Twenty-first Satisfaction: Ein wahr gewordener Alptraum

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„Du bist wie eine kleine Schwester für mich."
Dieser Satz hallte in meinen Ohren. In meinem Kopf. Immer und immer wieder. Eine Endlosschleife, aus der es kein Entkommen gab. Solange nicht, bis ich wirklich realisiert hatte, was er da gesagt hatte. 'Wie eine kleine Schwester' Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog. 'Wie eine kleine kleine Schwester.' Der Schmerz in meiner Brust vergrößerte sich von Sekunde zu Sekunde, je länger mir der Satz im Kopf herumschwirrte. Die gemeine Stimme, die hämisch in meinem Kopf kicherte und mich für meine Naivität auslachte, auch nur eine Sekunde daran geglaubt zu haben, Kyousuke würde das selbe für mich empfinden, wie ich für ihn. Ich realisierte kaum, was ich tat. Irgendwie musste ich ihn weggestoßen haben und rannte los, während unzählige Tränen sich ihren Weg über meine Wangen bahnten und mir die Sicht verschleierten.
Kyousukes Stimme erschien weit entfernt, während er nach mir rief, doch dann fühlte ich eine Hand, die meinen Arm festhielt.
„Ryoko, bleib bei mir! Verlass mich nicht auch noch!"
Er drehte mich zu sich um und für einen Moment starrte ich ihn an. Starrte in dieses helle Grün, das mir so viel Hoffnung gegeben hatte. Doch da war nichts mehr. Keine Hoffnung, kein Licht, nicht mal mehr der Hauch von dem Gefühl, beschützt zu werden. Mein Herz zersplitterte in diesem Moment in tausende Scherben. „LASS MICH LOS! ICH HASSE DICH!"
Mir war in jenen Sekunden nicht bewusst, was ich da eigentlich sagte oder tat. Ich musste ihm eine Ohrfeige verpasst haben und mich dann wieder losgerissen haben.

Ich rannte weiter, nach unten. Immer und immer weiter, während ich bis auf die Tränen nichts mehr von meiner Umgebung wahrnahm. Es war vorbei. Endgültig vorbei.
Irgendwo fiel ich auf die Knie und übergab mich. Meine Brust schmerzte und die Übelkeit wurde auch vom Brechen nicht besser. Irgendwann saß ich einfach nur noch da, spuckend und hustend. Ein zitterndes Häufchen Elend. Ich konnte mich gerade so dazu bewegen, aufzustehen. Hatte völlig die Zeit vergessen oder wo genau ich war. Nur sehr langsam nahm ich meine Umgebung wieder wahr und stellte fest, dass mich meine Füße wohl instinktiv zum Schrottplatz getragen hatten. Ich stand vor dem Zaun, der diesen umgab und dackelte immer noch wankend und hundeelend durch den Eingang. Verloren schlenderte ich durch die Berge von Müll. Es war der vertraute Geruch von modrigem Holz, verbranntem Gummi und rostigem Metall. Als ich bei der Stelle ankam, wo früher mein Versteck gestanden hatte, stellte ich fest, dass es völlig in sich zusammengefallen war. Die Plane lag auf dem Boden und auch die Metallstangen lagen verstreut. Lediglich die Regentonnen standen noch da.
Mein altes Zuhause war zerstört. Genauso zerstört, wie mein Herz. Ich ließ mich auf die Plane fallen und kauerte mich zusammen. Meine Arme eng um mich geschlungen, vergrub ich meinen Kopf zwischen meinen Knien. Genau hier hatte es angefangen. An diesem Ort hatte Kyousuke mich damals gefragt, ob ich Team Satisfaction beitreten wollte. Und auch wenn ich erst hatte ablehnen wollen, so war es im Endeffekt die beste Entscheidung meines Lebens gewesen. Doch nun fühlte es sich an, als hätte ich ihn besser nie kennengelernt. Als wäre es das Beste gewesen, wenn ich ihm nie begegnet wäre.

Als ich meinen Kopf von meinen Knien hob, war es bereits dunkel geworden. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich geweint hatte, aber irgendwann hatte ich einfach keine Tränen mehr übrig gehabt. Stattdessen überkam mich nun ein Gefühl, dass meinen Herzschmerz nur noch schlimmer machte: Schuld. Ich hatte Kyousuke – es viel mir schwer seinen Namen auch nur gedanklich auszusprechen – alleine gelassen. Ich hatte mein Versprechen ihm gegenüber gebrochen, schlimmer noch, ich hatte ihn angeschrien und behauptet, ich würde ihn hassen, ich hatte ihn geschlagen und war vor ihm davon gelaufen.
Letztendlich war ich ihm in den Rücken gefallen, so wie Yuusei, Jack und Crow es getan hatten. Aber eigentlich hatten sie alle gute Gründe gehabt und ich war mir sicher, dass keiner von ihnen sich so schuldig fühlte, wie ich es tat. Und diese Schuld lastete noch schwerer auf mir, als all mein Herzschmerz. Sie stach noch tiefer in meine Brust und erdrückte mich innerlich. Ich musste zu ihm zurück. Auch wenn es vielleicht bereits zu spät war und ich mich kaum traute, ihm nach allem, was ich gesagt und getan hatte, kaum mehr unter die Augen treten konnte, aber meine Schuldgefühle trieben mich zu ihm zurück. Es war dumm und Angst vor ihm hatte ich nach wie vor. Wahrscheinlich hatte ich mit meinem Verhalten erst recht das Fass zum überlaufen und den Stein ins Rollen gebracht. Wenn ich damals doch nur geahnt hätte, dass ich zum Teil wirklich mitverantwortlich für das gewesen war, was passierte.
Ich fühlte mich immer noch wackelig auf den Beinen, als ich aufstand und loslief. Mir war schwindlig von all der Kotzerei und außerdem war mir kalt, doch das interessierte mich nicht. Ich wollte einfach nur zu ihm zurück und es irgendwie wieder gut machen. Auch wenn er meine Gefühle nicht erwiderte, so war er dennoch immer noch mein Freund, mein Teamkamerad und mein Leader. Er war alles was ich noch hatte. Meine einzige, wirkliche Bezugsperson! Irgendwo aus der Ferne vernahm ich ein Geräusch, dass dem einer Explosion gleich kam und ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Ich ahnte das Schlimmste und das Schlimmste daran war, dass meine Ahnung sich sogar bestätigen sollte. Dass er es wirklich getan hatte. Je näher ich unserem Hauptviertel kam, umso klarer wurde es mir.
Bald hörte ich sie von überall: die Geräusche der Sirenen von den Autos und D-Wheels der Security. Ich tat gut daran, mich nicht von ihnen erwischen zu lassen und rannte weiter, bis ich ihn sah.
Es war eine Straße mit mehreren, aneinander gereihten, mehrstöckigen Wohnhäusern mit äußerem Treppengeländer.
Kyousuke rannte in ein Gebäude. Einige Meter hinter ihm hörte man schon die Security ankommen und ich lief los, so schnell ich konnte.
Ein Security-Kerl kam mit seinem D-Wheel um die Ecke und wollte mir indirekt den Weg versperren, doch ich sprang recht behände über die Motorhaube des Fahrzeugs und rannte in das verlassene Etagenhaus. Ich stieß jede Tür auf, überquerte jedes Hindernis und sah in jeden Raum, bis ich ihn schließlich fand.
Kyousuke saß links von einem der Fenster, wo immer wieder das Licht der Scheinwerfer durchfiel.
Kyousuke schwieg und sah immer wieder zu dem Fenster. Von unten hörte man deutlich die Stimmen, der Security Männer, die zu wissen schienen, dass Kyousuke sich hier drin versteckte.
Ich lief zu ihm. „Kyousuke!"
Mein Herz zog sich auf eine ekelhafte Art zu zusammen, als ich ihn ansah.
Er starrte mich an. Im ersten Moment wirkte er überrascht und ich schluckte leicht, weil ich damit rechnete, er würde sich für das alles eben an mir rächen wollen, doch er tat nichts. Stattdessen sah er mich nur an und für einen Moment hatte er wieder diesen gequälten Gesichtsausdruck. Eine Mischung aus Erleichterung aber auch, als würde er sich schuldig fühlen. Als würde mein Anblick gerade ihm genauso wehtun, wie sein Anblick mir wehtat. Das war der Moment, in dem mir noch einmal wirklich bewusst wurde, dass es nie wieder werden würde, wie früher.
„Was hast du getan!?", rief ich, obwohl ich die Antwort schon kannte.
Kyousuke stand auf, packte mich am Arm und hielt mir mit der anderen Hand den Mund zu.
„Nicht so laut!", zischte er leise und zog mich in seine Ecke, wo er mich mehr oder weniger dazu nötigte, mich hinzusetzen.
Dann nahm er seine Hand von meinem Mund. Ich hustete kurz und hörte mein Herz lauter schlagen. Es schmerzte, aber dennoch hämmerte es wie wild gegen meine Brust. Ob es wegen Kyousuke oder vor Angst war, wusste ich nicht. Vermutlich von jedem etwas.
„Du bist also zu mir zurückgekehrt?", hörte ich ihn sagen. „Du willst doch bei mir bleiben?"
Ich wusste kaum, was ich darauf antworten sollte. Nur schwer bekam ich meine Zähne auseinander. „Ich... Es tut mir Leid... Dass ich dich geschlagen habe und gesagt habe, ich würde dich hassen..."
Ich musste mich arg beherrschen, nicht wieder zu weinen.
Kyousuke drückte mich einfach an sich. „Schon okay... Es tut mir auch Leid... Ich..."
Er wollte etwas sagen. Das spürte ich. Doch es kam nichts. Stattdessen drückte er mich nur an sich. „Ryoko-chan." Das war alles, was er von sich gab.
Kurz saßen wir noch da. Ich hatte meinen Kopf leicht an ihn gelehnt und für einen Moment meine Augen geschlossen. Bis ich hörte, wie Kyousuke seine Duel Disk aktivierte. Ich öffnete meine Augen wieder und vernahm Schritte.

Innerlich zog sich alles in mir zusammen. Hatte die Security einen Weg nach oben gefunden?
Doch dann klappte mir der Mund auf. Die Tür des Raumes, die ich kurz nach meinem Betreten wieder hinter mir zugemacht hatte, wurde aufgerissen und Jack und Crow standen plötzlich vor uns.
„J-Jack? Crow?", platzte es aus mir heraus. Und als ob das nicht reichte, klirrte es plötzlich laut, als Yuusei durch das kaputte Fenster gesprungen kam.
Kyousuke fing an zu lachen, was wieder einen Schauer über meinen Rücken jagte.
„Ich wusste es!", rief er plötzlich strahlend und förmlich wie ausgewechselt. „Ihr seid echte Freunde! Einfach Team Satisfaction!" Langsam stand Kyousuke auf und auch ich erhob mich.
Ich bemerkte, wie Jack mich kurz anstarrte. Sein Blick war bohrend, ganz so, als wollte er mich mit seinen Blicken dafür bestrafen, dass ich bei Kyousuke geblieben war. Dass ich damals nicht ihm hinterhergerannt war, wie er es sich vielleicht erhofft hatte. Doch er sagte nichts zu mir, sondern wandte sich nur an Kyousuke, den er nun fixierte. „Kiryuu, was hat dieser ganze Mist hier zu bedeuten?", sagte er langsam.
Auch Crow, der ebenso kurz zu mir gesehen hatte, sah nun zu Kyousuke und begann zu sprechen. „Wir sind hier, weil-", doch weiter kam er nicht, weil Kyousuke lachend auf ihn, Jack und Yuusei zulief und jeweils eine Hand auf Jacks und aufs Yuuseis Schulter legte, der sich an Crows linke Seite gestellt hatte.
„Die ganze Gang ist wieder zusammen!"
Er lachte, während ich immer noch beinahe wie angewurzelt da stand. Sein Blick hatte sich wieder verändert. „Ist das nicht großartig, Ryoko-chan!? Team Satisfaction ist wieder vereint!", wandte er sich an mich und packte auch mich kurz an den Schultern. „Das hast du dir doch auch gewünscht, nicht wahr?"
Er lachte erneut, dass ich eine Gänsehaut bekam und sein Gesichtsausdruck war wieder der, eines irren Psychopathen.
Er ließ von mir ab und ging zum Fenster, aus diesem er nach unten sah. „Das ist definitiv das letzte Duell von Team Satisfaction!", rief er in Richtung der Security, die immer noch unten stand.
Er lachte und lachte und ich kniff meine Augen zusammen und hielt mir die Ohren zu, weil ich dieses irre Gelächter kaum mehr ertragen konnte. Mein Körper zitterte schon wieder und ich hatte schon wieder das Bedürfnis, mich übergeben zu müssen. Wann hörte dieser Alptraum nur endlich auf? Wann würde ich endlich daraus aufwachen und feststellen, dass es nicht echt war, was sich hier gerade abspielte.
Dass dieser irre Kerl dort, nicht der echte Kiryuu Kyousuke war.
Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter und ahnte, dass es Jack war, der trotz allem wohl einen kläglichen Versuch startete, mich trösten zu wollen.
Aber in einer Situation wie dieser brachte mir das auch nichts.

Kurz öffnete ich meine Augen wieder. Kyousukes hysterisches Lachen war ein wenig leiser geworden und Jack hatte meine Schulter los gelassen und war stattdessen mit Yuusei und Crow zu dem einzigen Tisch gegangen, der noch in dem Raum stand. Alle drei legten sie ihre Duel Disk ab und ich wusste, dass sie Kyousuke damit klar machen wollten, dass sie keine Lust auf dieses „letzte Duell" hatten.
Jack sah kurz noch einmal zu mir, als hoffte er, ich würde es ihnen gleich tun, doch ich rührte mich nicht.
Kyousuke war im selben Moment verstummt und sah die anderen Jungs ungläubig an. Sofort lief er zu dem Tisch. „Hey, was macht ihr da!? Ich dachte, wir kämpfen zusammen!?"
„K-Kyousuke..." Ich würgte es fast hervor, doch er beachtete mich nicht einmal wirklich in diesem Moment. „Kämpfen wir nicht unser letztes Duell!?", redete er weiter auf die Anderen ein. Seine Stimme wurde wieder aggressiver.
„KYOUSUKE!" Ich hatte alle meine Kraft zusammen genommen, um mir Gehör zu verschaffen. Kyousuke starrte mich an. „Was!? Willst du auch einfach aufgeben!?", fauchte er mich regelrecht an, sodass ich einige Meter zurück stolperte und mich nicht traute, noch mehr zu sagen.
„Kiryuu, jetzt mach doch mal die Augen auf!", sagte Jack streng.
„Du hast verdammt nochmal keine Chance, wenn du dich mit der Security anlegst.", sagte nun auch Crow in einem ernsten Tonfall.
Doch Kyousuke schien immer noch nicht verstehen zu wollen. „Leute-", fing er an, aber Yuusei unterbrach ihn in einem ruhigen Ton.
„Kiryuu. Hau mit Ryoko von hier ab."
Aber Kyousuke sah ihn nur an und lachte wieder. „Das würde mich garantiert nicht befriedigen!"
Ich sagte nichts mehr. Es hatte keinen Sinn. Selbst Yuusei redete bei ihm gegen eine Wand und ich ertrug es kaum noch. Hatte damit zu kämpfen, dass mir schon wieder die Galle hochkam.
Warum wollte er nicht vernünftig werden? Warum!?
„Stellt euch doch mal vor, wir besiegen die Security und regieren Satellite zum ersten Mal wirklich!", redete er weiter.
Ich griff mit meiner rechten Hand nach meinem linken Arm und starrte zu Boden. Erneute Tränen, von denen ich geglaubt hatte, sie alle längst weg geweint zu haben, bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.
Kyousuke war verrückt geworden. Das war mir nun wirklich klar. Er hatte eindeutig den Verstand verloren und ich war mit daran schuld! Da war ich mir sicher. Nur weil ich all diese Dinge gesagt und getan hatte, war er vollkommen verrückt und absolut Irre geworden. Ich hörte seinem irren Gerede kaum mehr zu. Hörte nicht einmal mehr, was die Anderen gerade sagten. Es war mir auch egal geworden. Mein Kopf sagte mir, dass ich von hier weg musste, aber mein Herz hielt mich an Ort und Stelle. Dieser dumme, naive Teil, der einfach nicht loslassen konnte. Der einfach nicht glauben konnte, dass es vorbei war.

Erst, als ein erneuter explosionsartiger Knall ertönte, sah ich wieder auf. Kyousuke schien wieder in Richtung Fenster gegangen zu sein.
„Die Security fängt an, anzugreifen!", sagte Yuusei. Und das war der Startschuss für den eigentlichen Alptraum.
Binnen weniger Minuten kamen unzählige Security-Männer an und uns allen blieb nur die Flucht aus dem Fenster des zweiten Stocks, in dem wir uns gerade befanden. Wir konnten nichts anderes als rennen.
Draußen regnete es mittlerweile in Strömen.
Mit den Security-Fritzen auf den Fersen rannte ich, was das Zeug hielt und flitzte durch die Straßen. Die Anderen hatte ich längst aus den Augen verloren und selbst, Kyousuke, dem ich nachgelaufen war, war aktuell außerhalb meiner Sichtweite. Der Regen tat dazu sein Übriges. Ich lief weiter, bis ich ein lautes Krachen in einer der Gassen vernahm und dort hin rannte.
Das Bild, das sich vor meinen Augen abspielte, hatte etwas von einem Horrorfilm. Auf dem Boden lag einer der Männer der Security, scheinbar bewusstlos und Blut sickerte unter seinem Helm hervor. Das D-Wheel schien in die Wand eines Gebäudes gefahren worden zu sein und ich ging davon aus, dass Kyousuke versucht hatte, auf das D-Wheel draufzuspringen und den Security-Kerl herunterzureißen und das der Mann dadurch die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte und er und Kyousuke dabei von dem D-Wheel geschleudert worden waren. Während Kyousuke aber glimpflicher davon gekommen war, als der Mann. Und Kyousuke stand über dem bewusstlosen Mann. In den Händen den Knüppel des bewusstlosen Security-Typen und bereit auf diesen einzuschlagen. „Ich muss die Security vernichten...", hörte ich ihn sagen und wollte zu ihm. „KYOUSUKE, NI-", fing ich an, aber in diesem Moment kam schon Yuusei an und stürzte sich auf ihn. Kyousuke ließ das Brett fallen und beide rollten auf dem vom Regen völlig nassen Boden herum, bis sie zum Stehen blieben und Kyousuke unter Yuusei lag, der ihn festhielt.
„Lass mich los, Yuusei! Ich muss die Security vernichten!", fauchte Kyousuke immer wieder.
„Kyousuke, es ist vorbei! Bitte! Jetzt hör doch bitte auf!", rief ich wieder verzweifelt. Aber meine Worte gingen mehr oder weniger im Prasseln des Regens unter, als auch schon Jack und Crow dazu kamen.
Yuusei ging von Kyousuke runter, der daraufhin von Jack und Crow geschnappt wurde und ins Innere von einem der umstehenden Gebäude verfrachtet wurde, damit die Security ihn und auch uns nicht entdeckte.
Mittlerweile hatte ich wieder aufgehört zu weinen, aber die Übelkeit war immer noch da und mein Herz fühlte sich schwer an, wann immer ich zu Kyousuke sah, der brüllte und schnaufte und einfach nicht begreifen wollte, dass er keine Chance hatte.
Yuusei, der etwas weiter vorne neben einem kaputten Fenster stand, sah heimlich nach draußen, wo die Autos der Security weiterhin mit lauten Sirenen durch die Straßen fuhren.
„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bevor sie uns finden werden.", sagte Jack.
Yuusei sah ihn an und dann zu uns. „Passt auf Kiryuu auf.", sagte er schließlich und verließ das Gebäude.
Ich sah ihm nach und fragte mich in diesem Moment, ob wir Yuusei je wieder sehen würden.
Ich konnte von hier aus hören, wie er mit den Security-Männern sprach, konnte aber nicht wirklich genau heraushören, was er sagte. Aber ich war mir sicher, dass er versuchen wollte uns zu helfen. Doch die Hilfe kam längst zu spät.

Plötzlich wurde auch dieses Gebäude von Securitys gestürmt. Sie zwangen Jack und Crow Kyousuke loszulassen. Ein paar andere packten Kyousuke daraufhin.
Es fühlte sich nun wirklich wie in einem Alptraum an. „Lasst ihn los! Lasst Kyousuke gehen! LASST IHN!", brüllte ich und wollte auf die Männer zustürmen. Aber ein starker Arm hielt mich fest. „LASS MICH LOS! JACK! LASS MICH! KYOUSUKEEEEEE!!!"
Ich wehrte mich vehement, aber Jack zog mich nach draußen, zusammen mit Crow und einigen anderen Securitys, die darauf aufpassten, dass keiner von uns abhaute.
Draußen schlug ich gegen Jacks Brust. Immer und immer wieder. „LASS MIIIICH! LASS MICH GEHEN!"
Tränen liefen über meine Wangen und ich brüllte mir die Seele aus dem Leib. Konnte nur zusehen, wie die zwei Männer Kyousuke aus dem Gebäude schleiften.
Yuusei schien irgendwie zu versuchen, auf einen der wohl höher gestellten Security-Mitglieder einzureden, aber ich hörte nicht wirklich zu. Ich wollte nur, dass diese Kerle meinen Kyousuke losließen. Das sie meinen Freund gehen ließen.
„JACK, LASS MICH LOS!" Ich zappelte nur noch mehr, so dass Jack mich erst recht festhalten musste.
Der verletzte Beamte wurde gerade auf einem Wagen vermutlich zum nächstbesten Krankenhaus gefahren oder so und das einzige, was ich hören konnte war, wie der Haupt-Security-Fritze davon redete, dass wir Kyousuke nie wieder sehen würden.
Ich schaltete völlig ab. „LASS MICH!", fauchte ich erneut und schaffte es, Jack meinen Ellenbogen in den Magen zu rammen und mich loszureißen. „NIEMAND SPERRT KYOUSUKE EIN!" Ich wollte losrennen, aber nun hatte Crow mich in die Mangel genommen. „Ryoko-chan, hör auf!"
Ich konnte sehen, wie sie Kyousuke zu ihrem Transportwagen für Sträflinge führten und wehrte mich erst recht, als ich sah, wie Kyousuke sich umdrehte. „KYOUSUKEEE!"
Doch sein Blick galt nicht mir. Er war starr auf Yuusei gerichtet, der immer noch neben diesem Typen stand. Der Security-Chef klopfte Yuusei auf die Schulter. Es war genau dieses Bild, dieser Anblick, der zu diesem elendigen Missverständnis führen würde.

„YUUSEI!" Kyousuke schaffte es, noch bevor die Türen hinter ihm zugemacht werden konnten, noch einmal sich komplett umzudrehen und wollte auf Yuusei loszugehen. „Du hast mich verraten!? Du hast mich an die Security verkauft!?", fauchte er, aber die beiden Securitys packten ihn erneut, bevor Yuusei auch nur eine Chance hatte, irgendwas zu erklären. So viel bekam ich in der Schockstarre mit, die mich nun gepackt hatte, nachdem meine Stimme komplett versagt hatte.
Sie warfen Kyousuke einfach in das Innere des Transportwagens und knallten die Türen zu.
Dann fuhren sie davon. Ich konnte Kyousukes Schreie noch ewig lange hören, so kam es mir vor. Ich zappelte wieder, krächzte mit dem letzten Rest Stimme, dass ich noch besaß immer wieder Kyousukes Namen.
Mittlerweile hatte Jack mich wieder gepackt, weil es für Crow wohl unmöglich geworden war, mich weiter festzuhalten.
Langsam aber ließ er mich los, nachdem auch die letzten Wagen der Security abgezogen waren.
Yuusei schrie Kyousuke auch nach, aber es interessierte mich nicht mehr.
Ich sah ihn nicht einmal mehr an. Ich stand nur da. Einfach nur da. Bis Jack wieder meine Schulter berührte. „Ryoko..." Ich drehte mich zu ihm um und verpasste ihm einen, meiner Meinung nach, extrem kräftigen rechten Haken.
„ICH HASSE EUCH ALLE!!! ICH HASSE EUCH!" Das war das Letzte, was ich noch fauchte, bevor ich einfach losrannte.
Mir war es egal, wohin ich lief, mir war es egal, was mit den anderen war. Mir war egal, was Yuusei getan hatte oder versucht hatte zu tun, mir war egal, ob Jack und Crow es nur gut gemeint hatten. Meinetwegen konnte jeder von ihnen in diesem Moment einfach nur verrecken! Ich würde Kyousuke nie wieder sehen. Ich würde nie wieder bei ihm sein können. Ich würde nie wieder seine Stimme hören können, nie wieder in seine Augen gucken können, nie wieder seine Umarmungen spüren können, nie wieder hören können, wie er mich „kleiner Teufel" nannte. Nie wieder. Ich würde ihn nie wieder sehen!
Ich lief noch eine ganze Weile, bis ich vor der verlassenen Oberschule zusammenbrach und mich erneut übergab.
Ich zitterte, hyperventilierte so stark, dass ich zu ersticken glaubte. Meine Brust tat höllisch weh. Mein Magen schmerzte. Und ich heulte und heulte und heulte. Es wurde nicht besser.
Nichts würde je mehr besser werden.

Ich saß lange da. Hatte mein Leben nun überhaupt noch einen Sinn?
Wie von Geisterhand griff ich in meinen Stiefel zu dem Klappmesser und starrte es an. Es wäre so einfach, meinem Leben ein Ende zu setzen. Viel zu verlieren hatte ich nicht.
Doch ich konnte es nicht. Kyousukes Gesicht tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Seine Stimme. Wie er mir immer Mut gemacht hatte. Es brachte mich zwar nur noch mehr zum Weinen, aber es hielt mich auch davon ab, etwas Dummes zu tun.
„Aber das ist alles meine Schuld, du Idiot!", rief ich heulend in die Nacht. „Wenn ich nicht.... Dabei... liebe ich dich doch so sehr..."
Ich grub meine Finger in den matschigen Boden und verharrte noch eine Weile. Nur langsam konnte ich aufstehen, nahm das Klappmesser und stopfte es in meinen Stiefel zurück.
Ich sah hoch, zu dem Gebäude und schlurfte darauf zu.
Stieg die Treppen des Außengeländers hoch und nach oben in das Stockwerk, wo die modrige Couch stand. Sie stand da, wie immer. Doch sie wirkte nicht mehr einladend.
Vollkommen erschöpft und ausgelaugt ließ ich mich auf sie fallen und zog die durchlöcherte Decke über mich.
Sie erinnerte mich an meine erste Nacht hier. Damals. Als Kyousuke mich mitgenommen hatte.
Damals. Dieses Wort fühlte sich noch viel grausamer an.
Ich kramte das Bild meiner Mutter hervor und strich darüber. Doch nicht einmal das Gesicht meiner Mutter konnte den Schmerz vergehen lassen. Es erinnerte mich nur an den Tag, an dem Kyousuke, trotz seiner Krankheit, losgezogen war und es gefunden hatte.
Alles hier erinnerte mich an Kyousuke. Seine Präsenz, seine Anwesenheit, schienen immer noch diesen Ort zu erfüllen.
Und ich weinte mich in den Schlaf und hoffte inständig, dass wenn ich aufwachte, alles nur ein Alptraum gewesen war. Dass Kyousuke noch da war und mich wie immer mit einer Dose Lemon-Soda und Melonenbrötchen wecken würde... So, wie immer...


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