Kapitel 1

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Alleine steige ich nach der großen Abschlussfeier meiner Ausbildung als Erzieherin die Treppen zu meiner Wohnung nach oben. Mein Herz ist schwer. Ja, ich habe als beste meines Jahrgangs abgeschlossen, doch wer hat meinen Erfolg mit mir geteilt? Alle anderen hatten Eltern, ihren Freund oder sonst jemand dabei mit dem sie hätten feiern können. Ich war alleine – immer alleine und es ja eigentlich auch gar nicht anders gewöhnt. Trotzdem! Als ich den Schlüssel ins Schloss stecke und ihn darin drehe, kommen mir die Tränen, die ich bisher entschlossen zurückgedrängt hatte. Von dem Knarzen angelockt öffnete sich die Türe meiner uralten Nachbarin.

„Kindchen! Wie war deine Feier?", sagt sie mit ihrer leisen, melodischen Stimme. Ich wische mir die Tränen weg, straffe die Schultern und setze ein Lächeln auf. Sie durchschaut mich und lächelt mich mitleidig an.

„Eierlikörchen?" Ich muss lachen. Ein Eierlikörchen hilft bei Ruth nämlich immer. Ich nicke schließlich und betrete die winzige Wohnung, die nur spiegelverkehrt zu meiner ist. Ruth ist seit Monaten nicht mehr aus ihrer Wohnung gekommen. Sie hat einen Pflegedienst der sie versorgt und einige Damen, die ihr Dinge einkaufen. Das alles steuert sie über eine Messengerapp auf ihrem Smartphone. Ich schaue, dass ich sie mindestens einmal am Tag kurz besuche. So kommt sie ganz gut über die Runden. Wacklig läuft sie voraus zum Esszimmertisch, stellt zwei Gläschen auf den Tisch und beginnt einzuschenken. Ich drehe das Glas nachdenklich zwischen meinen Fingern, während Ruth gegen meines stößt.

„Auf dich, Kindchen!" Ich lächle ihr zu und genieße ihre Wärme und Freundlichkeit.

„Auf dich! Meine älteste und beste Freundin!" Wir trinken einen Schluck.

„So und jetzt möchte ich das Zeugnis sehen!", fordert sie. Ich hole es und lege es auf den Tisch. Ruth setzt sich umständlich eine Brille auf und beginnt diese zu studieren. Dann holt sie ihr Handy und macht ein Bild davon. Für was auch immer. „Sehr gut! Ich bin stolz auf dich! So und jetzt gehen wir zwei hübschen jungen Frauen ins Bett!" Damit kichert sie und steht schwankend auf.

„Bis morgen junge Frau!", sage ich scherzhaft und fühle mich schon viel besser. Ruth droht mir mit ihrem Stock.

„Schlaf gut!", sagt sie ganz entgegen ihrer Gewohnheit. Ich runzle kurz die Stirn, drücke ihr einen Kuss auf die runzlige Wange und verlasse dann die Wohnung. Ganz alleine bin ich wohl doch nicht auf dieser manchmal so dunklen Welt.

Cinderella in ChucksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt