Seventeenth Satisfaction: Der Anfang vom Ende

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Da standen wir nun. Kyousuke, Jack, Yuusei, Crow und ich.
Wir fünf, die wir solange für unser Ziel gekämpft hatten. Die wir alles daran gesetzt hatten, dass sich unser Traum erfüllte. Wir hatten so viele Duelle bestritten, so viele Dinge erlebt, die uns alle zusammengeschweißt hatten. Und nun standen wir hier, auf dem Dach dieses baufälligen Gebäudes und auf dem Boden vor uns die Karte von Satellite. Fast vollständig schwarz gefärbt, bis auf den letzten Bezirk. Bezirk M. Ein seltsames Gefühl, wie ich es noch nie gespürt hatte, durchflutete mich in jenem Moment, als ich auf die Karte hinab sah. Nur noch dieser Bezirk und wir hatten unser Ziel erreicht. Der Gedanke daran, dass wir nach diesem Bezirk das geschafft hatten, wofür wir so gekämpft hatten, ließ mich mit einem Gefühl im Magen zurück, was ich weder als gut, noch als Schlecht erachten konnte. Es war seltsam. Ich erinnerte mich daran zurück, wie Kyousuke mich damals aufgegabelt hatte. An unser Duell und wie ich mich erst gewehrt und geweigert hatte. Wenn ich so nun darüber nachdachte, konnte ich nicht mehr verstehen, warum ich das eigentlich getan hatte. Ich hatte wohl einfach Angst gehabt. Ihm misstraut, obwohl er mir doch geholfen hatte. Er hatte mir seine helfende Hand gereicht, obwohl er rein gar nichts über mich zu jenem Zeitpunkt gewusst hatte. Er hatte mich nie groß dazu gedrängt, privates von mir preiszugeben und war für mich da. In all der Zeit war er mir so wichtig geworden, dass mir sogar klar geworden war, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Auch wenn mein Liebesgeständnis fehlgeschlagen war, so hatte es nichts daran geändert, was ich für ihn empfand und wie sehr ich ihn brauchte. Wie sehr ich meinen Retter liebte, der mir all das gegeben hatte, was ich nun besaß. Eine Familie. Freunde. Denn auch Jack, Yuusei und Crow waren mir wichtig geworden. Sie waren wie große Brüder für mich geworden, die ich nicht mehr missen wollte. Crow, der mit seinen Witzen mich so oft ärgerte, aber manchmal trotzdem zum Lachen brachte. Yuusei, der mir trotz seiner Schweigsamkeit so oft schon Ratschläge gegeben oder es zumindest versucht hatte. Er hatte mir sogar versprochen, mir zu helfen, ein D-Wheel zu bauen, da er selber davon träumte, eines Tages eines zu haben und ich ihm erzählt hatte, dass ich gerne eines hätte. Und dann war da Jack, mit dem ich mich am Anfang ständig gestritten hatte. Jack, der immer so kühl und arrogant wirkte, aber eigentlich ein wundervoller Freund war, der das Herz am rechten Fleck hatte. Ich hatte sie alle gern. Meine großen, starken Jungs. Meine Brüder und vor allem natürlich Kyousuke. Kyousuke, der mein Held war. Der etwas andere Prinz, der eben kein weißes Pferd brauchte, um ein Mädchen in Not zu retten. All die Monate und Wochen mit ihnen zusammen hatten mich verändert und mich glücklich gemacht.
Sie hatten mich mit ihnen fest zusammengeschweißt und ich wollte keinen Gedanken daran verschwenden. Ich wollte nicht, dass das vorbei ging. Es hätte noch ewig lange so weiter gehen können, wie bisher.

Aber nun stand ich hier mit ihnen und Kyousukes Worte ließen keinen Zweifel mehr daran, dass sich bald alles ändern würde.
„Es ist soweit. Wir, Team Satisfaction, sind kurz davor, Satellite zu übernehmen. Nur noch Bezirk M und Satellite gehört uns.", sagte er entschlossen. Dennoch konnte ich auch noch etwas anderes in seinem Blick sehen. Ich wusste nicht, was genau es war. Bezirk M schien von Anfang ja eh eine besondere Bedeutung für ihn zu haben. Das war mir schon bewusst geworden, als er damals an seinem Geburtstag sich so merkwürdig benommen hatte, aufgrund des Todestags seines Mentors.
