Schweigend schloss ich meine Augen.
Lauschte dem schnellen Schlagen meines Herzens und genoss die Wärme, die von Kyousuke ausging.
Neben meiner Wut auf mich selber, spürte ich nun auch wieder die Erschöpfung und Müdigkeit.
Ich wäre am liebsten einfach auf Kyousukes Rücken eingeschlafen.
Die Minuten zogen sich hin.
Vereinzelt konnte ich Gesprächsfetzen von den Jungs vernehmen, aber ich hörte kaum zu.
Es interessierte mich nicht.
Ich war mir sicher, dass der Eine oder andere versuchte, mich anzusprechen, aber ich ignorierte es.
Ich wollte einfach nur diese Wärme spüren und Kyousukes Geruch einatmen.
Einfach nur...
„Wir sind da."
Yuuseis deutliche Stimme ließ mich aufsehen.
Kyousuke war stehen geblieben und sah halb über seine Schulter zu mir. „Bist du noch da, Ryoko-chan?"
Benommen blinzelnd nickte ich. „Uhm. Ja..."
Das alte Haus vor mir war groß und erinnerte vom Grundriss her ein wenig an ein kleines Kloster.
Auch wenn die Außenwände ebenso wirkten, als hätten sie schon einmal bessere Tage erlebt, versprühte das Gebäude eine Art von Wärme und Frieden.
Kyousuke sah zu Jack. „Uhm. Kannst du sie nehmen, Jack?"
„Eh was?" Perplex zuckte ich zusammen.
Auch Jack sah verwirrt aus. „A-Aber Kiryuu?" Er sah zu mir. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als wäre er wieder verlegen.
Ohne, dass ich groß etwas sagen konnte, hatte mich Jack einfach schon Kyousuke abgenommen und ich lag in seinen Armen.
Mit hochrotem Kopf.
Was zur Hölle war das jetzt bitte wieder für eine Aktion!?
Yuusei trat vor und klopfte an die hölzerne Tür. „Martha? Martha, wir sind es!"
Crow ging zu ihm. Kyousuke hielt sich im Hintergrund.
Fast, als wäre es ihm unangenehm.
Die Tür ging nach einer Weile auf und heraus trat eine kleine, rundliche Frau mit schwarzen, schulterlangen Haaren und einem freundlichen Gesicht. In ihrer Hand hielt sie einen kleinen Untersatz mit einer Kerze.
„Da seid ihr ja endlich! Ich habe mir schon Sorgen um euch Jungs gemacht!", sagte sie etwas streng, aber die Besorgnis war genauso gut herauszuhören.
„E-Es tut uns Leid, Martha.", hörte ich Crow stammeln.
Jack trat mit mir nervös nach vorne. „Es gab ein paar Schwierigkeiten und nun ja..."
Martha sah zu ihm und bemerkte dann mich. „Jack, wer ist das Mädchen?"
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Mein Blick glitt hinüber zu Kyousuke, der wiederum aussah, als wüsste er nicht, was er tun sollte.
Er sah zu mir zurück und versuchte zu lächeln.
Was ihm wohl gerade durch den Kopf ging?
Vielleicht dachte er, Martha würde ihm die Schuld daran geben, für das, was passiert war.
Ich drehte meinen Kopf wieder in ihre Richtung.
„Das ist...", begann Jack, gerade als Yuusei und Crow gleichzeitig den Mund aufmachten.
„Ishida Ryoko.", warf ich nuschelnd ein. „Bitte verzeihen Sie die späte Störung."
„Ryoko-chan, also?" Sie bedachte mich mit einem gutmütigen Lächeln. „Schon gut, mein Kind. Ich habe ja sowieso auf meine Jungs gewartet. Dann bist du eine Freundin von ihnen?"
Ich nickte nur. Das Ganze war mir unendlich peinlich.
„Was ist passiert?", fragte sie schließlich.
„Das erklären wir dir drinnen, Martha.", warf Crow ein. Er sah zu Kyousuke. „Willst du da draußen Wurzeln schlagen, Kiryuu?"
Kyousuke winkte ab. „Ist schon... okay..."
Hatte der Kerl echt vor, draußen zu bleiben?
Herrgott. Martha würde ihn sicher nicht auffressen!
„Kyousuke-kun..."
„Na gut. Dann kommt erst einmal herein.", sagte Martha.
Yuusei, der auch noch kurz zu Kyousuke gesehen hatte, ging vor. Crow folgte ihm schulterzuckend und auch Jack trat mit mir ein.
„Und du, junger Mann? Du musst dieser ominöse Freund sein, mit dem sich meine Jungs immer treffen. Komm doch herein. Es ist kalt draußen.", hörte ich Martha sagen.
Jack war mit mir stehen geblieben und beobachtete das Ganze.
„Ich... Uhm, ja. Aber ich... Ich möchte wirklich nicht stören. Ich wollte nur sichergehen, dass Ryoko hier gut ankommt..."
„Das Mädchen? Seid ihr verwandt?" Martha schüttelte den Kopf. „Das erfahre ich sicherlich gleich. Komm schon rein. Du holst dir sonst noch den Tod da draußen, bei den Temperaturen. Außerdem wurde für die Nacht noch ein Unwetter angekündigt. Oder hast du einen warmen Platz zum schlafen?"
Kyousuke sah sie an. Er wirkte verlegen und kratzte sich den Hinterkopf. „Ich.."
Aber weiter kam er nicht, weil Martha ihn mit sanfter Gewalt einfach am Arm nahm und hereinzog.
Ein leichtes Schmunzeln umspielte meine Lippen.
Kyousuke so verlegen zu sehen. So schüchtern. Irgendwie war das süß.
„Du bleibst heute Nacht besser hier, junger Mann. Darf ich fragen, wie du heißt?"
Kyousuke wirkte immer noch, als bereitete ihm seine eigene Anwesenheit Unbehagen. „Kiryuu Kyousuke. Aber die Meisten nennen mich nur Kiryuu..."
„Kiryuu-kun... Verstehe. Es freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Martha. Aber das weißt du sicherlich schon."
Kyousuke nickte nur wieder.
Er sah wieder zu mir, aber Jack drehte sich in dem Moment um und lief weiter.
„Ich bring sie in das Krankenzimmer, Martha."
Er ging mit mir durch einen langen Flur, während Martha und Kyousuke uns scheinbar folgten. Zumindest konnte ich das schwache Licht der Kerze hinter Jacks Rücken ausmachen.
Jack öffnete eine Tür und betrat das Zimmer.
Licht flackerte schwach auf, nachdem er einen Lichtschalter betätigt hatte und er setzte mich auf dem Bett ab.
Das Zimmer wirkte schlicht und alt, aber es gab mir ein Gefühl von Sicherheit.
Crow und Yuusei kamen auch wieder zu uns. Sie hatten Decken und Kissen dabei.
Martha begutachtete mich eine Weile.
Ich hielt mir mein rechtes Fußgelenk, während ich versuchte, mich einigermaßen bequem hin zusetzen.
„Du hast dich am Fuß verletzt. Deswegen musste Jack dich tragen, nicht wahr?", sagte Martha liebevoll. „Lass mich mal sehen."
Ich hob meinen Kopf. Schüchtern zog ich meine Stiefel aus. Der Schmerz dabei ließ mich die Augen zusammenkneifen.
Mein Gelenk sah im schwachen Licht der Deckenlampe noch schlimmer aus. Noch geschwollener und es hatte sich ein Bluterguss gebildet.
Martha tastete es vorsichtig ab.
„Das sieht sehr nach einer Verstauchung aus.", sagte sie. Sie drehte ihren Kopf in Yuuseis Richtung. „Das Gelenk muss sofort gekühlt werden. Yuusei, wärst du so nett, mir ein paar nasse Handtücher zu bringen?"
Yuusei nickte, legte die Bettdecke neben mir ab und verschwand erst einmal aus dem Zimmer.
Martha wandte sich wieder mir zu. „Ich werde dem Arzt morgen Bescheid sagen, dass er sich das ansehen soll. Eine Verstauchung ist nicht gerade ungefährlich."
Ich nickte nur.
Ich wusste ja nicht, wie schlimm so etwas sein oder werden konnte. Außerdem war es mir immer noch unangenehm.
„So und nun würde ich gerne wissen, was alles passiert ist!"
Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und blickte zu Crow, Jack und Kyousuke, der zu Boden sah.
Jack räusperte sich und wollte gerade zu erzählen beginnen, aber Kyousuke mischte sich ein.
„Das ist meine Schuld...", nuschelte er. „Ich habe einen Fehler gemacht..."
Jack drehte sich zu ihm um. „Jetzt red keinen Unsinn, Kiryuu! Du konntest nicht wissen, dass es so viele waren und vor allem nicht, dass es solche kranken Bastarde sind!"
Kyousuke sah weiterhin zu Boden. Ich konnte sehen, dass er sich auf die Unterlippe biss.
„Wenn, dann ist es eher meine Schuld, weil ich nicht vorsichtig genug war..."
„Jack.." Crow wandte sich dem Blonden zu, aber Jack drehte seinen Kopf weg.
Yuusei kam derweil mit nassen Handtüchern im Arm wieder und gab diese Martha. „Bitte."
Er blickte zwischen uns allen hin und her.
„Das war meine Schuld! Weil ich... Weil ich zu schwach bin. Weil ich mich nicht wehren konnte! Ich... Ich bin eben doch nur ein kleines dummes Mädchen... Wenn ich nicht wäre, hättet ihr Jungs nicht alle diese Probleme gehabt. Wenn ich nicht wäre, wäre Jack nicht verletzt worden und Ki.. Kyousuke-kun müsste sich jetzt nicht diese Vorwürfe machen. Wenn ich nicht wäre, müsste sich jetzt keiner schlecht fühlen. Wenn ich nicht wäre, würden nicht ständig solche Sachen passieren!"
Irgendwie platzte gerade einfach alles aus mir heraus.
Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten.
Ich hasste mich so sehr.
„Wenn es mich nicht gäbe, würde nie so etwas passieren. Ich bin schuld. Ich bin die einzige, die Schuld trägt. Wegen mir musste Mama sterben... Und wegen mir müsst ihr Jungs gerade alle..."
Meine Tränen tropften auf das weiße Bettlaken und ich krallte mich mit einer Hand in die Decke neben mir.
Nur flüchtig bemerkte ich Kyousukes Blick. Wie er mich ansah, so hilflos. Ein wenig verstört.
Auch die anderen standen mit offenen Mündern da.
Vermutlich gaben sie mir innerlich recht.
Ich zuckte auf, als ich fühlte, wie mich Jemand in seine Arme zog.
Es war Martha.
Sie hatte sich neben mich gesetzt und mich einfach umarmt.
Wärme durchflutete meinen Körper.
Ein Gefühl, wie ich es seit fast neun Jahren nicht mehr gespürt hatte, breitete sich in mir aus.
„Ich weiß zwar immer noch nicht, was passiert ist, aber was es auch war, es ist nicht deine Schuld, Ryoko-chan. Niemand von euch hier trägt schuld, also hört alle auf damit."
Schweigen.
Ich ließ Marthas Umarmung zu. Versuchte, mich zu beruhigen. Es war alles gerade so viel. So viele Gefühle, die ich nicht fassen, nicht begreifen konnte. Schuld, Geborgenheit, Selbsthass, Liebe. Ich wusste nicht wo mir der Kopf stand.
„Ich frage erst einmal nicht weiter nach.", hörte ich Martha sagen. „Morgen ist ja auch noch ein Tag." Sie wandte sich mir zu. „Ryoko-chan? Du solltest dich erst einmal ausruhen. Ein so junges Mädchen wie du, braucht viel Schlaf und Erholung. Vor allem wenn etwas scheinbar so Schlimmes vorgefallen ist."
Ihre mütterliche Fürsorge ließ eine weitere Träne meine Wange hinab laufen. Ich nickte nur schweigend.
Martha tätschelte mir den Kopf und legte die Decke über mich.
Dann wickelte sie die kühlen nassen Handtücher um mein Fußgelenk und lagerte meinen Fuß auf ein kleines Kissen. Scheinbar sollte das helfen.
„Ihr verschwindet jetzt erst einmal besser.", sagte sie an Yuusei, Crow und Jack gewandt.
Die drei nickten nur und verließen das Zimmer.
Kyousuke wollte ihnen nach, aber Martha hielt ihn am Arm fest. „Du, junger Mann, bleibst besser hier. Immerhin scheint dir das Mädchen wichtig zu sein. Oder etwa nicht?"
Kyousuke sah nur flüchtig zu ihr. Dann drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich.
Da war er wieder. Dieser Blick. Dieser Blick mit dem er mich immer ansah, wenn etwas passiert war. Dieser Blick, der mir das Herz zerriss.
Er senkte seinen Kopf wieder und nickte nur. Schlurfend steuerte er auf einen Stuhl neben meinem Bett zu und ließ sich darauf nieder.
„Ich hole eben noch eine Matratze mit Kissen und Decke.", sagte Martha. Dann war sie auch schon aus der Tür verschwunden.
Wieder herrschte Stille. Sekunden wurden zu Minuten. Zu langen Minuten, in denen keiner etwas sagte. Quälend lange Minuten.
Kyousuke knetete nervös seine Finger. Ich hatte ihn noch nie so erlebt wie jetzt.
Scheinbar gab er sich echt die Schuld an dem Dilemma.
Meine bloße Nähe war ihm wohl gerade unangenehm.
Nach gefühlten Stunden kam Martha wieder.
Sie legte eine weiße Matratze auf den Boden, so wie eine Decke und ein Kissen.
Alles nur, damit Kyousuke die Nacht über bei mir sein konnte.
Ob er das auch wollte, war eine andere Frage, die ich mir stellte.
Persönlich war ich zumindest froh, ihn bei mir zu haben.
Ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch ohne seine Nähe schlafen konnte. Ich hatte mich schon zu sehr daran gewöhnt, ihn rund um die Uhr bei mir zu haben. Ohne ihn fehlte einfach etwas. Ich brauchte ihn. Ich brauchte ihn so sehr. Und ich wollte nicht, dass er sich hasste! Immerhin war es nicht seine Schuld!
„Danke.", nuschelte er in Marthas Richtung.
„Schon gut. Jetzt ruht euch erst einmal aus.", antworte sie und verließ wieder das Zimmer.
Kyousuke machte keine Anstalten, von dem Stuhl aufzustehen.
Ich konnte seinen deprimierten Anblick kaum eine Minute länger ertragen.
Ich rutschte etwas zur Seite, richtete mich wieder mit dem Oberkörper auf und griff nach seinem Arm.
„Kyousuke-kun!"
Er fuhr zusammen und starrte mich entgeistert an. Kurz öffnete er seinen Mund, als wollte er etwas sagen, aber es kam kein Ton heraus.
„Das... Das ist nicht deine Schuld! Bitte hör auf, dir die Schuld zu geben. Ich will dich nicht traurig sehen!"
Ich wusste selber nicht, wie ich in jenem Augenblick nur den Mut gefunden hatte, das alles zu sagen.
„R-Ryoko-chan... Ich..."
„Bitte... Du hast nur das getan, was du immer tust. Deinem... Nein, unserem Ziel ein Stück näher zu kommen. Daran ist nichts verkehrt! Ich mag das nicht sehen, wenn du traurig bist oder dir die Schuld gibst. Dass ich verletzt bin, liegt an meiner eigenen Dummheit! Aber es hat nichts mit dir zu tun oder dass es falsch war, Team Zombie in den Arsch zu treten! Du brauchst das! Du willst doch völlige Befriedigung erlangen, in dem wir quasi Satellite übernehmen. So lange kämpfen, bis keine andere Duel Gang mehr übrig ist, außer uns... Also... hör auf SO zu gucken! Ich mag das nicht! Du bist doch immerhin... Immerhin unser... Unser Leader und ich...."
Ich bemerkte erst jetzt, dass ich zitterte. Ich hatte mich so sehr in Kyousukes Arm geklammert, dass ich ihm vermutlich, halb die Blutzufuhr abgedrückt hatte.
Erneute Tränen liefen meine Wangen hinab und ich fühlte die Hitze in meinem Gesicht.
Es war viel mehr als nur das. Viel mehr als nur, dass ich ihn nicht traurig sehen wollte, weil er unser Leader war.
Kyousuke starrte mich immer noch völlig baff an. Minutenlang. Dann, schließlich, zog er mich einfach in seine Arme. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter.
„Ryoko-chan... Es tut mir... so furchtbar leid."
Ich vernahm seine Stimme direkt neben meinem Ohr. Es war nicht mehr, als ein Flüstern.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Ich legte meine Arme zaghaft um ihn und tätschelte seinen Rücken.
„Du blöder Idiot...", nuschelte ich leise und lächelte dabei.
Ich wollte ihn nicht traurig sehen, weil ich mich in ihn verliebt hatte.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich verliebt.
Vor mir selber, brauchte ich das nun wirklich nicht mehr länger zu leugnen.
Minuten vergingen, in denen ich in seinen Armen lag. Keiner sagte mehr etwas, bis Kyousuke die Umarmung von sich aus löste.
„Ryoko-chan..." Er stand langsam von dem Stuhl auf.
Ehe ich mich versah, hatte er sich neben mich gesetzt.
„Ich werde nie wieder zulassen, dass so etwas noch einmal passiert!", sagte er. Seine Stimme zitterte nicht mehr, klang aber dennoch matt. „Bitte leg dich wieder hin. Martha hat gesagt, du sollst dich schonen."
Ich nickte und tat wie geheißen.
Er legte sich neben mich auf die Seite und sah mir in die Augen.
„Ab sofort gehst du immer mit mir mit. Ich werde keine Sekunde von deiner Seite mehr weichen. Nie mehr."
Für eine Sekunde dachte ich, mein Herz würde aus meiner Brust springen.
„K-Kyousuke-kun..."
Zaghaft nahm ich meine Decke und legte sie einfach über ihn. „Ich werde überall dahin gehen, wo auch du hingehst. Egal, wohin auch immer du gehst.", nuschelte ich leise.
Ich glaubte zu sehen, dass Kyousuke leicht rot geworden war. Aber vermutlich bildete ich es mir nur ein.
„Ich hab furchtbare Angst gehabt heute.", gestand ich ehrlich.
„Ich weiß. Und das tut mir leid. Es war dumm von mir, dich mit Jack mitgehen zu lassen."
„Du konntest nicht wissen, dass die Typen solche kranken Freaks sind."
„Nein. Das konnte ich nicht. Aber, mal ehrlich. Wer Tag ein, Tag aus auf einem verlassenen Friedhof herumgammelt, der kann ja nur bekloppt im Kopf sein."
Er schmunzelte leicht, was auch mich zum Lächeln brachte. „Wohl wahr."
Ich kuschelte mich einfach zaghaft an ihn.
Meine Augen waren vor Müdigkeit so schwer und seine Wärme und Nähe taten langsam ihr übriges.
„Du solltest wirklich nicht hier spielen, Kleine."
Das war sie wieder. Diese Stimme.
Das Gesicht, dass ich nicht erkennen konnte.
„Warum nicht?"
„Weil die Gegend gefährlich ist. Ich sollte auch nicht hier sein."
„Wieso?"
„Man nennt diese Zone hier B.A.D. Die Leute sagen, es sei die gefährlichste Zone in ganz Satellite. Deswegen sollte ein kleines Mädchen wie du, nicht hier sein."
„B.A.D.? Warum bist du hier?"
„Ich? Ich war nur neugierig."
„Hm... Wer bist du?"
Blinzelnd öffnete ich die Augen.
Schon wieder so ein merkwürdiger Traum.
Ein Echo aus einer Zeit, die weit zurück zu liegen schien.
B.A.D.
War ich dort wirklich mal gewesen? An diesem scheußlichen Ort, den selbst die Security mied?
Ein Schaudern jagte über meinen Rücken.
Ich drehte mich etwas und bemerkte, dass ich mit dem Kopf auf Kyousukes Brust lag.
Verlegen richtete ich mich auf. Das gute, alte Bauchkribbeln war wieder da und auch mein Herzklopfen ließ nicht lange auf sich warten.
Guten Morgen, ihr ollen Frühlingsgefühle.
Kyousuke schlief noch tief und fest.
An der Wand hing eine alte Uhr. Ich hatte nie wirklich Uhrlesen gelernt, konnte aber zumindest volle Stunden entziffern und zum Glück war es gerade eine volle Stunde, die die Uhr anzeigte.
Sieben Uhr morgens.
Wie viele Stunden hatte ich geschlafen?
Ich wollte aufstehen, aber auch meine Schmerzen im Fuß begrüßten mich.
Immer noch eingebettet auf dem kleinen Kissen lag er da und sah grüner und blauer aus, denn je.
Die feuchten Handtücher ließen mich davon ausgehen, dass Martha oder wer anderes vor kurzem, noch mal hier gewesen sein musste.
Mein Magen rumorte. Aber das war auch kein Wunder. Ich hatte zuletzt am Vortag etwas gegessen. Vormittags.
Außerdem drückte meine Blase.
Auch wenn ich mich schonen sollte, aber ich konnte jetzt nicht einfach hier liegen bleiben.
Vorsichtig nahm ich meinen rechten Fuß von dem Kissen runter und entfernte das feuchte Handtuch.
Ich rutschte zum Bettrand und deckte Kyousuke wieder richtig zu.
Lächelnd betrachtete ich ihn eine Weile. Ich erinnerte mich an das Gespräch mit ihm, bevor ich eingeschlafen war und fühlte die Hitze in meinem Gesicht.
Ich war ihm näher gewesen, als je zuvor. Und vor allem war ich mir endlich über meine Gefühle für ihn klar geworden.
Aber was war ich für ihn?
Ob er dasselbe für mich empfand?
Ich hatte Angst genauer darüber nachzudenken. Angst davor, dass mein Unterbewusstsein mir mal wieder sagen würde, dass das alles nur Einbildung war.
Das Beste war, einfach zu schweigen. Ich würde mich eh nie trauen, ihm meine Gefühle zu gestehen.
Wankend, stand ich vom Bett auf und humpelte zur Tür. Meine Stiefel standen neben dem Bett, aber ich traute mich nicht, sie jetzt anzuziehen.
Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich kalt an, aber das interessierte mich gerade eher weniger.
Vorsichtig öffnete ich die Tür. Ich wollte Kyousuke beim besten Willen nicht wecken.
Meinen Kopf nach links und rechts drehend, schlich ich den Flur entlang. Möglichst darauf bedacht, mit meinem rechten Fuß nicht aufzutreten.
Es erschien alles ruhig. Vermutlich war ich neben Martha die Erste, die bereits wach war.
Doch ich irrte mich.
Ich kam an einem Zimmer vorbei, dessen Tür offen stand und schielte um die Ecke.
Bei dem Raum schien es sich um die Küche zu handeln.
Martha stand an der Theke und schälte gerade einen Apfel.
An dem Tisch neben der Theke saß jemand mit dem Rücken der Tür zugewandt.
Die blonden, nach oben abstehenden Haare ließen mich leicht erraten, um wen es sich handelte: Jack.
Er trug einen leichten Verband um den Kopf herum.
„Was treibt ihr Kinder euch auch auf verlassenen Friedhöfen herum? Aber ich bin wirklich froh, dass nichts weiter Schlimmes passiert ist.", hörte ich Martha sagen.
Jack schien gerade zu trinken. Zumindest setzte er seine Tasse ab. Ob es Tee oder Kaffee war, konnte ich von hier aus nicht erkennen.
„Das, was passiert ist, ist schlimm genug. Wir haben unsere Gegner unterschätzt und ich hab zugelassen, dass Ryoko-chan verletzt wurde, obwohl Kiryuu sich darauf verlassen hat, dass ich auf sie aufpasse!"
Lauschen war zwar nicht gerade meine Art, aber ich war hellhörig geworden.
Allem Anschein nach, hatte Jack Martha von der Friedhofs-Geschichte erzählt.
Martha drehte sich zu ihm um und stellte ihm den Teller mit dem geschnittenen Apfel hin.
„Du magst das Mädchen, nicht wahr?"
Jack schien nach Luft zu schnappen. „So ein Quatsch! Sie ist nur eine Team-Kameradin, m-mehr nicht!" Als er sich mit dem Kopf zu Martha drehte, konnte ich sehen, wie seine Wangen einen leichten Rotton angenommen hatte.
Ich hörte Martha vergnügt lachen. „Jack. Wie viele Jahre lebst du nun schon unter meinem Dach? Ich kenne dich mittlerweile und ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass du das Mädchen gern hast."
Jack schwieg, drehte sich wieder weg zum Tisch hin und trank wieder aus seiner Tasse.
Kopfschüttelnd humpelte ich lieber weiter.
Ich wollte mir darum keine Gedanken machen, ob Jack mich mochte oder nicht.
Heute bin ich mir sicher, dass auch Jack es so gesehen hatte, weil er zu jenem Zeitpunkt garantiert schon wusste, dass ich mein Herz bereits lange an Kyousuke verschenkt hatte.
Zumindest hatte er mir gegenüber nie ein Wort über seine wahren Gefühle verloren und ich hatte seine Blicke weitestgehend ignoriert.
Als ich von der Toilette wieder kam, stand Martha vor mir.
Ich schluckte leicht. „Kind, du sollst doch im Bett bleiben und nicht herumlaufen!", sagte sie mit einem leicht strengen Unterton in der Stimme.
„Du darfst den Fuß nicht belasten, sonst wird die Verstauchung nur schlimmer!"
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
Verlegen kratzte ich mir den Hinterkopf und ließ mich von Martha auf das Zimmer zurückbegleiten. Sie stützte mich dabei.
Kyousuke saß aufrecht auf dem Bett, als wir hereinkamen und wirkte auch für ein paar Sekunden so, als würde er mich darüber belehren wollen, dass ich mich zu schonen hatte. Aber er tat es nicht.
Vermutlich aus dem Grund heraus, dass er sich selber wohl auch kaum geschont hätte, wenn er in meiner Situation gewesen wäre.
Dass er nicht gerade sorgsam mit sich umging, hatte ich ja schon bei seiner Erkältung festgestellt.
Er war eben ein typischer Draufgänger, aber gerade das mochte ich im Grunde ja an ihm.
Martha begleitete mich zum Bett und ich setzte mich wieder.
„Ich geh jetzt gleich den Arzt rufen, dass er sich deinen Fuß mal ansieht, Ryoko-chan. Kiryuu-kun, würdest du darauf Acht geben, dass sie nicht wieder durch das Haus streunt?"
Kyousuke zog mich leicht zu sich und zuckte auf.
„Eh j-ja Ma'am!"
Er hatte wohl nicht damit gerechnet, angesprochen zu werden, was mich kichern ließ.
Martha verließ das Zimmer und Kyousuke sah zu mir.
Er kniff mir sanft in die Wange und zog daran. „Einfach mit dem Fuß durch das Haus zu laufen. Ich hatte schon Angst, du bist abgehauen, du kleiner Teufel!"
„Eh... laff daff!", rief ich mit wahrscheinlich hochrotem Kopf. „I-Idiot!"
Kyousuke lachte nur. Zumindest hatte er seine gute Laune zurück.
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Satisfy Me!
FanfictionRyoko Ishida ist ein junges Mädchen, welches auf den Straßen von Satellite lebt und dort tagtäglich um ihr Überleben kämpft und sich vor allem mit klauen über Wasser hält. Als sie eines Tages beim Stehlen einiger Metallteile erwischt und verfolgt wi...