Es gibt einfach gewisse Dinge im Leben, von denen wünscht man sich, sie würden nie vergehen. So sehr, dass man Angst bekommt. Und dann versucht man, diese Angst mit allen Mitteln zu bekämpfen. Das Problem ist dabei oft nur, dass man dadurch alles nur schlimmer macht.
Ich bin mir sicher, Kyousuke hatte Angst davor, seine Freunde zu verlieren. Jetzt, wo wir doch eigentlich alle Duel-Gangs besiegt hatten, hätten wir das Leben genießen können. Soweit, wie man es an einem Ort wie Satellite eben genießen konnte. Aber Kyousuke wollte nicht aufhören. Immer weiter machen und mit jeder Sekunde, die nun verstrich, hatte ich das Gefühl, er würde sich damit sein eigenes Grab schaufeln. Wir hatten doch eigentlich alles erreicht, aber dennoch gab er sich nicht zufrieden. Und der Gedanke, dass er sich immer mehr in eine schier irre Idee verrannte, machte mir Angst. Er hatte Ziele gehabt, Träume, Hoffnungen, mit denen er Yuusei, Jack, Crow und mich, angesteckt hatte. Aber mittlerweile befürchtete ich, dass Kyousuke langsam Größenwahnsinnig wurde.
Ich wollte nicht über solche Dinge nachdenken. Versuchte, sie aus meinem Kopf zu verbannen. Diese Gedanken einfach wegzusperren. Vielleicht würde dann alles so bleiben, wie es bisher immer gewesen war.
Wir trafen uns am nächsten Tag, wie besprochen, um noch die übrig gebliebenen und eigentlich völlig harmlosen Gangs zu besiegen. Yuusei, Jack und Crow konnte man ansehen, dass sie nicht wirklich Lust hatten, aber sie beschwerten sich auch nicht, als wir loszogen.
Ich sah darin auch keinen Sinn, aber Kyousuke war nun mal unser Freund. Außerdem hätte ich ihm selber auch nichts abschlagen können.
Wir begannen damit, die Bezirke systematisch abzuklappern.
Kyousuke sah sich immer wieder um, während wir durch den ersten Bezirk liefen.
Es wirkte ruhig, während wir durch die schmale Gasse, des Hochhäuserblocks liefen.
„Du bist dir sicher, hier waren noch welche?", hörte ich Kyousuke Yuusei fragen, der daraufhin nur nickte.
Es wirkte hier wirklich so gespenstig ruhig, dass man tatsächlich meinen könnte, keine Menschenseele würde hier noch leben.
Aber Yuusei hatte Recht.
Nachdem wir das Ende der Gasse fast erreicht hatten, ertönte ein lautes Scheppern und ein Junge, in etwa in unserem Alter, sprang hinter zwei großen Müllcontainern hervor und rannte, was das Zeug hielt.
Auch über unseren Köpfen schien plötzlich die Hölle ausgebrochen zu sein, als wir nach oben zu einem der Hochhäuser sahen. Zwei weitere Jungs liefen dort das Treppengeländer entlang. Der eine nach unten, der andere noch oben in Richtung Dach. Und noch zwei weitere kamen gerade aus einem alten, leerstehenden Fahrradladen, direkt vor uns.
Ich sah zu Kyousuke, der grinste und leise lachte. „Sehr gut! Dann machen wir uns an die Arbeit, Leute!", rief er und rannte los in die Richtung des Fahrradladens.
Jack und Yuusei liefen zu dem Hochhaus, um ihre Gegner dort zu stellen und Crow war dem Jungen nachgerannt, der sich hinter den Müllcontainern versteckt hatte. Ich blieb ein paar Sekunden unschlüssig stehen, aber rannte dann Kyousuke hinterher. Warum taten wir das nur? Diese Kerle hatten doch mehr Angst vor uns, als wir vor ihnen hätten haben müssen.
Ich sah wirklich keinen Sinn darin, aber dennoch schnitt ich meinem Gegner den Weg ab.
Der Junge war vom Fahrradladen aus in eine Gasse gelaufen, zu der ich über eine Abkürzung kam.
Mein Weg hatte mich über eine Mauer geführt, auf die ich mithilfe eines andern Müllcontainers klettern konnte und von dort sprang ich nach unten und meinem Opfer direkt entgegen.
Mein Gegner war ein recht klein geratener, schwarzhaariger Junge mit Sommersprossen. In etwa in meinem Alter.
Er hatte keine große Chance, als ich schon mein Duell-Seil geschwungen hatte, welches sich an seinem linken Handgelenk verhakt hatte.