Überhaupt war er in den letzten Tagen etwas unruhig geworden und was mir auch aufgefallen war, war dass er seinen Gegnern mit noch mehr Überheblichkeit entgegen getreten war. Ein extrem ausgeprägtes Selbstbewusstsein hatte er ja schon immer gehabt und auch diese leichte Überheblichkeit seinen Gegnern gegenüber war mir nicht neu. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es in den letzten Wochen extremer geworden war. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich allerdings noch nicht ahnen, dass sich meine Befürchtungen, ihm würde alles zu Kopf steigen, noch bewahrheiten würden. Zu jenem Zeitpunkt machte ich mir nur Gedanken darum, was nach Bezirk M wohl auf uns zukommen würde und natürlich immer noch, was er eigentlich für mich empfand. Meine Hoffnungen hatte ich ja trotz allem noch nicht begraben.
„Also, dann wollen wir mal los!", sagte er schließlich und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich nickte mit den anderen und Kyousuke nahm die Karte von Satellite, rollte sie wieder zusammen und gemeinsam machten wir uns auf den Weg.

Der Himmel über Satellite war grau und stark bewölkt an diesem Tag.
Bezirk M wirkte wie ein großes, verfallenes Industriegebiet. Die Luft war stickig und stank nach verbrannten Reifen. Es gab viele Lagerhallen und Hochhäuser, die aber großteils so extrem eingestürzt waren, dass man sie kaum begehen konnte.
Ich trabte neben Kyousuke her, mit dem unangenehmen Gefühl, dass wir schon die ganze Zeit beobachtet wurden.
Auch Yuusei schien bereits gemerkt zu haben, dass unsere Anwesenheit bereits bekannt war und blieb nach einer Weile stehen.
Kyousuke blieb auch stehen. Obwohl er vorher noch etwas angespannt gewirkt hatte, ließ er sich davon nun nichts anmerken und grinste. „Kommt raus! Wir wissen, dass ihr hier seid!", rief er.
Jack und Crow schienen auch schon auf den Angriff gefasst.
Nach und nach zeigten sich unsere Gegner. Und es waren verdammt viele. Ich zählte an die vierzehn Mann, aber vermutlich waren es noch mehr. Das war schon keine Gang mehr, viel mehr eine riesige Bande. Sie alle hatten braune Westen an und trugen recht altmodisch aussehende Motorradhelme. Oder waren das Fliegerhelme? Ich wusste es nicht. Ich rückte nur etwas näher zu Kyousuke, während diese Kerle uns einkreisten wie die Hyänen.
„Hey, so viele auf einmal, das ist unfair. Was ist mit den vier gegen vier oder fünf gegen fünf Kämpfen?", rief Crow.
Wann waren die Duelle je fair gewesen, fragte ich mich in diesem Moment und schreckte auf, als Kyousuke überheblich lachte. „Ich seh' darin kein Problem. Einer weniger und ich wäre schon unbefriedigt!"
Irgendwie war das schon gruselig, wie seine Stimmung aus dem Nichts wieder gewechselt war.
Ihm schien das riesig Spaß zu bereiten, mehr Gegner als üblich zu haben.
„Duell!", rief er gut gelaunt und wir teilten uns auf. Crow nahm sich gleich vier Gegner auf einmal vor. Jack war schon vor gerannt und hatte ebenso vier Gegner im Schlepptau mit denen er sich wohl nach und nach herumschlagen würde.
Ich selber rannte Kyousuke hinter her, der sich in ein Fabrikgebäude reingemacht hatte, wo zuvor schon Yuusei hereingelaufen war. Dort jagte er die Treppen hoch, während ich ihm Rückendeckung gab und die nachkommenden Gegner nach und nach besiegte.
Kyousuke besiegte die Gegner, die ihm entgegen kamen scheinbar extrem schnell. Zumindest kamen mir immer wieder Mitglieder mit zerstörten Duel Disk entgegen, die allem Anschein nach nur noch die Flucht ergreifen konnten.

Kyousuke war schon viel weiter oben, als ich, da ich mich gerade noch mit ein paar der Idioten herumschlug.
„Ihr habt doch eh keine Chance! Wir sind zu viele für euch!"
„Wenn wir deine Freunde vernichtet haben, kannst du uns ja beitreten, Kleine. Wir werden bestimmt immer nett zu dir sein."
Gerade duellierte ich mich noch mit zwei besonders dreisten Exemplaren dieser Mistkerle, als ich von Oben plötzlich laute Stimmen hörte. Ein Schrei, der eindeutig nach Yuusei klang ertönte und ließ mich in einem Moment der Schockstarre stehen. „Yuusei!"
So schnell, wie es ging, besiegte ich meine Gegner und rannte weiter zum Dach.
Ich erreichte die Tür, die zum Dach führte, doch der Anblick, der sich mir bot, war noch schrecklicher, als ich gedacht hatte. Kyousuke hing halb über dem Geländer und zog mit aller Kraft an seinem Duellseil, mit dem er Etwas oder Jemanden festhielt. Wer es war, war schnell zu erraten.
„Kiryuu!" Es war die Stimme von Yuusei.
Noch völlig starr vor Schreck stand ich da, als plötzlich schon das morsche Gelände nachgab und Kyousuke nun selber zu fallen drohte. „KYOUSUKE-KUN!" Ich nahm selber kaum wahr, das ich so schrie vor lauter Angst.
„Kiryuu, hör auf! Lass mich los! Wenn du mich nicht los lässt, wirst du mit mir fallen!"
„Sei kein Idiot! Ich würde dich niemals im Stich lassen! Du bist mein Freund!"
Ich rannte so schnell wie ich konnte und packte Kyousukes Arm um ihm zu helfen und zu verhindern, das er auch runter fiel.
„Ryoko!", keuchte Kyousuke unter den Anstrengungen, Yuusei festzuhalten, damit er nicht fiel.
„Ich lass nicht zu, dass ihr beide runter fallt!", rief ich aufgewühlt, obwohl ich wusste, dass ich kaum die Kraft hatte, zwei Jungs alleine festzuhalten. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, versuchte ich mitzuziehen, während Yuusei mich wohl nun auch bemerkt hatte. „Ryoko du ... ihr..."
„Ich kann nicht zulassen, dass den wichtigsten Menschen in meinem Leben etwas passiert!"
Ich fühlte, wie mir die Kraft wieder entwich, aber genau in dem Moment fühlte ich eine weitere helfende Hand.
Es war Crow, der zum Glück auch her geeilt war. „Crow!

Irgendwie schafften wir es zu dritt, Yuusei wieder hochzuziehen.
Keuchend saßen wir auf dem Dach.
„Vielen Dank.", schnaufte Yuusei und grinste dabei und auch Kyousuke grinste völlig außer Atem, während mir noch Tränen hinab liefen, die aber nun eher Tränen der Erleichterung waren. „Tut mir einen Gefallen und jagt mir nie wieder so einen Schreck ein!"
Kyousuke zog mich zu sich und wuschelte durch meine Haare. „Sorry. Aber ist doch noch einmal gut gegangen."
„I-Idiot", schluchzte ich aber musste dann selber grinsen. „Ihr seid doch alle verrückt!"
Ich wischte mir über die Augen und sah zu Crow, der zum Dach des Nebengebäudes starrte, wohin sich der scheinbare Anführer der Gang geflüchtet hatte. Derjenige hatte das Szenario beobachtet und war auch wohl verantwortlich für Yuuseis bei nahen Sturz in die Tiefe.
Nun, wo er gemerkt hatte, dass er keine Chance hatte, rannte er zu der Tür um nach unten zu flüchten, doch kaum hatte er diese erreicht, wurde diese von Jack so aufgetreten, dass der Anführer auf seinen Rücken knallte und liegen blieb.
Jack grinste und sah zu uns.
Mittlerweile hatten wir uns alle wieder aufgerappelt und sahen zu ihm.

Einige Zeit später standen wir alle auf dem Dach unseres Quartiers. Unseren Sieg besiegelten wir mit einem gemeinsamen Faustschlag und alles wartete nur noch auf diesen denkwürdigen Moment, der nun folgen würde.
