen Gurt und Hals, um wenigstens weiter atmen zu können. Das wird mit dieser Würgeschlange von Autogurt nämlich immer schwieriger.

Wir nehmen die nächste Kurve, die für meinen Geschmack viel zu scharf gefahren wird, und Avery fängt tatsächlich an eine Melodie zu pfeifen.

Xavier dreht sich in seinem Sitz halb zu mir nach hinten und sieht mich mitfühlend an. „Wir sind gleich da.", sagt er und seine Stimme wirkt unerwartet beruhigend auf mich. Jung und weich schmiegt sie sich in mein Gehör und schafft es tatsächlich, dass mein Herzschlag sich verlangsamt und meine Atmung flacher wird. Ob das auch ein Zauber ist? Oder reagiert bloß mein menschlicher Körper auf dieses Zusammenspiel?

Seit Jahrhunderten musste ich mir keine Gedanken mehr über diese Belanglosigkeiten machen und es kotzt mich nach nicht einmal einem ganzen Tag alles schon an.

Ich weiß, dass ich mich nur am Beschweren bin. Aber lebe mal über 400 Jahre wie das Monster unterm Bett, um dann durch einen etwas zu hungrigen Vampir wieder das kleine Mädchen zu werden, dass du damals im Keller zurückgelassen hast. Das ist scheiße und ich weiß nicht, wie ich damit umzugehen habe.

Gibt es überhaupt eine richtige Möglichkeit mit solch einer Situation umzugehen? Kann ich in meinem jetzigen Zustand etwas richtig machen?

„Wir sind da." Xavier steigt aus dem Auto und befreit mich von diesem Foltergurt, der für jeden BDSM-Fanatiker sicher das pure Hochgefühl bedeutet hätte. Kein Kinkshaming an dieser Stelle. Ich gebe nur ungerne die Kontrolle ab. Aus Gründen.

„Na komm." Der Azubi reicht mir seine Hand und hilft mir aus dem Wagen zu steigen. „Es ist gleich da drüben." Er deutet auf ein kleines Häuschen am Ende der Einfahrt. Ländlich, etwas heruntergekommen und dahinter ist sogar ein kleines Gewächshaus zu erkennen. „Die Bewohner haben bereits vor zwei Wochen ein erhöhtes Feenaufkommen gemeldet."

„Die Viecher toben sich regelmäßig an ihrem Garten aus und beeinflussen ihre Launen.", erklärt Avery. Er geht wenige Schritte neben uns und zückt aus dem Halfter an seiner Hüfte einen alten Dolch. Der Griff ist mit glitzernden Steinchen verziert, die die Sonnenstrahlen reflektieren und so im Innern wie flüssig erscheinen. „Wir kommen alle paar Tage vorbei, fangen die Feen ein, bringen sie auf Revier und kassieren eine kleine Belohnung von den Besitzern."

Xavier will mit mir an der Hand weiter gehen, als Avery abrupt stehen bleibt, seinen Arm austreckt und uns zum Halten zwingt. Ich wäre fast in seinen Arm gelaufen, hätte Xavier nicht rechtzeitig reagiert und mich an seine Seite gezogen.

Verwirrt gleitet meine Sicht hoch zu dem Jungen, dessen Mimik mit einem Mal so viel ernster ist. Sein Blick geht starr zu dem Häuschen und seine rechte Hand liegt an seinem Holster. „Da stimmt was nicht.", sagt er leise, lässt meine Hand los und drückt mir seinen Dolch in die freie Handfläche. „Ich nehme an, du kannst mit Waffen umgehen?"

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