Zum Duell gezwungen, blieb er stehen.
Es war auch kein sonderlich langes Duell. Er war nicht wirklich gut.
Nach ein paar wenigen Zügen hatte ich ihn schon erledigt und er landete vor Schreck mit rauchender Duel Disk am Arm auf seinem Hosenboden.
„B-Bitte... t-tu mir nichts!", stammelte er und ich musste leicht schlucken.
Ich hatte noch nie wirklich Mitleid mit meinen Gegnern gehabt, aber dieser Kerl vor mir, wie er völlig verängstigt dort saß, löste es dennoch unwillkürlich in mir aus. War das wirklich noch richtig? Ich wusste es nicht. „Tut mir Leid...", flüsterte ich und lief an ihm vorbei, nachdem ich meine Duel Disk deaktiviert hatte.
Ich fühlte mich nicht mehr wirklich gut, aber verdrängte dieses Gefühl. Es war nicht okay, Mitleid mit dem Feind zu haben.
Auf meinem Rückweg traf ich Crow und Yuusei, die bereits auch fertig waren.
Crow wirkte etwas angenervt, während Yuusei wie immer schwieg. Aus seinem Gesicht konnte ich nicht viel lesen.
„Wie lief's bei euch?", fragte ich, während wir zu dritt Ausschau nach Jack und Kyousuke hielten.
„Eigentlich ist das voll schwachsinnig.", murmelte Crow und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. „Die Typen sind total harmlos. Das sind keine starken Duellanten. Vor denen muss man sich nicht fürchten. Kiryuu übertreibt langsam ein wenig. Seit wir Bezirk M eingenommen haben, ist er eh etwas seltsam geworden..."
Ich gab ein hörbares Seufzen von mir. „Ich mache mir etwas Sorgen um ihn... Ich hab irgendwie so ein komisches Gefühl, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein."
„Mir geht es nicht anders. Ich hoffe, er hat nicht vor, etwas Dummes zu tun.", antwortete Crow.
„Ich sorge mich auch ein wenig. Aber Kiryuu ist unser Freund. Wir sollten ihm vertrauen. Er wird schon wissen, was er tut.", sagte Yuusei.
Er vertraute Kyousuke wirklich blind und ich schämte mich fast dafür, dass ich immer noch so misstrauisch war. Oder vielleicht wieder? Eventuell war es auch gar kein Misstrauen, sondern einfach Angst. Angst, ihn zu verlieren. Ich wollte Kyousuke immerhin vertrauen!
Nach einer Weile kam uns auch Jack entgegen, der ebenso relativ genervt wirkte, aber sich nicht großartig äußerte. Weder Crow, Yuusei, noch ich, fragten groß nach.
Und ehrlich gesagt: Auf einen zickigen Jack konnte ich gut verzichten.
So liefen wir weiter durch die Straßen, bis wir Kyousuke auf uns zukommen sahen. Er grinste und wirkte immer noch mehr, als nur übermotiviert.
„So. Die haben wir abgehakt. Welche Bezirke stehen noch aus?", fragte er voller Elan.
Da Jack und Crow schwiegen, erzählte Yuusei Kyousuke davon, in welchen Bezirken sie noch Gegner gestern hatten ausmachen können.
Kyousuke scheuchte uns in den darauffolgenden Stunden durch alle möglichen Bezirke.
Jeder Gegner stellte kaum eine Bedrohung dar, aber Kyousuke schien das Egal zu sein. Er betonte immer wieder, dass uns jede noch so kleine Gang einen Strich durch die Rechnung machen könnte, obwohl es so offensichtlich war, dass das nicht stimmte. Es war schwachsinnig. Aber wir ergaben uns dennoch weiterhin brav seinen Anweisungen. Wie Yuusei es ja auch gesagt hatte. Wir waren seine Freunde. Und wir vertrauten ihm. Vor allem ich. Trotz all meiner Angst.
Die Sonne war bereits am Untergehen, als wir uns wieder vor der alten Schule trafen.
Kyousuke wirkte recht zufrieden und ich fragte mich, ob es das vielleicht gewesen war. Hatten wir nun alle Duel-Gangs zerschlagen?
„Ich denke, das reicht für heute nun erst einmal.", verkündete er und sah erst zu mir, dann zu Yuusei, Jack und Crow. „Morgen werden wir wieder ausziehen. Ich checke nochmal alles soweit ab und wir treffen uns wie heute hier vor meinem Unterschlupf."
Die Anderen nickten langsam, wenn auch merklich schwermütiger als sonst.
„Bis morgen dann.", sagte Crow und lief schon langsam vor.
„Wir sehen uns dann, Kiryuu." Auch Yuusei wandte sich zum gehen und Jack winkte nur zum Abschied ohne viele Worte. Dabei fiel mir auf, wie er noch einmal zu mir sah, ehe er Yuusei und Crow nachlief. Ich winkte ihnen auch noch nach, aber sah dann zu Kyousuke. „Und nun?", fragte ich.
Kyousuke, der unseren Freunden noch nachgesehen hatte, wandte sich mir zu. „Lass uns hereingehen.", sagte er und ging mit mir zur Feuerleiter.
In unserem Stockwerk angekommen traten wir ein. Ich fühlte mich müde, nahezu ausgelaugt und trottete zur Couch, auf die ich mich einfach fallen ließ.
Kyousuke legte seine Duel Disk ab und setzte sich neben mich.
Eine Weile beobachtete ich ihn, wie er einfach nur vor sich hinstarrte und an seinem rechten Daumennagel kaute. Mit seinem linken Fuß tappte er immer wieder auf den Boden. Ein Verhalten, dass für mich Unruhe, Nervosität und Angespanntheit ausstrahlte.
„Wir hätten noch weiter machen können... Vielleicht...", hörte ich ihn murmeln, doch dann schüttelte er seinen Kopf und drehte diesen in Richtung Fenster.
Ich richtete mich etwas auf. Erst unschlüssig und nicht wissend, was ich tun oder sagen sollte.
Dann jedoch, umarmte ich ihn einfach leicht und kuschelte mich an ihn. Ich spürte, wie er unter dieser Geste verwirrt zusammenzuckte. „Ryoko-chan?"
„Bitte übertreib es nicht okay?", platzte es aus mir heraus. „Ich vertraue dir, Kyousuke-kun. Du bist mein Freund und deswegen... Bitte mach keine Dummheiten."
Kyousuke rührte sich kaum. Ich konnte nur seine Hand an meinem Rücken spüren und wie er mich näher zu sich zog. So nah, dass ich für einen Moment seinen Herzschlag hören konnte. Ich atmete seinen vertrauten Geruch ein und für wenige Minuten in denen wir so da saßen, schien die Welt wieder in Ordnung. „Mir passiert schon nichts, Ryoko-chan.", sagte er nach einer Weile schlicht, aber mit seiner typischen, sanften Stimme.
Ob er überhaupt wusste, wie ich das gemeint hatte? Mir kam es fast so vor, als war er sich nicht im Klaren, worüber ich überhaupt sprach. Er sagte auch nichts weiter und ich ließ es dabei.
Die Erschöpfung des Tages ließ meine Augen immer schwerer werden.
Verschwommene Bilder flimmerten an meinen Augen vorbei.
Verzerrte Stimmen und ein Kinderlachen.
Eine Schattenhafte Gestalt, die vor mir stand.
„Guck Mal. Das ist ganz einfach. Hier hast du die Angriffspunkte und da die Verteidigungspunkte."
„Uh.. Und die Sterne da?"
„Öhm.. Die zeigen an, ob für das Monster ein anderes Monster vom Feld gehen muss."
Hatte ich so angefangen Duel Monsters zu lernen? Wer hatte es mir eigentlich genau beigebracht?
„Ich kann den Text da nicht lesen... Was steht da?"
„Moment, ich lese es dir vor."
Ich versuchte mich zu erinnern, aber stattdessen wurden die Bilder nur verschwommener, verzerrter.
„Ryoko! Ryoko! Komm sofort mit mir nach Hause!"
Eine tiefe, donnernde Stimme. Eine Hand, die grob nach mir griff und mich mit sich zog. Karten, die aus meiner Hand fielen.
„Ich will aber nicht gehen!" Tränen, die meine Wangen benetzten. Ich rief etwas. Einen Namen? Nach Hilfe? Meine Worte verließen nur stumm meinen Mund und alles wurde schwarz. Kalt. Und Einsam.
Meine Umgebung veränderte sich. Da war ein Bett. Jemand lag darin. Krank. Sterbend.
„Ryoko? Ryoko... Versprich mir etwas, ja? Versprich mir, dass du niemals aufgibst, egal was auch immer passieren mag."
Diese sanfte Stimme... Mama?
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Satisfy Me!
FanfictionRyoko Ishida ist ein junges Mädchen, welches auf den Straßen von Satellite lebt und dort tagtäglich um ihr Überleben kämpft und sich vor allem mit klauen über Wasser hält. Als sie eines Tages beim Stehlen einiger Metallteile erwischt und verfolgt wi...