Kyousuke atmete noch einmal tief ein. Fast so, als würde ihm etwas von der Seele fallen, was schon so ewig lange in ihm brannte.
Er nahm die Karte zur Hand, legte sie auf den kleinen Holztisch, um den wir uns versammelt hatten, und strich nun auch den letzten Bezirk Satellites schwarz an.
„Nun haben wir endlich Satellite eingenommen.", sagte er strahlend.
„Wir haben's geschafft!", rief Crow nicht minder strahlend und begeistert und selbst Yuusei grinste. „Ja!"
„Natürlich!", grinste Jack leicht angeberisch.
Obwohl mich für einen Moment wieder meine übliche Nachdenklichkeit eingeholt hatte, ließ ich mich nun doch von der Stimmung mitreißen.
„Wir sind einfach die Besten!"
Ich konnte einfach nicht anders, als in jenem Moment mit den Anderen zusammen in schallendes Gelächter auszubrechen. Mich so unendlich frei zu fühlen, wie noch nie zuvor.
Das wir es tatsächlich geschafft hatten. Das ich wirklich gerade hier mit den Jungs stand, mit denen ich das zusammen erreicht hatte. Das ich Mitglied in diesem tollen Team war. All das ließ mich einfach gerade alle meine Sorgen vergessen und mich wirklich einmal frei wie die Vögel am Himmel zu fühlen, die ich immer bewundert hatte.
„Team Satisfaction ist einfach das beste Team!", rief Kyousuke überschwänglich und warf die Karte von Satellite in die Luft, wo der Wind sie auffing und mit sich trug.
In diesem Moment dachten weder ich, noch die Anderen daran, dass das Schlimmste uns noch bevor stand. Dass die wahre Zerreißprobe für Team Satisfaction gerade erst ihren Anfang nahm.
Nicht einmal in meinen schlimmsten Alpträumen hätte ich mir ausmalen können, was die Zukunft für uns bereit hielt und was für katastrophale Folgen ein einziges Missverständnis mit sich ziehen würde. In diesem Moment war ich einfach nur glücklich.

Wir lachten und feierten noch lange, lange Zeit.
Yuusei und Crow waren sogar losgegangen und hatten noch einmal Essen und Getränke besorgt.
Es gab einfach nichts, was die ausgelassene, gute Stimmung gerade trügen konnte, während wir da am Tisch saßen.
Crow stieß Jack seinen Ellenbogen nicht gerade sanft in die Seite, gerade als dieser etwas von seiner Limonade trinken wollte. „Ach ja. Wolltest du Ryoko-chan nicht noch etwas geben oder sagen oder so?"
Ich blinzelte verdutzt und bemerkte, wie Jack knallrot anlief. „Das bildest du dir ein! Ich hab nie etwas davon gesagt!", fauchte er.
Crow lachte unschuldig. „Ich dachte, ich hätte da heute morgen etwas gehört, als du im Bad Selbstgespräche geführt hast."
Jack drehte sich zu Crow und packte ihn am Kragen. „Du hast was!? H-Hör auf an der Badezimmertür zu lauschen!"
Crow grinste nur weiter breit. „Weil heute doch glaub White Day ist... Obwohl sie DIR ja nichts geschenkt hat, an Valentinstag."
Eine Augenbraue angehoben beobachtete ich das Geschehen, während ich meine Ramen aß.
Auch Yuusei beäugte die Streiterei zwischen Jack und Crow oder viel mehr, Jacks Wutanfälle gegen Crow, der nicht aufhören konnte, ihn gerade zu Triezen.
Neben mir vernahm ich Kyousuke, der seine Schlürfgeräusche beim Ramen-Essen plötzlich eingestellt hatte. Ein Blick zu ihm, ließ mich feststellen, dass blass geworden war, so als hätte er etwas wichtiges vergessen. Ohne ein Wort war er vom Tisch aufgestanden und lief in Richtung der Feuerleiter.
„Kyousuke-kun?" Es dauerte selber etwas, bis ich realisierte, was Crow da gerade eigentlich gesagt hatte und nun klingelte es. White Day. Heute war der White Day! Der 14. März!
Mit einem Mal kehrte die Nervosität in mir zurück. Ich hatte die letzten Wochen kaum mehr einen Gedanken daran verschwendet. Allgemein war ich durch die ständigen Duelle nicht mehr wirklich dazu gekommen, über irgendetwas nachzudenken. Und nun saß ich hier völlig von der Rolle.
Crow fragte mich etwas, aber wirklich zuhören konnte ich gerade nicht. Ich starrte immer noch wie hypnotisiert auf die Feuerleiter.
Wo war Kyousuke jetzt so schnell hin? Hatte er etwa etwas für mich, was er mir schenken wollte? Oder war er weggegangen weil er nichts hatte und er selber nicht daran gedacht hatte?
Ich vermutete sogar eher letzteres.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Kyousuke jedoch zurück. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nur schwer deuten, aber seine Haare wirkten etwas zerzaust.
„Sorry, war kurz im Bad.", sagte er und grinste dabei. Das er schwindelte merkte ich auch so.
Er setzte sich wieder neben mich und wuschelte mir dabei erneut durch die Haare. Dann wandte er sich aber erst einmal wieder an die Anderen.

Es war schon ziemlich spät, als unsere Feier langsam ihr Ende fand und Yuusei, Crow und Jack aufgestanden waren. „Es ist wirklich ein gutes Gefühl, endlich unser Ziel erreicht zu haben.", sagte Crow breit grinsend.
„Ich bin gespannt, was nun alles auf uns zu kommt, so als Herrscher über Satellite.", kam es von Jack und Yuusei nickte. „Ich bin auch schon sehr gespannt, was sich nun ändern wird.
Für einen kurzen Moment wirkte Kyousuke ein wenig, als hätte man ihm den Wind aus den Segeln genommen. Allerdings wirklich nur für ein paar Sekunden. Dann lächelte er wieder. „Wir haben immer noch genug vor! Verlasst euch drauf!"
Die Anderen nickten. „Alles klar. Wir sehen uns dann morgen, Kiryuu, Ryoko.", sagte Yuusei und verabschiedete sich mit einem Handschlag von uns. Jack und Crow machten es ihm gleich und so gingen die Drei und ließen uns zurück.
„Bis morgen dann!", rief ich auch noch hinterher.
Doch kaum waren sie die Feuerleiter hinab verschwunden, überkam mich wieder dieses Gefühl, was ich schon am morgen verspürt hatte. Das Gefühl, dass Team Satisfactions Weg hier und heute bereits unbewusst sein Ende gefunden hatte.
Langsam drehte ich mich um und ging zum Geländer des Dachs, wo ich meine Hände auf das kalte, rostige Metall legte. Ich sah eine Weile in den schwarzen Nachthimmel, während der Wind mir ins Gesicht und durch meine Haare wehte.
„Sie sind länger geworden, kann das sein?" Kyousukes Stimme neben mir ließ mich aufsehen und mich zu ihm wenden. „Huh?"
„Deine Haare. Sie sind länger geworden." Seine Stimme wirkte sanfter als sonst. Er hatte sich ebenso am Geländer abgestützt und sah nun auch in den Himmel, während der Wind auch seine Haare durchwehte.
Dieser ganze Moment hatte etwas von diesen typischen Szenen, wie man sie aus so manchen Shoujo-Manga kannte. So sprachlos, wie ich für ein paar Minuten da stand. Mit vermutlich roten Wangen und mit offenem Mund.
Es hätte gerne einer dieser Szenen werden können, wo der männliche Protagonist sich umdreht und die Heldin küsst oder ihr zumindest sagt, dass er sie liebt.
Aber so etwas passierte nie in echt und vor allem nicht bei uns.
„Das dir das auffällt." antwortete ich neckend, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte.
Kyousuke grinste verlegen. „Ehrlich gesagt ist es mir auch erst heute so richtig aufgefallen. Aber es steht dir. Lange Haare würden sicher süß an dir aussehen."
Ich fühlte wie mein Herz wieder einen Hüpfer machte. „F-Findest du? Ich find lange Haare unpraktisch. I-Ich kam nur noch nicht dazu, sie zu schneiden." stammelte ich und versuchte, so wie immer zu klingen. Obwohl dieses Kompliment es mir extrem schwer machte.
„So? Mh, stimmt. Unpraktisch sind sie vielleicht schon. Aber sie stehen dir wirklich." sagte er noch einmal und drehte sich dabei kurz zu mir, ehe er wieder zum Horizont blickte.
Ich strich mir eine längere Strähne aus dem Gesicht. Eher unbewusst und schaute wieder in den Himmel, nachdem ich meinen Blick von ihm lösen konnte. Er fand also wirklich, dass mir lange Haare gut standen? Irgendwie wusste ich gerade nicht, was ich sagen sollte. Mehr als ein genuscheltes „Danke", von dem ich nicht einmal wusste, ob er es gehört hatte, brachte ich nicht hervor. Mein Herz schlug einfach viel zu schnell.

Stille trat ein. Für eine ganze Weile sagte weder Kyousuke etwas, noch ich. Der Mond schien hell durch ein paar Wolken hindurch.
„Schon seltsam, irgendwie...", murmelte ich nach einer Weile.
„Seltsam? Was ist seltsam?", hörte ich Kyousuke fragen und drehte mich zu ihm.
„Dass das alles jetzt vorbei ist. Das wir unser Ziel erreicht haben. Irgendwie... kann ich das immer noch nicht glauben."
Kyousuke sah in meine Augen. „Ich weiß. Ich kann es selber immer noch kaum fassen, aber ich bin so wahnsinnig stolz und glücklich, was wir zusammen geleistet haben! Wir haben Satellite zu einem Ort gemacht, an dem man nun zumindest etwas besser leben kann."
Ich blinzelte und blickte ihm auch lange in seine Augen. „Ich bin auch froh und stolz. Ich hätte nie gedacht, dass ich je so glücklich werden könnte, wie ich es heute bin. Nicht nur, weil wir das geschafft haben. Auch, weil ich dich habe. Dich, Jack, Yuusei und Crow. Das ich Freunde wie euch gefunden habe. Ich bin so wahnsinnig froh, dass ich dir begegnet bin, Kyousuke-kun. So froh, dass ich damals mit dir gegangen bin. Ich-"
Ich konnte kaum weiter reden, als er mich auch schon in seine Arme gezogen hatte und mich einfach an sich drückte.
„Ich bin auch froh, dir begegnet zu sein, Ryoko-chan. Ich will dich nie mehr vermissen müssen, weil du mir in all der Zeit auch so sehr ans Herz gewachsen bist. Ich brauche dich auch an meiner Seite. So wie jetzt und auch in der Zukunft. Versprich mir, niemals von meiner Seite zu weichen."
Mein Herz hämmerte nun erst recht und ich schmiegte mich zaghaft an seine Brust. „Das hab ich doch sch-schon längst... Ich hab schon damals gesagt, dass ich nie von deiner Seite weichen werde."
„Ich... Ich weiß. Ich wollte nur noch einmal sicher sein." hörte ich seine Stimme an meinem Ohr. Irgendwie klang sie so ungewohnt. Langsam löste er sich von mir. Für einen Moment war da wieder dieser Ausdruck in seinem Gesicht, der mich jedes Mal aufs neue schlucken ließ. Dieser Ausdruck, von dem ich einfach nicht wusste, was er bedeutete. Als würde ihn etwas schmerzen. Als würde er gerne etwas sagen wollen, konnte es aber nicht. So sah er auch immer nur mich an.
„Wie genau soll es nun eigentlich weiter gehen?", fragte ich, um nicht noch länger diesen Anblick ertragen zu müssen, diesen Blick, der mich so mitnahm.
Kyousuke zuckte auf. Fast so, als wäre er in Gedanken gewesen. „Weiter? Na ja. Wir haben jetzt die Aufgabe, das zu beschützen, was wir erreicht haben. Ich will auf keinen Fall zulassen, dass unser hart erarbeitetes Ziel wieder über den Haufen geworfen wird. Dafür müssen wir kämpfen!"
Ich nickte nur. Auch wenn sich mir die innerlich die Frage stellte, gegen wen noch. Wir hatten alle Duel-Gangs geschlagen. Es gab doch eigentlich niemanden mehr, der Team Satisfaction noch versuchen würde, die Stirn zu bieten. Oder etwa doch?

Nach einer weiteren Weile des Schweigens, ergriff Kyousuke wieder das Wort. „Ach ja. Ich wollte dir ja noch etwas geben. Es ist nicht viel, aber...", begann er und kramte in seiner linken Hosentasche. Er nahm meine rechte Hand und legte mir das, was er hervor gekramt hatte, in diese.
Meine Augen weiteten sich. Es war ein Schlüsselanhänger in Form eines kleinen, schwarzen D-Wheels. Er wirkte zwar schon etwas zerkratzt, aber sah trotzdem noch richtig schön aus. Er mochte nur aus einem billigen Automaten stammen, aber für mich war es ein wundervollen Geschenk.
Ich sah Kyousuke an, der verlegen zur Seite blickte. „Ich hab ihn im Schrottmüll gefunden und musste gleich an dich denken. Weil du ja gerne eines hättest, wie Yuusei mir erzählt hat. Sollten wir es je irgendwann aus Satellite herausschaffen, egal wie, dann würde ich dir auch ein echtes besorgen und-"
Weiter kam er nicht, weil ich ihn einfach umarmte. „Danke! Vielen Dank!" Ich kuschelte mich eng an ihn. „Das ist eines der besten Geschenke, die ich je bekommen habe! Ich brauche ja nicht mal so unbedingt ein echtes. Auch wenn es vielleicht schön wäre, aber das hier... Das reicht mir vollkommen, weil es von dir ist und weil ich es immer bei mir tragen werde!", sagte ich und musste mir die Tränen vor Rührung verkneifen. Ich hob meinen Kopf. „Du b-bist echt süß, weißt du das?" platzte es ungewollt aus mir heraus.
„Ryoko... es. Ich wollte dir auch was zum White Day schenken und..", begann er und ich schluckte, als er eine Hand an meine Wange legte.
Das Hämmern in meiner Brust wurde wieder stärker und Kyousuke sah mir tief in die Augen.
Mein Mund fühlte sich total trocken an, während ich das Gefühl hatte, als würde er mir mit seinem Gesicht langsam näher kommen. „Ryoko-chan, ich-"
In diesem Moment durchschnitt jedoch das laute Geräusch einer Sirene die sonstige Stille.
Das Geräusch, was mich später noch bis in meine Alpträume verfolgen würde.
„Die Security! Wir sollten rein gehen.", sagte Kyousuke nur, nahm meine Hand und lief mit mir die Feuerleiter nach unten. Auch wenn wir oben auf dem Dach sicher nicht so leicht entdeckt worden wären, aber drinnen war es sicherer. Nun, wo wir Satellite übernommen hatten, waren wir nicht nur die stärkste Duel-Gang überhaupt sondern standen auch ganz oben auf der Abschussliste der Security. Auch wenn ich mir dessen in jenem Moment noch nicht wirklich bewusst war.
Drinnen angekommen gingen wir zu einem der kaputten Fenster und beobachteten, was auf den Straßen vor sich ging. Einige Männer der Security liefen herum, trieben hier und da ein paar Mitglieder von Schlägerbanden aus ihren Verstecken.
Ich merkte, wie Kyousuke neben mir sich verkrampfte. Er starrte nach unten, mit einer Hand zu einer Faust geballt und etwas in seinem Blick, das ich nicht deuten konnte, was mir aber Angst machte. Es war das erste Mal, dass ich diesen paranoiden Wahn in seinen Augen sah. Auch wenn es nur für ein paar Sekunden war. Aber heute bin ich mir sicher, dass es genau dieser Moment war, in dem sich bei Kyousuke der Schalter bereits innerlich umgelegt hatte.
Er wandte sich nach einiger Zeit wieder zu mir, als sein Blick schon lange wieder normal wirkte. „Lass uns ins Bett gehen. Wir haben morgen viel zu tun."
Ich nickte nur und folgte ihm mit einem unguten Gefühl im Magen zur Couch.
Der Anfang vom Ende hatte begonnen.


Satisfy Me!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt