Besuch

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POV: Manu

Die Woche über bin ich normal. Ein normaler, fremder Junge auf einer normalen, fremden Schule. Die Lehrer hier sind weniger gestresst und weniger ehrgeizig als Zuhause, aber ansonsten ist es fast das Selbe. Und an das Tuscheln hinter meinem Rücken kann ich mich gewöhnen, solange Patrick bei mir ist.

Er ist viel bei mir. Wir teilen den gleichen Frust, und das verbindet uns. Wir sagen uns schonungslos ins Gesicht, wie beschissen alles bei uns ist. Am Wochenende wollten wir zusammen Eislaufen fahren, obwohl wir dafür über eineinhalb Stunden hätten Zug fahren müssen, aber jetzt wurden meine Pläne verschoben.

Manu B: Hannah fährt mich jetzt zum Bahnhof. Ich kann meine Familie besuchen. Hat sich spontan ergeben. Bin das Wochenende über also nicht da.

Patrick M: Oh. Ist das gut oder schlecht?

Manu B: Gut. Glaube ich. Bin nur überfordert.

Patrick M: Darf ich dich fahren? Ich hab Zeit, und ich will dich verabschieden.

Manu B: Klar. Ich sags Hannah kurz , dann komm ich raus.

Manu B: Danke.

Ich bin wirklich verdammt dankbar. Hannah ist toll und alles, aber Patrick bei mir zu haben, wenn ich so unerwartet hier wegfahre, ist besser. Erschöpft, auf eine Weise, die nichts mit meinem Körper oder meinem Schlaf zu tun hat, hiefe ich mein Gepäck auf die Rückbank und setze mich vorne zu Patrick.

"Hi." Er lächelt. Es fühlt sich tröstlich an.

"Hi. Gibt es einen bestimmten Grund, warum du mich fahren wolltest?" Ich lehne mich zurück. Patricks Fahrstil ist ruhiger als Hannahs, und weil ich weiß, dass es ein weiter Weg bis zum Bahnhof ist, schätze ich das wert.

"Ehrlich gesagt war ich froh, kurz von meinen Eltern wegzukommen." Er lächelt, als hätte ich ihm auf den Fuß getreten. "Sie können anstrengend sein. Ich bin so daran gewöhnt, dass sie miteinander streiten, dass es mich ziemlich überfordert hat, als sie plötzlich gemeinsam mit mir gestritten haben. Und seit ich bei dir gepennt habe, ohne das anzukündigen, suchen sie ständig nach Ausreden, um sauer auf mich zu sein."

"Es tut mir leid." Das tut es wirklich. "Und ich fühle mich ein bisschen schuldig."

"Bist du nicht."

"Doch. Und ich will es mir mit deinen Eltern auch nicht verscherzen. Mich mögen schon deine Freunde nicht. Irgendwann gefährde ich damit meinen Kontakt zu dir, wenn ich so weitermache."

Er muss lachen, aber es war nur zur Hälfte ein Scherz. "Meine Freunde mögen dich, Manu."

"So? Greg?"

"Greg gehört nicht wirklich zu meinen Freunden. Nur ein Bekannter. Und dass er dich so ausquetschen wollte, fand ich auch total unangemessen. Und Robin übrigens auch, weil Robin dich nämlich auch mag."

Mein Gesicht rötet sich. Patrick spricht trotzdem weiter. "Ich bin derjenige, der seine Eltern angelogen hat. Das ist meine Schuld und mein Problem. Du hast damit nichts zu tun, okay?"

Ich nicke. Er lächelt, als wolle er mich damit loben. Dann fragt er: "Und möchtest du jetzt über deine Familie reden?"

Das Seufzen, das mir entfährt, lässt meinen ganzen Brustkorb zittern. "Ich weiß es nicht. Ich-"... dann bricht es alles aus mir heraus. Die Worte purzeln mir direkt aus der Seele und prallen im Auto an den Wänden ab, hüpfen umher solange wir mit ihnen eingesperrt sind. Ich weiß nicht, ob irgendwas von dem, was ich sage, einen Sinn ergibt.

Ich erzähle, dass ich meiner Familie nicht geschrieben habe, und wie schlecht ich mich fühle. Dass ich nicht weiß, wie ich da jetzt eintreten soll, als derjenige, dem es gut geht, angeblich. Wie ich Anschluss finden soll, an diese neue Welt, in die sie alle ohne mich eingetreten sind, und wie ich für die Schuld einstehen soll, die mir dabei zukommt. Ob ich überhaupt über die Drogen sprechen soll, oder ob das hier nur Ablenkung wird, ob wir die perfekte, glückliche Familie mimen sollen und jeder für sich alleine heult.

Patrick hört nur zu. Erst, als ich fertig bin, und jedes Wort was ich gesprochen habe in der Luft steht und zittert, öffnet er den Mund. "Ich glaube, du kannst nichts falsch machen."

Die Worte halten still. Nicht ausgelacht zu werden überrascht mich fast.

Patrick wirft mir einen Seitenblick zu, bevor er weiterspricht. "Ich meine, wenn es ihnen so schlecht geht wie du gesagt hast, gibt es da Regeln. Deine Mom wird dir vorher schreiben, wie du dich verhalten sollst, und wenn nicht, dann schreibst du ihr. Frag sie. Sag, dass du Angst hast, dass es jetzt Regeln gibt, die du nicht kennst"

Die Worte fallen zu Boden, plumpsen weich in die Sitze und verschwinden. Ich kann wieder ruhiger atmen. "Danke. Wirklich, danke. Mache ich."

Wir halten vor dem Bahnhof, und ich schäme mich dafür, wie lange ich gesprochen habe. Bestimmt habe ich drei Mal so viel geredet wie Patrick.

Er besteht darauf, mir dabei zu helfen, mein Gepäck in den Zug zu tragen, der schon dasteht, obwohl er erst in einer Dreiviertelstunde abfahren wird.

Bevor er geht, umarmt er mich noch einmal. Warm und schüchtern. "Ich weiß, dass ich nicht verstehe, was das jetzt für dich bedeutet. Aber du schaffst das. Pass auf dich auf."

Der Kloß in meinem Hals ist so dick, dass ich nicht antworten kann. Ich drücke Patrick nur kurz etwas fester.






Na?
Ich glaub, mein Musikbuch wird dieses hier in Reads und Votes überholen. In Kommentaren hat es sowieso schon drei Mal so viel. Bisschen heartbreaking, weil in dieser Fanfiction so viel Arbeit steckt, und in dem Musikbuch viel weniger :,)
Ich arbeite an zwei neuen Fanfictions, die nach dieser hier veröffentlicht werden. Eine ist Zomdado, eine Kostory. Welches Shipping interessiert euch mehr?


Weg vom Fenster - #KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt