Ich hasse Beerdigungen von ganzem Herzen! Da kommen Erinnerungen in mir hoch, die ich ganz ganz tief in mir vergraben habe. Jedoch spüre ich wirklich das Bedürfnis, Ruth die letzte Ehre zu erweisen. Ich schaue in den Spiegel und kontrolliere mein Äußeres. Das schlichte schwarze Kleid hatte ich das letzte Mal erst vor einer Woche bei der Zeugnisfeier an. Tränen steigen mir in die Augen bei dem Gedanken an meinen letzten Abend mit Ruth. Immer mehr denke ich, dass sie es gewusst haben muss. Sie hatte es bestimmt im Gefühl. Ich schnäuze mir nochmal die Nase, packe dann meine Tasche und laufe nach unten. Bis zum Friedhof, wo die Feier stattfinden wird, ist es nicht weit. Trotzdem fühlen sich meine Beine schwer an. Ich setze mich zu Ruths Freundinnen, die alle mehr oder weniger ähnlich alt sind wie sie. Annkathrin drückt mit ihrer kleinen, knöchernen Hand die meine, als der über und über mit Blumen geschmückte Sarg in die Halle geschoben wird. Ich schluchze auf und will mir gar nicht vorstellen, dass Ruth da drin liegt. Die Worte, die der Pfarrer sagt, fließen an mir vorbei. Auch bei den Liedern kann ich nicht mit einstimmen. Ich habe nicht die Kraft dazu. Schließlich wird der Sarg aus der Halle geschoben. Er scheint aus einem sehr feinen, hochwertigen Holz gearbeitet zu sein. Auch die Beschläge sind kunstvoll gestaltet. Nicht so, wie bei... nicht dran denken! Ich schiebe diese Gedanken entschlossen weg und konzentriere mich auf schöne Dinge, die ich mit Ruth erlebt habe. Schließlich stehen wir vor dem Grab. Es sind nicht viele gekommen. Ich kenne so gut wie alle Gesichter. Schließlich wird der Sarg in das Grab hinabgelassen. Meine Kehle wird eng. Bilder drängen sich mir auf. Ich an der Hand meiner Tante mit dem viel zu engen, kratzigen, schwarzen Kleid. Meine Rufe, Schreie, meine Wut! Die Umgebung verschwimmt um mich herum. Ich trete zurück und verweile noch vor dem Grab. Ich spüre erneut die Hand von Annkathrin auf meiner Schulter. Ich schaue sie an und schüttle den Kopf. Ich kann jetzt nicht in ein Café sitzen. Das geht nicht. Ich warte, bis alle gegangen sind, dann sinke ich auf die Knie und lasse meinen Tränen freien Lauf. Ich weine um Ruth, um das kleine Mädchen, dass ich einmal war um meine Eltern und um das Elend dieser Welt. Schließlich kommen keine Tränen mehr. Es ist dämmrig geworden. Ich spüre meine Beine fast nicht mehr. Langsam stehe ich auf, werfe die letzte Rose ins Grab und gehe aus dem Friedhof, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Nun bin ich wieder alleine – ganz alleine!
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Cinderella in Chucks
RomanceDiese Geschichte steht für sich alleine und hat (bisher) keinen Querbezug zu meinen anderen Geschichten. Ina ist frisch gebackene Erzieherin und hat gerade ihre Abschlussfeier überstanden. Wenige Tage später erhält sie eine rätselhafte E-mail der Ge...