Ich vernahm eine Stimme.
Sie zuzuordnen, fiel mir schwer.
Das Gesicht zu der sie gehörte, war nicht zu erkennen.
„Hast du dir weh getan?"
Alles verschwamm vor meinen Augen.
„Was machst du hier so allein? Das ist kein Ort für ein kleines Mädchen. Hier treiben sich böse Leute herum."
Wo war ich hier noch einmal?
Wie weit war ich von Zuhause weg?
Eine Hand. Ich nahm sie zaghaft.
Mir wurde hoch geholfen.
Ein Lächeln, das mir geschenkt wurde.
„Ryoko! Was treibst du dich da herum!? Deine Mutter macht sich Sorgen! Komm sofort her!"
Das Lächeln verschwand. Meine Hand wurde losgelassen.
Ich wollte nicht gehen. Ich wollte da bleiben und spielen!
Meine Augenlider zuckten. Nur schwer, konnte ich sie öffnen.
Es war morgens. Die Herbstsonne ließ ihre Strahlen schwach durch das zerbrochene Fenster scheinen und kündigte einen schönen Tag an.
Noch ein wenig benommen griff ich mir an den Kopf und fasste mir an meine Schläfe.
Was war das für ein Traum?
Wie eine Erinnerung an etwas längst Vergangenes, das ich verdrängt hatte.
Ich versuchte mich an das Gesicht zu erinnern, aber es gelang mir nicht.
Dafür klang die Stimme meines Erzeugers immer noch in meinem Ohr.
Wie viel Zeit mochte vergangen sein? Bestimmt waren es jetzt schon gut zwei Wochen, seit dem Vorfall am Strand und der Sache mit dem Bild meiner Mutter.
Kyousuke war wieder fit.
Eine echte Erleichterung für mich. So musste ich mir zumindest sein ständiges Gejammer nicht länger anhören.
Kranke Jungs waren echt anstrengend.
Kyousuke war nicht da.
In der Zeit, wo er krank gewesen war, hatten wir die Nächte zusammen auf der Couch verbracht. Er auf der einen Seite, ich auf der Anderen.
Eine merkwürdige, neue Nähe.
Ein Seufzen entfuhr meiner Kehle. Kopfschüttelnd wollte ich gerade aufstehen, als Kyousuke wieder kam. Mit zwei Tüten bewaffnet.
„Guten Morgen, Ryoko-chan! Ich hoffe, ich hab dich nicht geweckt!", rief er fröhlich.
Beinahe ein bisschen zu fröhlich.
Ich schüttelte erneut den Kopf und fragte mich, was wohl in den Tüten war.
Die Frage beantwortete sich jedoch recht schnell von selbst: Limonade und Melonenbrötchen.
Kyousuke setzte sich zu mir, nahm sich eine Dose und drückte auch mir eine in die Hand. „Lass es dir schmecken. Wir haben heute viel vor."
Sein Elan schien heute besonders groß zu sein.
„D-Danke...", erwiderte ich mit einem immer noch leicht verwirrten Gesichtsausdruck.
„Was steht denn an?"
Kyousuke trank einen großen Schluck. „Na was wohl? Schon vergessen? Heute geht's zum nächsten Sektor."
Er wuschelte mir durch die Haare und grinste breit.
„Ach ja. Stimmt." Ich fühlte, wie ich errötete, aber sagte mal ausnahmsweise nichts.
„Ich geh nun erst einmal duschen. Sagst du den Anderen Bescheid, falls sie schon eher da sein sollten?", fragte mich Kyousuke schließlich, nachdem er fertig gegessen hatte.
Ich nickte verlegen. „Klar."
Wieder wuschelte er mir durch die Haare. „Danke."
Sein Lächeln ließ mein Herz schneller schlagen und das Bauchkribbeln, dass ich schon seit dem Aufstehen verspürte, verstärkte sich.
Ich sah ihm hinterher und aß den Rest meines süßen Gebäcks, in der Hoffnung, dieses vermaledeite Kribbeln würde endlich mal ein Ende finden.
Doch darauf konnte ich lange hoffen.
Ich trank einen Schluck von meiner Limonade und blickte zu dem Bild meiner Mutter.
Es stand nun immer auf dem Tisch.
Kyousuke war so nett gewesen, die Jungs darauf hinzuweisen, mich nicht auf das Bild anzusprechen. Crows Neugierde war manchmal unerträglich.
Allgemein hatte ich das Gefühl, als hätte uns die Sache mit dem Bild näher zusammen gebracht.
Die Distanz, die zwischen uns immer noch geherrscht hatte, war geringer.
Zwar gab es immer noch genug Barrieren, aber die Ersten waren nach all der Zeit und den Ereignissen schon eingestürzt.
Ob das gut oder schlecht für mich war, vermochte ich nicht zu sagen.
Irgendwie war einfach alles plötzlich anders. Chaotisch.
Ich hatte mich noch nie so gefühlt, wie jetzt.
Jedes Lächeln von ihm, gab mir das Gefühl, als würde eine ganze Spinnenarmee in meinem Bauch Party feiern.
Der Klang seiner Stimme ließ mein Herz schneller schlagen und seine Berührungen bereiteten mir eine Gänsehaut. Eine Gänsehaut, die sich jedoch keineswegs unangenehm anfühlte.
Mir gingen so viele Dinge durch den Kopf, dass ich gar nicht mehr wusste, wo mir dieser stand.
Ich kannte Kyousuke doch gerade einmal ein paar Wochen!
Ich wollte nicht, dass das passierte, was gerade passierte.
Dennoch. Sich dagegen zu wehren fiel mir immer schwerer.
Aber eingestehen würde ich es mir nie! Niemals!
Während ich mit leicht glasigem Blick meine Getränkedose in der Hand anstarrte, ertappte ich mich sogar bei dem Gedanken, ihn mir unter der Dusche vorzustellen.
Halt! Stop! Nein!
Über meine eigenen Gedanken schockiert, haute ich meinen Kopf gegen die Couchlehne.
Raus aus meinem Kopf!
Wie lange willst du es noch leugnen?, hörte ich das sprichwörtliche imaginäre Teufelchen zu mir sagen und schubste es gedanklich von meiner linken Schulter.
„Für immer am besten.", sagte ich zu mir selbst.
„Was 'Für immer am besten?'", hörte ich Kyousukes Stimme und sah auf.
Sofort stieg mir die Hitze ins Gesicht.
Kyousuke stand mit freiem Oberkörper vor mir, als wäre es das Normalste auf der Welt. Mit einem Handtuch rubbelte er sich die immer noch nassen Haare trocken. Wenigstens seine Jeans hatte er schon an. Zum Glück.
„Wusste gar nicht, dass du Selbstgespräche führst.", sagte er grinsend, ohne groß auf meinen verdatterten Gesichtsausdruck zu achten. „Ach ja. Was ich fragen wollte... Hast du mein T-Shirt gesehen?"
„Eh.. Du... Du kannst hier doch nicht halbnackt vor meiner Nase herumlaufen!", platzte es aus mir heraus.
Ich musste gerade aussehen, wie eine überreife Tomate.
Kyousuke sah mich schief an und lachte leicht.
„Was denn? Sag bloß, du hast noch nie einen Mann oben ohne gesehen?"
Er kniff mir kurz in meine rechte Wange und zog daran. „Ist mein Anblick etwa so schrecklich?"
Nein. Ganz im Gegenteil. Das war ja das Problem!
Ich schnappte nach Luft und schlug seine Hand weg. „H-Halt die Klappe!"
Dieser Anblick war wie ein Unfall. Ich wollte nicht hinsehen, aber ich konnte nicht anders, als zu gaffen.
„Also, hast du mein T-Shirt gesehen?", fragte er mich erneut, doch ich antwortete nicht gleich.
Ich war viel zu hypnotisiert um noch irgendetwas Vernünftiges hervorzubringen.
Ich hörte Kyousuke seufzen. „Vergiss es."
Es dauerte eine ganze Weile bis ich mich endlich traute, erneut zu sprechen.
„Oh d-dein T-Shirt.... Eh... hast du es nicht angehabt, als du duschen bist?"
Kyousuke, der mittlerweile auf dem Boden krabbelte und unter der Couch suchte, sah zu mir hoch. „Ich rede von meinem Ersatz-T-Shirt. Brauch ja auch mal was Frisches."
„Ehm..." Ich überlegte, damit er nicht noch ewig auf allen Vieren auf dem Boden herumsuchen musste. Und vor allem damit ich endlich aufhören konnte, ihn anzustarren.
„Ah, da ist es doch!"
Seine Stimme riss mich aus meiner gedanklichen Suche.
Er war aufgestanden und hielt mir sein anderes rotes Shirt vor die Nase.
Ein Grinsen huschte erneut über seine Lippen.
„Du bist ja immer noch so rot im Gesicht."
Die Hitze in meinem Gesicht verstärkte sich. „Halt die Klappe und z-zieh dir e-"
„Oh, stören wir gerade?", wurde ich von Jacks teils verwunderter, teils belustigter Stimme in meiner Antwort unterbrochen.
„Schnauze! D-Das ist n-nicht so w-wie du-"
„Ah, Jack. Gut dass du hier bist. Crow, Yuusei."
Ich gab ein Schnauben von mir und beobachtete nur noch, wie Kyousuke sich sein Shirt überzog, dann drehte ich mich mit verschränkten Armen weg.
„Hmpf. Idioten..."
„Dachte schon, wir kommen ungelegen.", hörte ich Jack sagen.
„Ach, nein nein. Ich hab nur mein T-Shirt gesucht. War duschen."
„Mit Ryoko-chan?", konnte ich nun auch Crows belustigte Stimme vernehmen, drehte mich mit einem tödlichen Blick zu ihm um und warf ihm das alte, blaue Kissen ins Gesicht, welches neben mir lag.
Kyousuke, der wohl gerade hatte antworten wollen, blinzelte verdutzt, als das Kissen an ihm vorbeiflog, und musste lachen. „Du solltest sie nicht sauer machen, Crow."
Ich gab ein Grummeln von mir, schnappte mir das Bild meiner Mutter und stand von der Couch auf.
„Jungs sind solche Idioten!", gab ich fluchend von mir, während ich an Yuusei vorbeiging.
Mein Weg führte mich nach unten, aus dem Unterschlupf hinaus.
Wütend kickte ich eine alte Plastikflasche vor mich her, während ich mit den Händen in den Hosentaschen losmarschierte.
Ich wusste nicht wohin ich lief und ehrlich gesagt war es mir in diesem Moment auch egal.
Jungs konnten so blöd sein!
Zähneknirschend überlegte ich, ob es nicht doch besser war, einfach wieder zurück zum Schrottplatz zu gehen und wieder in meinem selbstgebauten Zelt zu hausen.
Diese Kerle würden mich doch eh nie für voll nehmen.
Ständig musste ich mir die Sticheleien von Jack anhören oder Crows Witze.
Yuusei war zwar immer nett zu mir, aber hielt sich meistens raus. Außer, es ging um etwas wirklich Wichtiges.
Und Kyousuke... Allein bei dem Gedanken an ihn, zog sich mein Magen erneut zusammen und ich schüttelte den Kopf.
Für ihn war ich im Grunde doch nur ein armes, kleines Mädchen, dass seinen Beschützerinstinkt geweckt hatte.
Das eben, hatte es doch nur zu deutlich gezeigt.
Er würde mich doch auch nie wirklich für voll nehmen. In mir nie das sehen, was ich war.
Aber... was war ich eigentlich?
Ich griff mir gegen die Stirn.
Ein kleines, vierzehnjähriges Mädchen, sagte die leise Stimme in meinem Kopf. Du bist ein kleines Mädchen.
Ich musste an die Angst und die Besorgnis in seinen Augen denken, nachdem er mich aus den Fluten gerettet hatte. Diesen Blick würde ich nie wieder vergessen.
Der sonst so mutige und furchtlose Kiryuu Kyousuke, der Angst gehabt hatte, dass ich tot wäre.
Ich!
Er hatte sich Sorgen um MICH gemacht. Sein Leben für mich riskiert und war deswegen danach sogar noch fast eine Woche lang krank gewesen.
Du bildest dir zu viel ein. Das hätte er für jeden anderen auch gemacht, sagte die Stimme erneut und ich gab ein lautes Seufzen von mir.
Ja. Er hätte es für jedes Mitglied von Team Satisfaction gemacht.
Ich brauchte mir auf meine Rettung nichts einzubilden.
Genauso wenig darauf, dass er das Bild meiner Mutter für mich gefunden hatte.
Das war eh nur durch Zufall passiert.
Es war einfach Kyousukes Art, sich den Arsch für all die Leute aufzureißen, die ihm wichtig waren.
Aber das würde dennoch heißen, dass ich ihm wichtig war, oder?
Ja. So wie Yuusei, Crow und Jack ihm auch wichtig waren. Immerhin waren wir ein Team.
Ich lächelte schief. Ein Team. Irgendwie hörte sich das immer noch merkwürdig an.
Ich trat die Flasche gegen einen umgeknickten Laternenmast.
Warum zur Hölle dachte ich eigentlich die ganze Zeit so bescheuerte Sachen?!
Es konnte mir doch egal sein, was Kyousuke über mich dachte, wie wichtig oder unwichtig ich für ihn war! Es konnte mir egal sein. Alles konnte mir egal sein. Alles KÖNNTE mir egal sein, wenn...
Erst jetzt realisierte ich, dass ich mal wieder weinte und mit meiner rechten Faust immer wieder gegen die metallene Wand eines alten Müllcontainers schlug, der am Straßenrand stand.
„Idiot! Idiot! Idiot!"
„Willst du dir die Hand brechen?"
Diese Stimme...
Ich traute mich nicht, mich umzudrehen.
Seine Hand hielt mein rechtes Handgelenk umklammert, so dass ich nicht weiter zuschlagen konnte.
„Wolltest du schon wieder weglaufen?"
Ich gab keine Antwort.
Kyousuke ließ mein Handgelenk los und dann fühlte ich seine Arme, die sich um mich legten und mich zu ihm zogen.
Mein Herz schlug schnell.
„Dummerchen. Es tut mir Leid, wegen eben. Ich wollte dich nicht ärgern und dir auch nicht ins Wort fallen."
Seine sanfte Stimme erklang direkt neben meinem Ohr und ich versuchte, das blöde Herzklopfen zu ignorieren.
Trotzig biss ich mir auf die Unterlippe. „Daran hättest du vorher denken sollen...", gab ich schließlich nuschelnd zur Antwort.
„Es tut mir wirklich Leid..."
Zaghaft löste ich mich aus seiner Umarmung und drehte mich zu ihm um.
Eigentlich wollte ich nicht in seine Augen sehen, aber ich tat es trotzdem.
Da war er wieder. Dieser Blick. Der Blick, der mein Herz schwer werden ließ und mich sämtlicher Worte beraubte.
„Kyousuke-kun..."
Für Sekunden blieb mein Fokus an seinen Lippen hängen, aber ich drehte mich instinktiv wieder weg.
Versuchte, diese Gefühle, die in mir aufkamen, mit einem Kopfschütteln zu verdrängen.
„Ryoko-chan. Kommst du wieder mit zurück?"
„Du würdest mir doch eh keine andere Option lassen, oder?", gab ich zurück und versuchte, dabei so grantig wie immer zu klingen.
Doch irgendwie gelang mir das nicht so recht.
Ich hörte ihn leise lachen. „In der Tat. Also komm. Lass uns zurückgehen."
Ein Nicken meinerseits war die Antwort und ich folgte ihm zurück.
Ich hätte eh nicht ‚Nein' sagen können. Nicht bei ihm.
„Zu welchem Sektor geht es eigentlich?", fragte ich nach einer Weile.
„Ich dachte an Sektor T. Immerhin hab ich ja mal gesagt, dass wir uns erst einmal um die ganzen äußeren Bezirke kümmern und uns dann nach innen vorarbeiten.", bekam ich als Antwort.
Kyousukes Stimme wirkte wieder fröhlicher und er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf, während er vor mir herlief.
Manchmal fragte ich mich ja, was für ein tieferer Sinn hinter all dem stecken sollte.
Zumindest erkannte ich nicht wirklich etwas Weltbewegendes dahinter, durch ganz Satellite zu laufen und alle anderen Duel Gangs zu zerschlagen. Na klar. Irgendwo brachte es vielleicht auch etwas Sicherheit mit sich. Immerhin gab es auch viele Kleinkriminelle unter einigen Duel Gangs, aber so richtig ersichtlich war es für mich dennoch nicht, warum wir das taten.
Immerhin gab es für dieses Problem ja eigentlich die Security.
Ich hatte Kyousuke schon mal gefragt, was es denn für einen Sinn hatte, aber eine richtige Antwort bekam ich nicht. Nur dieses unergründliche Lächeln.
„Wir können nicht von hier weg. Also müssen wir eben zusehen, dass wir einen anderen Weg finden, der uns erfüllt. Wir alle brauchen doch Ziele und Träume. Deswegen ist es unser Ziel, eines Tages über jedes einzelne Viertel von Satellite zu herrschen."
Das war alles, was er mir immer zu sagen pflegte.
Irgendwie klang es ja fast ein wenig übertrieben. Aber im Grunde hatte Kyousuke ja auch recht.
Wir lebten hier in Satellite. Abgeschnitten von der großen Stadt, für deren Einwohner wir nicht mehr waren, als Abschaum oder Müll.
Für uns gab es keine großartigen Optionen.
Entweder, man fristete sein Leben hier auf der Straße, hungernd und vor sich hin vegetierend, so wie ich es getan hatte, arbeitete sich in der Fabrik, beim Recyceln des Mülls aus der Stadt die Finger wund oder aber, man nahm sich etwas so hochtrabendes vor, wie Kyousuke und hatte zumindest eine Perspektive.
Ich hatte Jack jetzt schon oft sagen hören, dass Kyousuke für sie alle wie ein Retter in der Not gewesen war. Er hatte allen Hoffnung gegeben und einen Lebenssinn.
Und zum ersten Mal wurde auch mir schlagartig bewusst, dass ich, seit ich ihm begegnet war, endlich einen Sinn in meinem Dasein gefunden hatte.
Kyousuke hatte auch mir Hoffnung gegeben.
Jack, Crow und Yuusei saßen noch auf der Couch, als wir zurückkamen.
„Ah, du hast sie wieder eingefangen.", sagte Jack und fixierte mich kurz mit seinen amethystfarbenen Augen.
Ich erwiderte seinen Blick mit einem Schnauben.
„Ich bin nur wieder mit, weil ihr Jungs ohne mich doch scheinbar vollkommen aufgeschmissen wärt.", behauptete ich einfach, obwohl das so sicher gar nicht stimmte.
Aber ich würde mir sicher nicht die Blöße geben, die Wahrheit zu sagen.
„Wer's glaubt, wird selig.", antwortete Jack trocken und verschränkte seine Arme.
Ich streckte ihm einfach die Zunge raus.
Crow trat auf mich zu und entschuldigte sich bei mir für den blöden Witz.
„Ach. Schon gut.", antwortete ich und sah zu Yuusei, den ich vorhin nicht einmal begrüßt hatte.
Das holte ich nun zumindest mit einer Entschuldigung meinerseits nach und warf mich dann einfach mit auf die Couch.
Kyousuke grinste mir zu und blieb stehen.
„So gefällt mir das schon besser." Er streckte sich kurz. „Also. Wenn alle soweit bereit sind, können wir ja gleich schon losgehen. Ich denke, ein Überraschungsangriff wäre dieses Mal von Vorteil."
Ich nickte zusammen mit den Anderen.
Nach und nach standen wir wieder auf.
Ich trank noch den letzten Schluck Limonade aus meiner Dose und überprüfte noch einmal, ob mein Deck vollständig war.
Sektor T war ein sehr unangenehmer Ort und es war bereits später Nachmittag, als wir ihn erreicht hatten. Die Gegend hier wirkte noch verfallener und maroder, als der Sektor in dem ich zuletzt gehaust hatte.
Es roch überall furchtbar vergammelt und die Häuser, die hier standen, waren zum Teil so eingestürzt, dass sie nicht einmal mehr begehbar waren.
Es war nur schwer vorzustellen, dass hier überhaupt noch irgendwelche Menschen lebten.
Kyousuke lief voraus und führte uns in eine Seitengasse.
Durch die kleine Passage hindurch ging es weiter.
Der vermoderte Geruch wurde zunehmend stärker.
Jack hatte mal wieder angewidert das Gesicht verzogen und selbst Crow hielt sich die Hand vor den Mund. „Wo führst du uns hin, Kiryuu? Hier riecht es, wie in einem alten Leichenkeller."
Kyousuke sagte jedoch nichts.
Yuusei, der neben mir lief, schwieg auch lieber. Aber das war nichts Neues bei ihm. Er war nicht allzu gesprächig, wie ich schnell festgestellt hatte.
Als wir unser Ziel jedoch letztendlich erreicht hatten, wusste ich auch, woher der Geruch kam.
Es war ein alter Friedhof, der vor uns lag.
Schon seit Jahren unbenutzt und total verwildert.
Das eiserne Tor war rostig und verbogen. Das Schloss lag am Boden, so dass man ungehindert hinein konnte.
Da Herbst war, war es mittlerweile schon ziemlich dunkel, sodass der Anblick noch ein wenig schauriger wirkte. Wie in einem Horrorfilm.
„Ein Friedhof?", meldete sich Yuusei endlich mal zu Wort.
Kyousuke drehte sich zu ihm um und nickte. „Hier treibt sich Team Zombie herum. Unsere nächsten Gegner."
Ich schluckte. Zombie. Das klang ja mehr als vielversprechend.
„Und wie sieht der Plan aus?", fragte Jack.
„Wir teilen uns auf. Der Friedhof hat neben diesem noch drei weitere Eingänge. Ryoko-chan und du nehmt euch den West-Eingang vor. Crow, du kommst durch den Ost-Eingang, Yuusei durch den Nord-Eingang und ich... werde gleich hier durchgehen. Laut meinen Informationen trifft sich Team Zombie immer in der Mitte bei einem kleinen Teich."
Links neben mir, verdrehte Jack wieder die Augen. „Warum schon wieder mit der Kleinen?"
Auch ich gab ein genervtes Seufzen von mir, funkelte Jack an und wandte mich dann an Kyousuke. „Echt mal! Warum immer mit diesem Idioten!? Kann ich nicht mit dir gehen?"
Kyousuke drehte sich zu mir. Eine Weile sah er mich an, als überlegte er tatsächlich, mich mit sich zu nehmen. Doch dann schüttelte er den Kopf. „Ihr zwei müsst immer noch lernen, etwas besser miteinander auszukommen. Immerhin sind wir ein Team."
Ich verschränkte meine Arme. Wirklich Lust darauf hatte ich nicht.
Kyousukes Hände auf meinen Schultern brachten mich dazu, aufzusehen.
„Beim nächsten Mal kommst du mit mir mit.", sagte er und lächelte mich aufmunternd an.
Ein Blick in seine Augen. Hitze, die langsam wieder in meine Wangen kroch. Mein dummes Herz.
Ich ergab mich nickend. „Okay."
Kyousuke klopfte mir sanft auf die Schulter. „Geht doch."
Es hatte nicht lange gebraucht, bis Jack und ich den West Eingang gefunden hatten.
Das Tor war zwar von Schimmel und Moos bewachsen, aber es war zum Glück dennoch gut erkennbar.
Jack lief vor mir her.
Wie schon damals, schienen wir uns stillschweigend darauf geeinigt zu haben, dass wir nicht miteinander redeten, wenn es nicht gerade sein musste.
Während er sich wachsam umsah, kickte ich kleine Kieselsteine vor mich her.
Trotz, dass ich es nicht nach außen hin zeigte, fühlte ich mich angespannt.
Jedes Knacken oder Rascheln ließ mich innerlich zusammenfahren.
Warum mussten sich unsere Gegner auch so einen gruseligen Ort für ihre Treffen aussuchen?
Ein Rascheln direkt neben mir, brachte mich dazu, stehen zu bleiben.
Ich starrte den Busch an, aus dem plötzlich Etwas huschte.
„Uaaaaaaah!"
Jack hatte sich zu mir umgedreht. „Ryoko?"
Für ein paar Sekunden musterte er mich besorgt, aber musste dann lachen, als er sah, vor was ich mich erschrocken hatte.
Es war nur eine harmlose Ratte gewesen.
Ich sah dem grauen Nagetier hinterher und funkelte Jack wütend an. „Das ist nicht komisch!"
„Wusste gar nicht, dass du Angst vor Ratten hast."
„Halt die Schnauze und lauf weiter!"
Das war so beschämend.
Und Jacks Sticheleien machten es nicht besser.
Ja. Ich tat oft so, als wäre ich taff und als würde mich alles kalt lassen.
Aber ausgerechnet vor Jack musste ich hier so deutlich offenbaren, dass ich auch ein kleiner Angsthase war.
Zumindest wenn es darum ging, im Dunkeln auf einem Friedhof herumzulaufen.
Noch dazu war heute Neumond, weswegen es noch viel dunkler war.
Die Laternen, die hier und da aufgebaut waren, mussten schon seit Jahren defekt sein.
Seufzend fragte ich mich, wie es Kyousuke wohl gerade ging.
Sicherlich spazierte er total cool die verschlungenen Wege entlang und wartete nur darauf, einem unserer Gegner zu begegnen.
Zumindest wirkte er auf mich immer so, als hätte er vor nichts Angst.
Außer eben wohl davor, dass seinen Freunden etwas passierte. Aber ansonsten erschien er mir beinahe furchtlos.
Irgendwie bewundernswert.
Aber was wusste ich schon. Er wusste mittlerweile mehr über mich, als ich über ihn.
Aber im Gegensatz zu ihm, traute ich mich nicht, ihn wegen seiner Vergangenheit auszufragen.
Ich wollte ihm nicht zu nahe treten. Sicherlich würde er schon von selber kommen, wenn er das Bedürfnis hatte, mir mehr über sich zu erzählen.
Irgendwie wäre es ja schön, auch mehr über ihn zu erfahren. Wo er herkam, warum er auf der Straße lebte. Was er vor Team Satisfaction getan hatte.
Irgendwie erlag ich der Versuchung, Jack zu fragen, ob er da vielleicht etwas schlauer war als ich.
Ich hatte bisher noch nicht einmal gefragt, wie lange Kyousuke die anderen Jungs schon kannte.
„Jack?"
Der große Blonde drehte sich zu mir um. „Was ist?"
„Wie lange kennt ihr und Kyou- ehm ich meine Kiryuu-kun euch schon?"
Jack musterte mich eine Weile, als versuchte er, mich mit seinem stechenden Blick zu röntgen.
„Keine Ahnung.", sagte er schließlich. „Drei Monate vielleicht? Ein halbes Jahr? Ich weiß es nicht. Man verliert hier irgendwann das Zeitgefühl. Warum?"
Ich spürte, dass ich rot wurde und blickte zur Seite.
„Nur so!", antwortete ich schnell.
Er zog eine Augenbraue hoch. „Niemand von uns weiß, wo er herkommt, aber er stand eines Tages plötzlich einfach vor uns und hat uns angesprochen. Uns von seiner Idee erzählt."
Ein Schmunzeln glitt über Jacks Lippen. „Er hat geredet wie ein Wasserfall. Ohne Punkt und Komma und mit so viel Begeisterung und Elan, dass wir uns alle haben einfach mitreißen lassen."
Nun musste auch ich leicht Lächeln.
„Scheinbar... Ist das sein besonderes Talent. Einfach irgendwo aufzutauchen und das Leben von jedem, der ihm begegnet, zu verändern..."
Wir alle hier, hatten diesem Kerl wirklich verdammt viel zu verdanken.
Vor allem hatte ich ihm verdammt viel zu verdanken.
Ich fühlte, wie Jack mich noch eine Weile beobachtete, aber das war mir gerade egal.
Ich ignorierte einfach seine Verwunderung über meine Frage.
Gerade jetzt, fühlte ich mich weniger ängstlich, als noch ein paar Minuten zuvor.
Die Dunkelheit schien ein wenig heller geworden zu sein.
Erst als Jack stehen blieb und ich mit dem Kopf in seinen Rücken knallte,
kehrte alles wieder zurück.
„Hey, pass doch auf, verdammt!", rief ich.
Jack reagierte jedoch nicht.
Als ich vor mich sah, erkannte ich auch den Grund.
Vor uns stand ein ziemlich düster gekleideter Kerl. Die schwarzen Klamotten waren ausgefranst und an den Ärmeln zerfetzt.
Auf seiner rechten Wange trug er eine Markierung.
Er grinste uns hämisch entgegen.
Jack wirkte im Gegensatz zu mir eher unbeeindruckt und aktivierte ohne zu zögern seine Duel Disk.
Hinter mir vernahm ich Schritte und drehte mich um.
Auf mich kam ein Mädchen zu, welches ebenso zerfetzt wirkende Kleidung trug.
Es schien in meinem Alter zu sein.
„Ihr habt euch den falschen Ort für euer Date ausgesucht."
Ich schluckte und aktivierte meine Duel Disk.
„Schnauze, Zombie-Schlampe! Zeig lieber, was du drauf hast!"
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Satisfy Me!
FanficRyoko Ishida ist ein junges Mädchen, welches auf den Straßen von Satellite lebt und dort tagtäglich um ihr Überleben kämpft und sich vor allem mit klauen über Wasser hält. Als sie eines Tages beim Stehlen einiger Metallteile erwischt und verfolgt wi...